Wesen aus Fantasie und Worten Der Storybeutel
Sie hielt den Hörer noch in der Hand obwohl er längst aufgelegt hatte. Ein Kilo Butter sollte sie mitbringen, Deutsche Markenbutter, das hatte der Mann betont, und zwei Stück Seife. Welche sei ihm gleichgültig, nur duften sollte sie nicht zu stark. "Ein Kilo Butter und zwei Stück Seife?" Die Kollegin von Marianne schaute skeptisch, als sie von dem Telephonat hörte.  "Und die Martinistraße ist auch nicht die erste Adresse."  "Aber was soll ich machen? Ich brauche eine Wohnung."  "Andererseits sind Butter und Seife auch nicht zuviel verlangt. Da gibt es ganz andere Forderungen."  "Eben."  "Wann sollst du kommen?"  "Um halb sechs."  "Ich wünsche dir jedenfalls viel Glück."   Mit dem Bus fuhr Marianne bis fast vor die Haustür.  "Nummer 114", hatte der Mann gesagt. "Gleich neben dem Waffengeschäft, falls Sie die Hausnummer nicht erkennen können. Sie ist etwas verwittert."  Aber nicht nur die Hausnummer war verwittert. Von der gesamten Fassade des drei stöckigen Gebäudes war die Farbe abgeblättert und an einigen Stellen bröckelte schon der Putz.   Eine Weile stand Marianne vor der dunkelbraunen Tür und studierte die verblaßten Namen auf den Schildchen, - sofern welche eingetragen waren.  Der Mann hatte seinen Namen nicht erwähnt und sie hatte vergessen danach zu fragen. Überhaupt hatte er kaum etwas über die Wohnung erzählt, nur das es eine Dachwohnung sei.  "Und wenn Sie meinen, Sie müßten die Bude unbedingt anschauen, gut, ich dränge keinen. Nur denken Sie bitte an die Butter und die Seife. Und seien Sie pünktlich! Es kommen ja noch andere Interessenten", hatte er ihr kurz und knapp erklärt.  Mariane drückte gegen die Tür. Sie war nicht verschlossen. Schwer aber fast lautlos ließ sie sich öffnen. Der strenge Geruch eines Treppenhauses, in dem sich die Düfte aus allen Küchen vereinten, empfing sie. Eine Zeitung rutschte aus dem Postkasten und fiel auf die grauen Fliesen.  "Sind Sie Frau Friedrichs?"  Erschrocken schaute Marianne hoch. Auf dem Treppenabsatz stand ein alter zitternder Mann, bekleidet mit einem zerschlissenen Morgenmantel und gestützt auf einem knorrigen Spazierstock.  Marianne nickte.  "Sie kommen wegen der Wohnung. Gut. Ich aber glaube kaum, das sie Ihnen zusagen wird. Das sage ich Ihnen gleich. Aber meinetwegen. Schauen Sie sich die Wohnung an. Es ist eine Dachwohnung über der dritten Etage. Sie haben die Butter mitgebracht, und die Seife?"   Marianne zog eine Tüte aus ihre Tasche.  "Sehr gut. Geben Sie mir."  Sie stieg zum ersten Treppenabsatz und reichte die Tüte dem Mann. Der Alte stank. Nach Schweiß, nach Bier, nach Urin. Marianne wich sofort zurück, als sie ihm die Tüte gereicht hatte. Umständlich legte er sie neben sich auf den Boden. Dann wühlte er in seiner Manteltasche. Der Alte hatte Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten. Seine Hausschuhe waren breitgetreten, so das die nackten grauen Füße halb neben den Schuhen standen."  "Wieviel schulde ich Ihnen?" fragte er.  "Sie wollen bezahlen?"  "Ja selbstverständlich. Oder was dachten Sie?"  "Ich..."  "Das kann ich noch. Keine Sorge. Wenn ich auch sonst nichts mehr kann. Bezahlen aber kann ich noch."  Der Mann reichte ihr einen zehn Mark Schein. Er hatte lange, verknorpelte Finger und dreckige Fingernägel, die gelblich waren, mit schwarzen Flecken. Sie gab ihm schnell das Wechselgeld.  "Gehen Sie nun. Gehen Sie rauf und schauen Sie sich die Wohnung an. Die Tür ist offen."   