Thomas legte den Hörer auf und schlurfte in die Küche zurück. Das Laptop verlangte die Eingabe seiner persönlichen Daten. Er aber ging noch einmal zum Fenster und schaute hinaus. Die Parklücke! Schlagartig erkannte er ihre Bedeutung. Sein Auto war verschwunden. Futsch. Oder doch nicht? Er riß das Fenster auf, schaute die Straße rechts runter, links rauf, aber das Auto war nicht zu sehen. Er drehte sich um. Am Zeitungsstand las er: Aufschwung in Gefahr  Martini rollte in die Haushaltswarenabteilung. Vor dem Regal mit den Sektgläsern, Weingläsern, Biergläsern und Likör gläsern blieb er stehen. Mit schalem Blick schaute er sich um. Aus seiner Manteltasche zog er eine Plastiktüte, faltete sie auf und schwupp: da war das Sechserpak Biergläser verschwunden.Gelangweilt schwänzelte Martini durch die Regal reihen, dann rollte er abwärts. Auf dem Weg zur großen Tür fing ihn bunter Duft der Süßwarenabteilung. Eine Tüte Bonbons kaufte er. Zwischen der äußeren und der inneren Tür blieb Martini stehen und dachte: Ein Haus in dem alles gekauft werden kann Martinis Poesie Martinis Poesie Als wir nun beisammen standen verstummte das Gelächter und in gespannter Neugier versetzt, schauten wir den beiden zu, die begonnen hatten sich mit dem Deckel zu beschäftigen, der leicht gewölbt war - ähnlich dem Deckel auf einer Schatulle oder einem Sarg. Einige sprachen leise, mehr flüsternd, das es mit dieser Kiste etwas außergewöhnliches auf sich habe und die darin befindliche Arbeit sicher von eigenwilliger Natur sei. Rohlinge, erklärte unser Schlüsselmann, würde ich in so einer Kiste kaum aufbewahren,geschweige transportieren. Ein Familienschatz gehöre in so ein Möbel, betonte er, so das wir alle lachten. Woher sollte er schon einen Familienschatz haben. Nur unser Jüngster legte seinen Kopf nachdenklich zur Seite, schüttelte sich etwas, als fröre er, und erklärte, dass er sich wie auf einem Friedhof fühle, bei einer Graböffnung. Allen starb das Schmunzeln und wir schauten unseren Jüngsten verwundert an. "Meine Frau rief: 'Siehst du, du bist süchtig, wie du gierig bist!' Und: 'Du bist blind, vor Sucht schon ganz blind!' Sie hatte sich in äußerste Erregung gesteigert. Sie lief in mein Zimmer, zog die Schubläden heraus und verstreute überall den Inhalt. Darauf habe ich ihre Staffel umgestoßen. Die Leinwand polterte zu Boden. Meine Frau schaute zu. Sie hatte beide Fäuste geballt, ihre Haare verdeckten das Gesicht wie hinter einer Gardine. Immer wieder pustete sie. Ihre Haare flatterten auf und fielen zurück. Da riss sie das Bild meiner Eltern von der Wand und zerbrach es. Sie hatte schon oft das Bild durch die Wohnung gefeuert. Ich rief: 'Lass meine Eltern aus dem Streit!' und ging einen Schritt auf sie zu." Schuld war ihre linke Hand Schuld war ihre linke Hand Vito rief mich an seine Tisch an dem noch Arthur, Rico, Jessika und Sabine saßen. Sie wollten von mir wissen, ob ich auch diese "Aussetzer" verspürt hätte. "Aussetzer?" fragte ich. "Ja, so ein Blitzen", erklärte Rico.  "Ein Dunkel-Blitzen", warf Arthur ein und grinste dabei, als rechne er damit, dass ich ihn für verrückt erklären würde. "Lichtweg. Einfach Lichtweg, verstehst du, für den Bruchteil einer Sekunde", sagte Rico. So eine Art dunkelblitzen So eine Art dunkelblitzen Margot setzte die Kanne ab und trank in aller Ruhe einen Schluck Kaffee. Dann schaute sie ihren Mann in der Weise an, das er es für angeraten hielt sich vorerst nicht wieder in seine Zeitung zu vertiefen.  "Gut", sagte sie, nachdem sie die Tasse wieder auf ihren Platz gestellt hatte. "Ich weis nicht wie du das Verhalten dieses Monster nennen magst. Nun höre einmal zu: vorhin, ich war im Schlafzimmer und kleidete mich an, kam das Monster an gerollt. In seinen schrecklichen Greifern hatte es die Klobürste. Nun rate einmal, was dein ROBO im Schlafzimmer mit der Klobürste wollte?"  "Ich weis es nicht", lächelte Erwin.  "Ich auch nicht. Aber das Monster schien es zu wissen: es reichte mir die Klobürste, und als ich sie nicht nahm, wollte es mir mit dem Ding durch die Haare gehen."  "Und?" Modern Coup Modern Coup "Sie haben Schmerzen?" fragt mich der Arzt während er meine Karteikarte studierte. "Ja, oben rechts."  "Mhm", machte er. Sein runder Mund unter der überaus großen Nase verzerrte sich zu einem schrägen Lächeln. Ich bemerkte, wie er mit der Helferin einen verständigen Blick tauschte. Selber Schuld, wird er wohl denken. Warum kommst du auch nicht regelmäßig.  "Dann wollen wir mal", sagte er und schaltete die Behandlungslampe ein. Das Licht blendete mich.  "Mund auf", rief er und justierte mit ein paar ruppigen Griffen die Höhe des Behandlungsstuhles. Mit einer Sonde und einem Mundspiegel erkundete er mein Gebiss. Er stach hier und kratzte dort, klopfte mal von oben dann wieder von der Seite gegen die Zähne. "Löcher, nichts als Löcher. Eine vollendete Kraterlandschaft", raunte er. Ich presste meine Hände auf die Stuhllehne und spürte, wie sich kalter Schweiß auf meine Stirn sammelte. Eine seltsame Zahnbehandlung Eine seltsame Zahnbehandlung Die beiden Brüder gingen hoch zum Portal, dessen schwere Tür zusätzlich mit einem großen Vorhängeschloss gesichert war. Robert beobachtete seinen Bruder, wie er die Tür auf schloss. Noch immer hatte Marcel dieses dichte, volle Haar, durch das ihn Mutter oft gekrault hatte, wenn sie gemeinsam vor dem Kamin saßen oder auf der Terrasse, um der untergehenden Sonne nach zuschauen. Aber an einigen Stellen zeigten sich graue Strähnen.  "Seltsam", sagte Marcel, als er aufgeschlossen hatte. "An den Herbst hier draußen kann ich mich nicht erinnern." Sie schauten zurück in den Wald.  "Wir waren ja auch nur in den Sommermonaten hier. Die andere Zeit waren wir in der Stadt und Mutter auf Tournee." Der unerreichbare Salon Der unerreichbare Salon Donnerstag der Zwölfte Donnerstag der Zwölfte Das Stilett ist griffig. Ich wiege es in meiner Hand und schaue hinüber zur Badezimmertür. Sabine steht nackt vor dem Spiegel und föhnt ihre Haare. Wenn sie nass sind, schauen sie schwarz aus, obwohl Sabine brünett ist. Markant aber ist ihr Po wenn sie so unbefangen vor dem Spiegel steht und sich föhnt. Er verformt die Perspektive meiner Wahrnehmung und gerät zum bestimmenden, meinen Blick konzentrierenden Mittelpunkt. Sabine ist schlank, wohl geformt mit heller makelloser Haut. Wie warme Milch. Ihr milchwarme helle Haut und das Rot ihrer Lippen. Ein dunkles, dabei aufreizend natürliches Rot. Milch und Blut. Wärme und Leben. Das Stilett schmiegt sich mit seinem spürbaren Gewicht in meine Hand, als wäre es ein natürlich gewachsenes Werkzeug - taxiert im Gewicht und in Entschlossenheit. Das Stilett und die Vernissage Das Stilett und die Vernissage Wie erstarrt saß er am Felsen gelehnt, beobachtend, wie sich die Sonne vom Meer löste. Als sie eine handbreit über dem Wasser stand, dabei eine deutlich spürbare Andeutung ihrer südlichen Kraft verkündend, räkelte er sich aus seinem Schlafsack. Nun war der seewärtige Wind angenehm mild. Seine Wasserflasche war noch zu einem knappen Viertel gefüllt. Genug um sich zwei Tassen Kaffee zu kochen, nur Zähne putzen war dann nicht mehr möglich. Mit verschränkten Beinen auf dem Schlafsack sitzend, breitete er auf einer Plastiktüte sein Besteck aus, wühlte in dieser oder jener Tüte und entschied sich für den Kaffee. Die Zähne konnten noch warten. Die Steine des zerfallenen, venezianischen Kastell - in dessen Nähe er lagerte - leuchteten feurig im Morgenlicht und erhoben sich bizarr aus der Landzunge gegen den Himmel. Er blinzelte in die Sonne. Wie schön konnten Augenblicke sein. Bleib, dachte er - immer und ewig. Aber da schwand das zarte Glück, denn es verträgt keine Gedanken. Der Schrei des Vogel bleib Der Schrei des Vogel bleib und das Mädchen schlug - ich glaube so kräftig wie es in seinem Alter nur konnte - mit dem Knüppel in die große, matschige Pfütze. Eine schwarz-braune Tunke peitschte auf, zielstrebig den Oberst besudelnd. Schlagartige schnellte er herum, streckte seine Hand greifend zu dem Mädchen, das sich eben noch zu entwinden vermochte und da, ich sehe' es noch ganz deutlich, der hünenhafte Offizier stellte dem Kind nach, doch sein Fuß verhakte sich an einer aus dem Boden herausragenden Wurzel und der Mann sauste - lang wie er war - in das Matschloch, das Größte weit und breit... Blau gegen Rot Blau gegen Rot So auch einmal in den Weihnachtsferien, als er jeden Tag bis kurz vor Mittag in seinem Bett lag, halb schlafend, halb dösend, dabei beobachtend, wie es zäh unter regnerischem Himmel Tag wurde. An seinem letzten Ferientag aber schien die Sonne und am Himmel standen kleine weiße Wolken. Ganz ruhig hatte er in seinem Bett gelegen und zum Fenster hinüber geschaut, durch den die Sonne goldig schien und in deren Schein Staubflusen tanzten. Alles um ihn war ruhig und er hatte sich kaum noch gespürt. Für einen Augenblicke war es so, als schwebe er, bis er plötzlich in der Ferne die hellen Stimmen spielende Kinder hörte. Da war er eilends aus dem Bett gesprungen und als er draußen an der kühlen Luft in der Wintersonne stand, freute er sich. Er freute sich, das er lebte und auf die Zukunft: auf sein ganzes langes Leben, von dem die Erwachsenen sagten - vielleicht mit etwas Neid, das er es ja noch vor sich habe. Eine kleine Bettgeschichte Eine kleine Bettgeschichte Neulich, als er im Bett lag und nicht einschlafen konnte, weil er plötzlich großen Durst bekommen hatte, war er aufgestanden um etwas zu trinken. Auf dem Weg zur Küche hörte er, wie sich seine Eltern unterhielten. Obwohl sie in ihrem Schlafzimmer waren und leise sprachen, konnte er alles durch den schmalen Spalt der angelehnten Tür verstehen. Sie sprachen über Jan und über ihn. Seine Mutter betonte immer wieder, dass sie sich Sorgen machte. "Hoffentlich ist das mit Jan kein Schlüsselerlebnis."  Ja, Schlüsselerlebnis hatte sie gesagt. Mehrmals sogar. Und er merkte sich dieses komische Wort, schon weil er vor der Tür stand und auf das Schlüsselloch schaute. Seitdem musste er immer an das unverständliche Wort denken, wenn er am Schlafzimmer seiner Eltern vorbei kam. Aber warum sollte er sich Gedanken machen über ein Wort, das er nicht einmal im Lexikon gefunden hatte? Entscheidend war, dass ihm Jan fehlte. Rache für Blutbruder Jan Rache für Blutbruder Jan Die Frau ging langsam zum Sessel hinüber, der - umgeben von Computerbücher, Diskettenboxen und Bildschirmen - in einer Ecke der Dachkammer stand. Einen Augenblick schaute sie in das Gesicht des Jungen, dessen lebenshungrige Augen auf sie gerichtet waren. Dann schaute sie durch das Dachfenster in die Nacht. "Die Sterne dieses Himmels wären leicht zu zählen", dachte sie.  "Ich will hier raus", rief plötzlich der Junge.  "Du bist aber nicht der Einzige", antwortete die Frau. Der Junge schüttelte den Kopf, so dass eine Haarsträhne über seine Nasenspitze strich.  "Mein Programm ist aber das Beste!"  "Mag sein", sagte die Frau und zupfte Flusen von ihrem roten Kleid. "Jede kleinste Veränderung des ersten Bildes löst also eine andere Geschichte aus?" fragte sie. Der Junge nickte. In einer Welt mit wenigen Sternen In einer Welt mit wenigen Sternen Marianne drückte gegen die Tür. Sie war nicht verschlossen. Schwer aber fast lautlos ließ sie sich öffnen. Der strenge Geruch eines Treppenhauses, in dem sich die Düfte aus allen Küchen vereinten, empfing sie. Eine Zeitung rutschte aus dem Postkasten und fiel auf die grauen Fliesen. "Sind Sie Frau Friedrichs?"  Erschrocken schaute Marianne hoch. Auf dem Treppenabsatz stand ein alter zitternder Mann, bekleidet mit einem zerschlissenen Morgenmantel und gestützt auf einem knorrigen Spazierstock. Marianne nickte. "Sie kommen wegen der Wohnung. Gut. Ich aber glaube kaum, das sie Ihnen zusagen wird. Das sage ich Ihnen gleich. Aber meinetwegen. Schauen Sie sich die Wohnung an. Es ist eine Dachwohnung über der dritten Etage. Sie haben die Butter mitgebracht, und die Seife?"  Marianne zog eine Tüte aus ihre Tasche. "Sehr gut. Geben Sie mir." Sie stieg zum ersten Treppenabsatz und reichte die Tüte dem Mann. Der Alte stank. Nach Schweiß, nach Bier, nach Urin. Wohnungssuche mit Butter und Seife Wohnungssuche mit Butter und Seife Meine linke Hand ist vernarbt und verknorpelt. Natürlich, wie sollte sie auch anders? Sie ist auch größer als die rechte Hand. Nicht unbedingt dicker, eher breiter, flächiger. Ein verknorpelter Toilettendeckel als Hand, hatte mir ein Kollege gesagt. Er konnte es nicht verstehen und war mit seinem Unverständnis nicht allein. Denn niemand versteht mich. Die Hammermethode Die Hammermethode In dem für einen erwachsenen Menschen bestimmten Sarg verlor sich der Körper des Gerold F., blutverschmiert, die Obersachenkelknochen mit den Rippen in einem tödlichen Gefecht verstrickt, unabänderlich unter diesem blauen Firmament eines Hochsommertages dessen Klänge wieder Raum fanden nachdem das Radio endlich, allen technischen Notwendigkeiten trotzend, als letztes verstummte, später noch als dieses tausendfache Geschepper, Vergeblich Vergeblich Verrückt, ich bin ja verrückt, dachte er. Was mache ich hier? Da erinnerte er sich. Jemand hatte ihn gerufen und in Gedanken sah er den alten Mann an einem Hang oder auf einem Hügel stehen. Aber war das nicht schon lange her? Er spürte es nun ganz genau, dieses Gefühl, das er sich an etwas erinnerte was schon lange, sehr lange Zeit vergangen sein musste, wie er sich auch erinnerte, dass er in seinem Apartment auf dem Bett gesessen war und in einer Zeitschrift geblättert hatte mit den erstarrten Gesichtern einer verstorbenen Gegenwart. Die Stimmen im Wind Die Stimmen im Wind
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Sie hielt den Hörer noch in der Hand obwohl er längst aufgelegt hatte. Ein Kilo Butter sollte sie mitbringen, Deutsche Markenbutter, das hatte der Mann betont, und zwei Stück Seife. Welche sei ihm gleichgültig, nur duften sollte sie nicht zu stark. "Ein Kilo Butter und zwei Stück Seife?" Die Kollegin von Marianne schaute skeptisch, als sie von dem Telephonat hörte.  "Und die Martinistraße ist auch nicht die erste Adresse."  "Aber was soll ich machen? Ich brauche eine Wohnung."  "Andererseits sind Butter und Seife auch nicht zuviel verlangt. Da gibt es ganz andere Forderungen."  "Eben."  "Wann sollst du kommen?"  "Um halb sechs."  "Ich wünsche dir jedenfalls viel Glück."   Mit dem Bus fuhr Marianne bis fast vor die Haustür.  "Nummer 114", hatte der Mann gesagt. "Gleich neben dem Waffengeschäft, falls Sie die Hausnummer nicht erkennen können. Sie ist etwas verwittert."  Aber nicht nur die Hausnummer war verwittert. Von der gesamten Fassade des drei stöckigen Gebäudes war die Farbe abgeblättert und an einigen Stellen bröckelte schon der Putz.   Eine Weile stand Marianne vor der dunkelbraunen Tür und studierte die verblaßten Namen auf den Schildchen, - sofern welche eingetragen waren.  Der Mann hatte seinen Namen nicht erwähnt und sie hatte vergessen danach zu fragen. Überhaupt hatte er kaum etwas über die Wohnung erzählt, nur das es eine Dachwohnung sei.  "Und wenn Sie meinen, Sie müßten die Bude unbedingt anschauen, gut, ich dränge keinen. Nur denken Sie bitte an die Butter und die Seife. Und seien Sie pünktlich! Es kommen ja noch andere Interessenten", hatte er ihr kurz und knapp erklärt.  Mariane drückte gegen die Tür. Sie war nicht verschlossen. Schwer aber fast lautlos ließ sie sich öffnen. Der strenge Geruch eines Treppenhauses, in dem sich die Düfte aus allen Küchen vereinten, empfing sie. Eine Zeitung rutschte aus dem Postkasten und fiel auf die grauen Fliesen.  "Sind Sie Frau Friedrichs?"  Erschrocken schaute Marianne hoch. Auf dem Treppenabsatz stand ein alter zitternder Mann, bekleidet mit einem zerschlissenen Morgenmantel und gestützt auf einem knorrigen Spazierstock.  Marianne nickte.  "Sie kommen wegen der Wohnung. Gut. Ich aber glaube kaum, das sie Ihnen zusagen wird. Das sage ich Ihnen gleich. Aber meinetwegen. Schauen Sie sich die Wohnung an. Es ist eine Dachwohnung über der dritten Etage. Sie haben die Butter mitgebracht, und die Seife?"   Marianne zog eine Tüte aus ihre Tasche.  "Sehr gut. Geben Sie mir."  