Der Alte blieb mitten auf dem Absatz stehen. Er rührte sich nicht, keinen Zentimeter. Marianne schob sich schnell mit angehaltenem Atem an ihm vorbei. "Sie leben allein?" rief er, als sie schon ein paar Stufen gestiegen war.  Sie nickte. Der Alte schaute noch immer hinunter zur Tür.  "Ja oder Nein?"  "Ja, ich lebe allein."  "Gut. Ist mir recht. Aber ich glaube kaum, daß Ihnen die Wohnung zusagt."  "Was soll sie kosten?"  "Kosten? Ach was. Gehen Sie erst rauf. Schauen Sie sich die Wohnung an. Alles weitere danach." Der alte Mann drehte ihr seinen Kopf etwas zu und schielte.  "Falls Sie ein danach wünschen. Aber nun gehen Sie schon!"   Das Treppenhaus war dunkel und schmutzig. Aus der rechten Wohnung in der zweiten Etage drang der Geruch verbrannter Milch. Orientalische Musik dudelte hinter der Tür. In der dritten Etage war es totenstill. Das Treppenhaus war hier zu Ende. Nur noch eine schmale Holzstiege führte ein Stück weiter hinauf auf einen dunklen Absatz. Rechts war eine grobe Holztür, die mit einem Vorhängeschloß gesichert war. Links befand sich eine weiß gestrichene Wohnungstür. Sie war nicht verschlossen.    Marianne betrat einen kleinen dunklen Flur. Die Tapeten hingen von den Wänden, von der Decke rieselte Putz und an einigen Stellen war das Stroh sichtbar. Eine Schabe huschte über den zerschlissenen roten Linoleumfußboden und verkroch sich hinter einer abstehenden Fußleiste. Direkt der Wohnungstür gegenüber befand sich die Toilette. Die Tür war geöffnet. In die hinterste Ecke des Raumes, der kaum breiter war als die Tür, stand das Klosettbecken. Nasses Zeitungspapier und Tapentenfetzen quollen aus der Schüssel. Die Klosettbürste lag neben dem Eingang.   Es roch nach Staub und Kalk. Vor Mariannes Füßen lag eine alte Boulevardzeitung. Neben einem am Strand kauernden nackten Mädchen prangte die Schlagzeile "Junge Frau zerstückelt. Eingefroren".   Vorsichtig ging Marianne durch die engen Räume. In fast allen Ecken hingen dicke Spinnweben, in denen sich grauer Staub und Mörtelbrocken verfangen hatten. In jedem Raum waren in der Dachschräge kleine Fenster eingebaut. Mit Mühe konnte sie eines der klemmenden Holzfenster öffnen.   Der Blick ging über graue Hinterhöfe, über kleine, verbaute Balkons, rötlichschwarze Dächer zu einem alten, still gelegten Fabrikgebäude. Überraschend ruhig war es ja hier oben, dachte sie. Vom Straßenlärm war kaum etwas zu hören. Aber bin ich Innenarchitektin?   Sie drückte das Fenster wieder zu. Als sie sich umdrehte, huschte an der gegenüberliegenden Wand ein Schatten vorüber und im gleichen Augenblick knallte eine Tür. Sie riß ihre Hand hoch, legte sie an ihren Mantelkragen. Mit angehaltenem Atem lauschte sie.   "Ist da jemand!" rief sie. Niemand antwortete.   Plötzlich baumelte eine fette Spinne vor ihren Augen. Entsetzt sprang sie zur Seite. Die Spinne hangelte sich an ihrem Faden hoch und verschwand in einem Loch der Dachschräge.  Marianne eilte zum Ausgang. Die Wohnungstür war zu gefallen. Ihr fehlte die Türklinke. "Hallo!" rief sie und klopfte gegen die Tür. Doch im ganzen Haus schien es kein Leben zu geben. Nur aus weiter Ferne erscholl ein Martinshorn. Da entdeckte Marianne auf dem Fußboden die Türklinke. Sie hob die Klinke auf, stopfte sie in das Loch und öffnete die Tür.  In der zweiten Etage war es jetzt auch still und der Geruch von verbrannter Milch hatte sich mit den anderen Gerüchen vermischt.   Der alte Mann war nicht mehr da. Marianne wollte ihn schon rufen, aber sie wußte ja nicht einmal seinen Namen. Und wozu auch? Sie lief die restlichen Stufen hinab, zog die schwere Haustür auf und stand auf dem Bürgersteig.   Der lebhafte Straßenverkehr tat ihr gut. Sie atmete kräftig durch, nahm den Zehner aus ihre Manteltasche, den ihr der Alte für die Butter und die Seife gegeben hatte, und steckte ihn in ihr Portemonnaie. Dann ging sie die Straße hinunter zur Bushaltestelle. Noch immer spürte sie den Geruch des Hausflures und des Alten in ihre Nase.  Als sie an der Haltestelle wartete, kam ein junges Paar vorbei. Er trug einen Waschmittelkarton, sie einen Packen Toilettenpapier.  "Hat er nicht gesagt warum wir das mitbringen sollen?" fragte der Junge.  Das Mädchen schüttelte den Kopf.  Marianne schaute den Beiden nach, wie sie bis zu Nummer 114 gingen, auf die Klingelknöpfe schauten und dann durch die dunkle Haustür verschwanden.     (c) Klaus Dieter Schley
Klaus Dieter Schley, 2015
Klaus Dieter Schley, 2015
Modern Coup Es war der Sonnabend vor Ostern. Durch die großen Fenster des Esszimmers strömte das frische Licht eines warmen und sonnigen April morgen. Die Vögel überboten sich in ihrem Frühjahreskonzert und die große Rotbuche vor dem Fenster stand protzig in einem rosa Kleid. Margot Friedrichs schenkte sich noch einen Kaffee ein. Nun war die Kanne leer. Während sie zwischen ihren Zähnen ein Körnchen aus der Brombeermarmelade zermalmte, schaute sie zu dem mit Kirschholz verkleideten rollenden Zylinder und dessen zwei kräftige, dennoch feingliedrigen Greifer. Die Maschine - ein Haushaltsroboter, der auf den Namen ROBO hörte - stand neben der Küchentür um auf Befehle zu warten, gleich einem richtigen Butler, nur das sich ROBO, während er wartete, mittels eines ausfahrbaren Stöpsel an die Steckdose angeschlossen hatte um Energie zu tanken. Doch eigentlich sah Margot Friedrichs durch ROBO hindurch. Denn sie musste immer wieder an das Ehepaar Jungmann denken - Nachbarn der Friedrichs, nur ein paar Häuser weiter -, deren grausames Schicksal sie noch immer nicht begreifen konnte. Vor einem Monat wurden die Jungmanns in dieser unaussprechlichen Verfassung gefunden. Es war ein Montag morgen gewesen als deren Haushälterin eine Entdeckung machte, die sie bis an ihr Lebensende niemals vergessen würde. Die arme Frau stand noch immer unter Schock, denn als sie ahnungslos das Haus betrat, befanden sich die alten Leute im ganzen Gebäude verteilt. Frau Jungmanns Kopf soll zum Beispiel auf einer Vase gestanden haben, während ihr rechtes Bein aus der Kühltruhe im Keller baumelte. Die Polizei hatte aber noch immer keine Spur von dem offensichtlich wahnsinnigen Mörder. Nein, an die Jungmanns wollte sie jetzt nicht denken. Zu schrecklich, zu unappetitlich für das Osterwochenende waren diese Erinnerungen. Zumal bei diesem friedlichen und lebenslustigen Wetter. Also schaute sie zu ihrem Mann hinüber der sich genüsslich ein Brötchen mit Honig beschmierte und nebenbei in die Tageszeitung schaute, die er neben sich ausgebreitet hatte. "Die Kaffeekanne ist leer", sagte Margot und hielt die Kanne hoch. Ihr Mann aber reagierte nicht. Er schien sie nicht gehört zu haben, so vertieft war er in seine Zeitung. "Steht etwas von den Jungmanns drin?" fragte sie nun mit deutlich lauter Stimme. "Nein", murmelte Erwin. Margot streckte sich und schielte auf die Zeitung. "Ach ja! Was denn sonst", dachte sie. Die ganze Aufmerksamkeit ihres Mannes wurde natürlich von einem Artikel über Roboter beansprucht. Sie schüttelte verständnislos ihren Kopf und rief nochmals: "Der Kaffee ist alle." Erwin schreckte auf, schaute seine Frau mit seinem seit einiger Zeit so auffallend abwesenden Gesichtsausdruck an und fragte: "Der Kaffee?" "Ja doch!" "Ruf ROBO und befehle ihm uns eine neue Kanne zu bringen", erklärte er, um sich