Sie stieg zum ersten Treppenabsatz und reichte die Tüte dem Mann. Der Alte stank. Nach Schweiß, nach Bier, nach Urin. Marianne wich sofort zurück, als sie ihm die Tüte gereicht hatte. Umständlich legte er sie neben sich auf den Boden. Dann wühlte er in seiner Manteltasche. Der Alte hatte Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten. Seine Hausschuhe waren breitgetreten, so das die nackten grauen Füße halb neben den Schuhen standen."  "Wieviel schulde ich Ihnen?" fragte er.  "Sie wollen bezahlen?"  "Ja selbstverständlich. Oder was dachten Sie?"  "Ich..."  "Das kann ich noch. Keine Sorge. Wenn ich auch sonst nichts mehr kann. Bezahlen aber kann ich noch."  Der Mann reichte ihr einen zehn Mark Schein. Er hatte lange, verknorpelte Finger und dreckige Fingernägel, die gelblich waren, mit schwarzen Flecken. Sie gab ihm schnell das Wechselgeld.  "Gehen Sie nun. Gehen Sie rauf und schauen Sie sich die Wohnung an. Die Tür ist offen."   Der Alte blieb mitten auf dem Absatz stehen. Er rührte sich nicht, keinen Zentimeter. Marianne schob sich schnell mit angehaltenem Atem an ihm vorbei. "Sie leben allein?" rief er, als sie schon ein paar Stufen gestiegen war.  Sie nickte. Der Alte schaute noch immer hinunter zur Tür.  "Ja oder Nein?"  "Ja, ich lebe allein."  "Gut. Ist mir recht. Aber ich glaube kaum, daß Ihnen die Wohnung zusagt."  "Was soll sie kosten?"  "Kosten? Ach was. Gehen Sie erst rauf. Schauen Sie sich die Wohnung an. Alles weitere danach." Der alte Mann drehte ihr seinen Kopf etwas zu und schielte.  "Falls Sie ein danach wünschen. Aber nun gehen Sie schon!"   Das Treppenhaus war dunkel und schmutzig. Aus der rechten Wohnung in der zweiten Etage drang der Geruch verbrannter Milch. Orientalische Musik dudelte hinter der Tür. In der dritten Etage war es totenstill. Das Treppenhaus war hier zu Ende. Nur noch eine schmale Holzstiege führte ein Stück weiter hinauf auf einen dunklen Absatz. Rechts war eine grobe Holztür, die mit einem Vorhängeschloß gesichert war. Links befand sich eine weiß gestrichene Wohnungstür. Sie war nicht verschlossen.    Marianne betrat einen kleinen dunklen Flur. Die Tapeten hingen von den Wänden, von der Decke rieselte Putz und an einigen Stellen war das Stroh sichtbar. Eine Schabe huschte über den zerschlissenen roten Linoleumfußboden und verkroch sich hinter einer abstehenden Fußleiste. Direkt der Wohnungstür gegenüber befand sich die Toilette. Die Tür war geöffnet. In die hinterste Ecke des Raumes, der kaum breiter war als die Tür, stand das Klosettbecken. Nasses Zeitungspapier und Tapentenfetzen quollen aus der Schüssel. Die Klosettbürste lag neben dem Eingang.   Es roch nach Staub und Kalk. Vor Mariannes Füßen lag eine alte Boulevardzeitung. Neben einem am Strand kauernden nackten Mädchen prangte die Schlagzeile "Junge Frau zerstückelt. Eingefroren".   Vorsichtig ging Marianne durch die engen Räume. In fast allen Ecken hingen dicke Spinnweben, in denen sich grauer Staub und Mörtelbrocken verfangen hatten. In jedem Raum waren in der Dachschräge kleine Fenster eingebaut. Mit Mühe konnte sie eines der klemmenden Holzfenster öffnen.   Der Blick ging über graue Hinterhöfe, über kleine, verbaute Balkons, rötlichschwarze Dächer zu einem alten, still gelegten Fabrikgebäude. Überraschend ruhig war es ja hier oben, dachte sie. Vom Straßenlärm war kaum etwas zu hören. Aber bin ich Innenarchitektin?   Sie drückte das Fenster wieder zu. Als sie sich umdrehte, huschte an der gegenüberliegenden Wand ein Schatten vorüber und im gleichen Augenblick knallte eine Tür. Sie riß ihre Hand hoch, legte sie an ihren Mantelkragen. Mit angehaltenem Atem lauschte sie.   "Ist da jemand!" rief sie. Niemand antwortete.   Plötzlich baumelte eine fette Spinne vor ihren Augen. Entsetzt sprang sie zur Seite. Die Spinne hangelte sich an ihrem Faden hoch und verschwand in einem Loch der Dachschräge.  Marianne eilte zum Ausgang. Die Wohnungstür war zu gefallen. Ihr fehlte die Türklinke. "Hallo!" rief sie und klopfte gegen die Tür. Doch im ganzen Haus schien es kein Leben zu geben. Nur aus weiter Ferne erscholl ein Martinshorn. Da entdeckte Marianne auf dem Fußboden die Türklinke. Sie hob die Klinke auf, stopfte sie in das Loch und öffnete die Tür.  In der zweiten Etage war es jetzt auch still und der Geruch von verbrannter Milch hatte sich mit den anderen Gerüchen vermischt.   Der alte Mann war nicht mehr da. Marianne wollte ihn schon rufen, aber sie wußte ja nicht einmal seinen Namen. Und wozu auch? Sie lief die restlichen Stufen hinab, zog die schwere Haustür auf und stand auf dem Bürgersteig.   Der lebhafte Straßenverkehr tat ihr gut. Sie atmete kräftig durch, nahm den Zehner aus ihre Manteltasche, den ihr der Alte für die Butter und die Seife gegeben hatte, und steckte ihn in ihr Portemonnaie. Dann ging sie die Straße hinunter zur Bushaltestelle. Noch immer spürte sie den Geruch des Hausflures und des Alten in ihre Nase.  Als sie an der Haltestelle wartete, kam ein junges Paar vorbei. Er trug einen Waschmittelkarton, sie einen Packen Toilettenpapier.  "Hat er nicht gesagt warum wir das mitbringen sollen?" fragte der Junge.  Das Mädchen schüttelte den Kopf.  Marianne schaute den Beiden nach, wie sie bis zu Nummer 114 gingen, auf die Klingelknöpfe schauten und dann durch die dunkle Haustür verschwanden.     (c) Klaus Dieter Schley
Klaus Dieter Schley, 2015
Thomas legte den Hörer auf und schlurfte in die Küche zurück. Das Laptop verlangte die Eingabe seiner persönlichen Daten. Er aber ging noch einmal zum Fenster und schaute hinaus. Die Parklücke! Schlagartig erkannte er ihre Bedeutung. Sein Auto war verschwunden. Futsch. Oder doch nicht? Er riß das Fenster auf, schaute die Straße rechts runter, links rauf, aber das Auto war nicht zu sehen. Er drehte sich um. Am Zeitungsstand las er: Aufschwung in Gefahr  Martini rollte in die Haushaltswarenabteilung. Vor dem Regal mit den Sektgläsern, Weingläsern, Biergläsern und Likör gläsern blieb er stehen. Mit schalem Blick schaute er sich um. Aus seiner Manteltasche zog er eine Plastiktüte, faltete sie auf und schwupp: da war das Sechserpak Biergläser verschwunden.Gelangweilt schwänzelte Martini durch die Regal reihen, dann rollte er abwärts. Auf dem Weg zur großen Tür fing ihn bunter Duft der Süßwarenabteilung. Eine Tüte Bonbons kaufte er. Zwischen der äußeren und der inneren Tür blieb Martini stehen und dachte: Ein Haus in dem alles gekauft werden kann Martinis Poesie Martinis Poesie Als wir nun beisammen standen verstummte das Gelächter und in gespannter Neugier versetzt, schauten wir den beiden zu, die begonnen hatten sich mit dem Deckel zu beschäftigen, der leicht gewölbt war - ähnlich dem Deckel auf einer Schatulle oder einem Sarg. Einige sprachen leise, mehr flüsternd, das es mit dieser Kiste etwas außergewöhnliches auf sich habe und die darin befindliche Arbeit sicher von eigenwilliger Natur sei. Rohlinge, erklärte unser Schlüsselmann, würde ich in so einer Kiste kaum aufbewahren,geschweige transportieren. Ein Familienschatz gehöre in so ein Möbel, betonte er, so das wir alle lachten. Woher sollte er schon einen Familienschatz haben. Nur unser Jüngster legte seinen Kopf nachdenklich zur Seite, schüttelte sich etwas, als fröre er, und erklärte, dass er sich wie auf einem Friedhof fühle, bei einer Graböffnung. Allen starb das Schmunzeln und wir schauten unseren Jüngsten verwundert an. "Meine Frau rief: 'Siehst du, du bist süchtig, wie du gierig bist!' Und: 'Du bist blind, vor Sucht schon ganz blind!' Sie hatte sich in äußerste Erregung gesteigert. Sie lief in mein Zimmer, zog die Schubläden heraus und verstreute überall den Inhalt. Darauf habe ich ihre Staffel umgestoßen. Die Leinwand polterte zu Boden. Meine Frau schaute zu. Sie hatte beide Fäuste geballt, ihre Haare verdeckten das Gesicht wie hinter einer Gardine. Immer wieder pustete sie. Ihre Haare flatterten auf und fielen zurück. Da riss sie das Bild meiner Eltern von der Wand und zerbrach es. Sie hatte schon oft das Bild durch die Wohnung gefeuert. Ich rief: 'Lass meine Eltern aus dem Streit!' und ging einen Schritt auf sie zu." Schuld war ihre linke Hand Schuld war ihre linke Hand Vito rief mich an seine Tisch an dem noch Arthur, Rico, Jessika und Sabine saßen. Sie wollten von mir wissen, ob ich auch diese "Aussetzer" verspürt hätte. "Aussetzer?" fragte ich. "Ja, so ein Blitzen", erklärte Rico.  "Ein Dunkel-Blitzen", warf Arthur ein und grinste dabei, als rechne er damit, dass ich ihn für verrückt erklären würde. "Lichtweg. Einfach Lichtweg, verstehst du, für den Bruchteil einer Sekunde", sagte Rico. So eine Art dunkelblitzen So eine Art dunkelblitzen Margot setzte die Kanne ab und trank in aller Ruhe einen Schluck Kaffee. Dann schaute sie ihren Mann in der Weise an, das er es für angeraten hielt sich vorerst nicht wieder in seine Zeitung zu vertiefen.  "Gut", sagte sie, nachdem sie die Tasse wieder auf ihren Platz gestellt hatte. "Ich weis nicht wie du das Verhalten dieses Monster nennen magst. Nun höre einmal zu: vorhin, ich war im Schlafzimmer und kleidete mich an, kam das Monster an gerollt. In seinen schrecklichen Greifern hatte es die Klobürste. Nun rate einmal, was dein ROBO im Schlafzimmer mit der Klobürste wollte?"  "Ich weis es nicht", lächelte Erwin.  "Ich auch nicht. Aber das Monster schien es zu wissen: es reichte mir die Klobürste, und als ich sie nicht nahm, wollte es mir mit dem Ding durch die Haare gehen."  "Und?" Modern Coup Modern Coup "Sie haben Schmerzen?" fragt mich der Arzt während er meine Karteikarte studierte. "Ja, oben rechts."  "Mhm", machte er. Sein runder Mund unter der überaus großen Nase verzerrte sich zu einem schrägen Lächeln. Ich bemerkte, wie er mit der Helferin einen verständigen Blick tauschte. Selber Schuld, wird er wohl denken. Warum kommst du auch nicht regelmäßig.  "Dann wollen wir mal", sagte er und schaltete die Behandlungslampe ein. Das Licht blendete mich.  "Mund auf", rief er und justierte mit ein paar ruppigen Griffen die Höhe des Behandlungsstuhles. Mit einer Sonde und einem Mundspiegel erkundete er mein Gebiss. Er stach hier und kratzte dort, klopfte mal von oben dann wieder von der Seite gegen die Zähne. "Löcher, nichts als Löcher. Eine vollendete Kraterlandschaft", raunte er. Ich presste meine Hände auf die Stuhllehne und spürte, wie sich kalter Schweiß auf meine Stirn sammelte. Eine seltsame Zahnbehandlung Eine seltsame Zahnbehandlung Die beiden Brüder gingen hoch zum Portal, dessen schwere Tür zusätzlich mit einem großen Vorhängeschloss gesichert war. Robert beobachtete seinen Bruder, wie er die Tür auf schloss. Noch immer hatte Marcel dieses dichte, volle Haar, durch das ihn Mutter oft gekrault hatte, wenn sie gemeinsam vor dem Kamin saßen oder auf der Terrasse, um der untergehenden Sonne nach zuschauen. Aber an einigen Stellen zeigten sich graue Strähnen.  "Seltsam", sagte Marcel, als er aufgeschlossen hatte. "An den Herbst hier draußen kann ich mich nicht erinnern." Sie schauten zurück in den Wald.  "Wir waren ja auch nur in den Sommermonaten hier. Die andere Zeit waren wir in der Stadt und Mutter auf Tournee." Der unerreichbare Salon Der unerreichbare Salon Donnerstag der Zwölfte Donnerstag der Zwölfte Das Stilett ist griffig. Ich wiege es in meiner Hand und schaue hinüber zur Badezimmertür. Sabine steht nackt vor dem Spiegel und föhnt ihre Haare. Wenn sie nass sind, schauen sie schwarz aus, obwohl Sabine brünett ist. Markant aber ist ihr Po wenn sie so unbefangen vor dem Spiegel steht und sich föhnt. Er verformt die Perspektive meiner Wahrnehmung und gerät zum bestimmenden, meinen Blick konzentrierenden Mittelpunkt. Sabine ist schlank, wohl geformt mit heller makelloser Haut. Wie warme Milch. Ihr milchwarme helle Haut und das Rot ihrer Lippen. Ein dunkles, dabei aufreizend natürliches Rot. Milch und Blut. Wärme und Leben. Das Stilett schmiegt sich mit seinem spürbaren Gewicht in meine Hand, als wäre es ein natürlich gewachsenes Werkzeug - taxiert im Gewicht und in Entschlossenheit. Das Stilett und die Vernissage Das Stilett und die Vernissage Wie erstarrt saß er am Felsen gelehnt, beobachtend, wie sich die Sonne vom Meer löste. Als sie eine handbreit über dem Wasser stand, dabei eine deutlich spürbare Andeutung ihrer südlichen Kraft verkündend, räkelte er sich aus seinem Schlafsack. Nun war der seewärtige Wind angenehm mild. Seine Wasserflasche war noch zu einem knappen Viertel gefüllt. Genug um sich zwei Tassen Kaffee zu kochen, nur Zähne putzen war dann nicht mehr möglich. Mit verschränkten Beinen auf dem Schlafsack sitzend, breitete er auf einer Plastiktüte sein Besteck aus, wühlte in dieser oder jener Tüte und entschied sich für den Kaffee. Die Zähne konnten noch warten. Die Steine des zerfallenen, venezianischen Kastell - in dessen Nähe er lagerte - leuchteten feurig im Morgenlicht und erhoben sich bizarr aus der Landzunge gegen den Himmel. Er blinzelte in die Sonne. Wie schön konnten Augenblicke sein. Bleib, dachte er - immer und ewig. Aber da schwand das zarte Glück, denn es verträgt keine Gedanken. Der Schrei des Vogel bleib Der Schrei des Vogel bleib und das Mädchen schlug - ich glaube so kräftig wie es in seinem Alter nur konnte - mit dem Knüppel in die große, matschige Pfütze. Eine schwarz-braune Tunke peitschte auf, zielstrebig den Oberst besudelnd. Schlagartige schnellte er herum, streckte seine Hand greifend zu dem Mädchen, das sich eben noch zu entwinden vermochte und da, ich sehe' es noch ganz deutlich, der hünenhafte Offizier stellte dem Kind nach, doch sein Fuß verhakte sich an einer aus dem Boden herausragenden Wurzel und der Mann sauste - lang wie er war - in das Matschloch, das Größte weit und breit... Blau gegen Rot Blau gegen Rot So auch einmal in den Weihnachtsferien, als er jeden Tag bis kurz vor Mittag in seinem Bett lag, halb schlafend, halb dösend, dabei beobachtend, wie es zäh unter regnerischem Himmel Tag wurde. An seinem letzten Ferientag aber schien die Sonne und am Himmel standen kleine weiße Wolken. Ganz ruhig hatte er in seinem Bett gelegen und zum Fenster hinüber geschaut, durch den die Sonne goldig schien und in deren Schein Staubflusen tanzten. Alles um ihn war ruhig und er hatte sich kaum noch gespürt. Für einen Augenblicke war es so, als schwebe er, bis er plötzlich in der Ferne die hellen Stimmen spielende Kinder hörte. Da war er eilends aus dem Bett gesprungen und als er draußen an der kühlen Luft in der Wintersonne stand, freute er sich. Er freute sich, das er lebte und auf die Zukunft: auf sein ganzes langes Leben, von dem die Erwachsenen sagten - vielleicht mit etwas Neid, das er es ja noch vor sich habe. Neulich, als er im Bett lag und nicht einschlafen konnte, weil er plötzlich großen Durst bekommen hatte, war er aufgestanden um etwas zu trinken. Auf dem Weg zur Küche hörte er, wie sich seine Eltern unterhielten. Obwohl sie in ihrem Schlafzimmer waren und leise sprachen, konnte er alles durch den schmalen Spalt der angelehnten Tür verstehen. Sie sprachen über Jan und über ihn. Seine Mutter betonte immer wieder, dass sie sich Sorgen machte. "Hoffentlich ist das mit Jan kein Schlüsselerlebnis."  Ja, Schlüsselerlebnis hatte sie gesagt. Mehrmals sogar. Und er merkte sich dieses komische Wort, schon weil er vor der Tür stand und auf das Schlüsselloch schaute. Seitdem musste er immer an das unverständliche Wort denken, wenn er am Schlafzimmer seiner Eltern vorbei kam. Aber warum sollte er sich Gedanken machen über ein Wort, das er nicht einmal im Lexikon gefunden hatte? Entscheidend war, dass ihm Jan fehlte. Rache für Blutbruder Jan Rache für Blutbruder Jan Die Frau ging langsam zum Sessel hinüber, der - umgeben von Computerbücher, Diskettenboxen und Bildschirmen - in einer Ecke der Dachkammer stand. Einen Augenblick schaute sie in das Gesicht des Jungen, dessen lebenshungrige Augen auf sie gerichtet waren. Dann schaute sie durch das Dachfenster in die Nacht. "Die Sterne dieses Himmels wären leicht zu zählen", dachte sie.  "Ich will hier raus", rief plötzlich der Junge.  "Du bist aber nicht der Einzige", antwortete die Frau. Der Junge schüttelte den Kopf, so dass eine Haarsträhne über seine Nasenspitze strich.  "Mein Programm ist aber das Beste!"  "Mag sein", sagte die Frau und zupfte Flusen von ihrem roten Kleid. "Jede kleinste Veränderung des ersten Bildes löst also eine andere Geschichte aus?" fragte sie. Der Junge nickte. In einer Welt mit wenigen Sternen In einer Welt mit wenigen Sternen Marianne drückte gegen die Tür. Sie war nicht verschlossen. Schwer aber fast lautlos ließ sie sich öffnen. Der strenge Geruch eines Treppenhauses, in dem sich die Düfte aus allen Küchen vereinten, empfing sie. Eine Zeitung rutschte aus dem Postkasten und fiel auf die grauen Fliesen. "Sind Sie Frau Friedrichs?"  Erschrocken schaute Marianne hoch. Auf dem Treppenabsatz stand ein alter zitternder Mann, bekleidet mit einem zerschlissenen Morgenmantel und gestützt auf einem knorrigen Spazierstock. Marianne nickte. "Sie kommen wegen der Wohnung. Gut. Ich aber glaube kaum, das sie Ihnen zusagen wird. Das sage ich Ihnen gleich. Aber meinetwegen. Schauen Sie sich die Wohnung an. Es ist eine Dachwohnung über der dritten Etage. Sie haben die Butter mitgebracht, und die Seife?"  Marianne zog eine Tüte aus ihre Tasche. "Sehr gut. Geben Sie mir." Sie stieg zum ersten Treppenabsatz und reichte die Tüte dem Mann. Der Alte stank. Nach Schweiß, nach Bier, nach Urin. Wohnungssuche mit Butter und Seife Wohnungssuche mit Butter und Seife Meine linke Hand ist vernarbt und verknorpelt. Natürlich, wie sollte sie auch anders? Sie ist auch größer als die rechte Hand. Nicht unbedingt dicker, eher breiter, flächiger. Ein verknorpelter Toilettendeckel als Hand, hatte mir ein Kollege gesagt. Er konnte es nicht verstehen und war mit seinem Unverständnis nicht allein. Denn niemand versteht mich. Die Hammermethode Die Hammermethode In dem für einen erwachsenen Menschen bestimmten Sarg verlor sich der Körper des Gerold F., blutverschmiert, die Obersachenkelknochen mit den Rippen in einem tödlichen Gefecht verstrickt, unabänderlich unter diesem blauen Firmament eines Hochsommertages dessen Klänge wieder Raum fanden nachdem das Radio endlich, allen technischen Notwendigkeiten trotzend, als letztes verstummte, später noch als dieses tausendfache Geschepper, Vergeblich Vergeblich Verrückt, ich bin ja verrückt, dachte er. Was mache ich hier? Da erinnerte er sich. Jemand hatte ihn gerufen und in Gedanken sah er den alten Mann an einem Hang oder auf einem Hügel stehen. Aber war das nicht schon lange her? Er spürte es nun ganz genau, dieses Gefühl, das er sich an etwas erinnerte was schon lange, sehr lange Zeit vergangen sein musste, wie er sich auch erinnerte, dass er in seinem Apartment auf dem Bett gesessen war und in einer Zeitschrift geblättert hatte mit den erstarrten Gesichtern einer verstorbenen Gegenwart. Die Stimmen im Wind Die Stimmen im Wind
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Eine kleine Bettgeschichte Eine kleine Bettgeschichte Die Arbeitenden Die Arbeitenden
Sie hielt den Hörer noch in der Hand obwohl er längst aufgelegt hatte. Ein Kilo Butter sollte sie mitbringen, Deutsche Markenbutter, das hatte der Mann betont, und zwei Stück Seife. Welche sei ihm gleichgültig, nur duften sollte sie nicht zu stark. "Ein Kilo Butter und zwei Stück Seife?" Die Kollegin von Marianne schaute skeptisch, als sie von dem Telephonat hörte.  "Und die Martinistraße ist auch nicht die erste Adresse."  "Aber was soll ich machen? Ich brauche eine Wohnung."  "Andererseits sind Butter und Seife auch nicht zuviel verlangt. Da gibt es ganz andere Forderungen."  "Eben."  "Wann sollst du kommen?"  "Um halb sechs."  "Ich wünsche dir jedenfalls viel Glück."   Mit dem Bus fuhr Marianne bis fast vor die Haustür.  "Nummer 114", hatte der Mann gesagt. "Gleich neben dem Waffengeschäft, falls Sie die Hausnummer nicht erkennen können. Sie ist etwas verwittert."  Aber nicht nur die Hausnummer war verwittert. Von der gesamten Fassade des drei stöckigen Gebäudes war die Farbe abgeblättert und an einigen Stellen bröckelte schon der Putz.   Eine Weile stand Marianne vor der dunkelbraunen Tür und studierte die verblaßten Namen auf den Schildchen, - sofern welche eingetragen waren.  Der Mann hatte seinen Namen nicht erwähnt und sie hatte vergessen danach zu fragen. Überhaupt hatte er kaum etwas über die Wohnung erzählt, nur das es eine Dachwohnung sei.  "Und wenn Sie meinen, Sie müßten die Bude unbedingt anschauen, gut, ich dränge keinen. Nur denken Sie bitte an die Butter und die Seife. Und seien Sie pünktlich! Es kommen ja noch andere Interessenten", hatte er ihr kurz und knapp erklärt.  Mariane drückte gegen die Tür. Sie war nicht verschlossen. Schwer aber fast lautlos ließ sie sich öffnen. Der strenge Geruch eines Treppenhauses, in dem sich die Düfte aus allen Küchen vereinten, empfing sie. Eine Zeitung rutschte aus dem Postkasten und fiel auf die grauen Fliesen.  "Sind Sie Frau Friedrichs?"  Erschrocken schaute Marianne hoch. Auf dem Treppenabsatz stand ein alter zitternder Mann, bekleidet mit einem zerschlissenen Morgenmantel und gestützt auf einem knorrigen Spazierstock.  Marianne nickte.  "Sie kommen wegen der Wohnung. Gut. Ich aber glaube kaum, das sie Ihnen zusagen wird. Das sage ich Ihnen gleich. Aber meinetwegen. Schauen Sie sich die Wohnung an. Es ist eine Dachwohnung über der dritten Etage. Sie haben die Butter mitgebracht, und die Seife?"   Marianne zog eine Tüte aus ihre Tasche.  "Sehr gut. Geben Sie mir."  Sie stieg zum ersten Treppenabsatz und reichte die Tüte dem Mann. Der Alte stank. Nach Schweiß, nach Bier, nach Urin. Marianne wich sofort zurück, als sie ihm die Tüte gereicht hatte. Umständlich legte er sie neben sich auf den Boden. Dann wühlte er in seiner Manteltasche. Der Alte hatte Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten. Seine Hausschuhe waren breitgetreten, so das die nackten grauen Füße halb neben den Schuhen standen."  "Wieviel schulde ich Ihnen?" fragte er.  "Sie wollen bezahlen?"  "Ja selbstverständlich. Oder was dachten Sie?"  "Ich..."  "Das kann ich noch. Keine Sorge. Wenn ich auch sonst nichts mehr kann. Bezahlen aber kann ich noch."  Der Mann reichte ihr einen zehn Mark Schein. Er hatte lange, verknorpelte Finger und dreckige Fingernägel, die gelblich waren, mit schwarzen Flecken. Sie gab ihm schnell das Wechselgeld.  "Gehen Sie nun. Gehen Sie rauf und schauen Sie sich die Wohnung an. Die Tür ist offen."   Der Alte blieb mitten auf dem Absatz stehen. Er rührte sich nicht, keinen Zentimeter. Marianne schob sich schnell mit angehaltenem Atem an ihm vorbei. "Sie leben allein?" rief er, als sie schon ein paar Stufen gestiegen war.  Sie nickte. Der Alte schaute noch immer hinunter zur Tür.  "Ja oder Nein?"  "Ja, ich lebe allein."  "Gut. Ist mir recht. Aber ich glaube kaum, daß Ihnen die Wohnung zusagt."  "Was soll sie kosten?"  "Kosten? Ach was. Gehen Sie erst rauf. Schauen Sie sich die Wohnung an. Alles weitere danach." Der alte Mann drehte ihr seinen Kopf etwas zu und schielte.  "Falls Sie ein danach wünschen. Aber nun gehen Sie schon!"   Das Treppenhaus war dunkel und schmutzig. Aus der rechten Wohnung in der zweiten Etage drang der Geruch verbrannter Milch. Orientalische Musik dudelte hinter der Tür. In der dritten Etage war es totenstill. Das Treppenhaus war hier zu Ende. Nur noch eine schmale Holzstiege führte ein Stück weiter hinauf auf einen dunklen Absatz. Rechts war eine grobe Holztür, die mit einem Vorhängeschloß gesichert war. Links befand sich eine weiß gestrichene Wohnungstür. Sie war nicht verschlossen.    Marianne betrat einen kleinen dunklen Flur. Die Tapeten hingen von den Wänden, von der Decke rieselte Putz und an einigen Stellen war das Stroh sichtbar. Eine Schabe huschte über den zerschlissenen roten Linoleumfußboden und verkroch sich hinter einer abstehenden Fußleiste. Direkt der Wohnungstür gegenüber befand sich die Toilette. Die Tür war geöffnet. In die hinterste Ecke des Raumes, der kaum breiter war als die Tür, stand das Klosettbecken. Nasses Zeitungspapier und Tapentenfetzen quollen aus der Schüssel. Die Klosettbürste lag neben dem Eingang.   Es roch nach Staub und Kalk. Vor Mariannes Füßen lag eine alte Boulevardzeitung. Neben einem am Strand kauernden nackten Mädchen prangte die Schlagzeile "Junge Frau zerstückelt. Eingefroren".   Vorsichtig ging Marianne durch die engen Räume. In fast allen Ecken hingen dicke Spinnweben, in denen sich grauer Staub und Mörtelbrocken verfangen hatten. In jedem Raum waren in der Dachschräge kleine Fenster eingebaut. Mit Mühe konnte sie eines der klemmenden Holzfenster öffnen.   Der Blick ging über graue Hinterhöfe, über kleine, verbaute Balkons, rötlichschwarze Dächer zu einem alten, still gelegten Fabrikgebäude. Überraschend ruhig war es ja hier oben, dachte sie. Vom Straßenlärm war kaum etwas zu hören. Aber bin ich Innenarchitektin?   Sie drückte das Fenster wieder zu. Als sie sich umdrehte, huschte an der gegenüberliegenden Wand ein Schatten vorüber und im gleichen Augenblick knallte eine Tür. Sie riß ihre Hand hoch, legte sie an ihren Mantelkragen. Mit angehaltenem Atem lauschte sie.   "Ist da jemand!" rief sie. Niemand antwortete.   Plötzlich baumelte eine fette Spinne vor ihren Augen. Entsetzt sprang sie zur Seite. Die Spinne hangelte sich an ihrem Faden hoch und verschwand in einem Loch der Dachschräge.  Marianne eilte zum Ausgang. Die Wohnungstür war zu gefallen. Ihr fehlte die Türklinke. "Hallo!" rief sie und klopfte gegen die Tür. Doch im ganzen Haus schien es kein Leben zu geben. Nur aus weiter Ferne erscholl ein Martinshorn. Da entdeckte Marianne auf dem Fußboden die Türklinke. Sie hob die Klinke auf, stopfte sie in das Loch und öffnete die Tür.  In der zweiten Etage war es jetzt auch still und der Geruch von verbrannter Milch hatte sich mit den anderen Gerüchen vermischt.   Der alte Mann war nicht mehr da. Marianne wollte ihn schon rufen, aber sie wußte ja nicht einmal seinen Namen. Und wozu auch? Sie lief die restlichen Stufen hinab, zog die schwere Haustür auf und stand auf dem Bürgersteig.   Der lebhafte Straßenverkehr tat ihr gut. Sie atmete kräftig durch, nahm den Zehner aus ihre Manteltasche, den ihr der Alte für die Butter und die Seife gegeben hatte, und steckte ihn in ihr Portemonnaie. Dann ging sie die Straße hinunter zur Bushaltestelle. Noch immer spürte sie den Geruch des Hausflures und des Alten in ihre Nase.  Als sie an der Haltestelle wartete, kam ein junges Paar vorbei. Er trug einen Waschmittelkarton, sie einen Packen Toilettenpapier.  "Hat er nicht gesagt warum wir das mitbringen sollen?" fragte der Junge.  Das Mädchen schüttelte den Kopf.  Marianne schaute den Beiden nach, wie sie bis zu Nummer 114 gingen, auf die Klingelknöpfe schauten und dann durch die dunkle Haustür verschwanden.     (c) Klaus Dieter Schley
Klaus Dieter Schley, 2015