sofort wieder dem Zeitungsartikel zu widmen. Margot schaute zur Küchentür. Dort stand ROBO wie ein toter Gegenstand (der er ja auch war) und ließ sich mit Strom voll laufen. Sie war entschieden dagegen gewesen ihn "Robert" zu nennen, wie es ihr Mann zunächst vorgeschlagen hatte. "Einen lebendigen Mann, einen Menschen aus Fleisch und Blut, einen richtigen Diener kann man Robert nennen", hatte sie sich empört. "Nicht aber so ein mit Brettern vernageltes elektrisches Monster!" "Elektronisch", hatte ihr Mann sie verbessert. "Und die Bretter bestehen aus feinem Kirschholz." Nun gut. Er hatte sein Willen durchgesetzt, dachte sie. Sie hatten ein Vermögen in die Automatisierung der Villa gesteckt. Doch anstelle eines Dieners, den zu beschäftigen sich entsprechend wohlhabende Leute erlaubten, geisterte bei ihnen ein Haushaltsroboter durch die Wohnung. Diese Maschinen waren seit einiger Zeit stark im kommen, wenn sie auch noch extrem teuer und vor allem noch nicht perfekt waren. Dennoch, ROBO war schon eine Meisterleistung der Technik. Der einem menschlichen Körper grob und plump nachempfundene Zylinder bewegte sich mit drei Beinen. Die Füße bestanden aus jeweils fünf kleinen, mit Motoren angetriebenen Rollen, ähnlich denen eines Bürostuhl. Diese Rollen wurden ergänzt durch feine Krallen und Saugnäpfe, so dass die Maschine bei Bedarf sogar auf unterschiedlich beschaffenem Untergrund Treppen steigen konnte. Am Ende der beiden Arme war eine ausgetüftelte Mischung aus Elektronik und Feinmechanik angebracht: Kräftige Greifer, die nicht nur mit Sensoren fühlen, sondern auch mittels winziger Kameras sehen konnten und die Gegenstände bei Bedarf mit Laserabtastung und Ultraschall zudem noch genauer erfassten, als dazu Menschen jemals in der Lage wären. ROBO "sah" also mit seinen Greifern, denn einen eigentlichen Kopf hatte die Maschine nicht. Der Zylinder war in gut eineinhalb Meter Höhe mit einer Halbkugel aus glänzendem Messing abgeschlossen, in der rundherum ein paar weitere Sensoren und Mikrophone wie auch ein Lautsprecher eingebaut waren. Der Roboter besaß über die meisten Gegenstände in der Wohnung alle notwendigen Informationen: wie sie aussahen, wo sie sich befanden, welche Funktion sie erfüllten und natürlich auch wie sie hießen. Denn ROBO reagierte auf gesprochene Befehle. Zumindest sollte er das. "Du wirst es mir wohl wieder nicht glauben, aber das Ding dort" sagte Margot nach einer Weile, "ist Eigenmächtig." Erwin Friedrichs schaute auf. Einige Augenblicke brauchte er, bis er sich von seiner Zeitung gelöst hatte und zu begreifen schien. Aber dann lächelte er mild und erklärte: "Ach Margot, ich habe es doch schon wiederholt gesagt: Ein Roboter, oder überhaupt eine Maschine mag noch so viele Aufgaben mit verblüffender Genauigkeit erfüllen, sie mag dies und jenes können und uns Menschen in vielerlei Hinsicht überlegen sein oder scheinen. Aber sie kann eines nicht: Sie wird niemals "Eigenmächtig" sein. Soweit ist die Entwicklung noch lange nicht!" Margot setzte die Kanne ab und trank in aller Ruhe einen Schluck Kaffee. Dann schaute sie ihren Mann in der Weise an, das er es für angeraten hielt sich vorerst nicht wieder in seine Zeitung zu vertiefen. "Gut", sagte sie, nachdem sie die Tasse wieder auf ihren Platz gestellt hatte. "Ich weis nicht wie du das Verhalten dieses Monster nennen magst. Nun höre einmal zu: vorhin, ich war im Schlafzimmer und kleidete mich an, kam das Monster an gerollt. In seinen schrecklichen Greifern hatte es die Klobürste. Nun rate einmal, was dein ROBO im Schlafzimmer mit der Klobürste wollte?" "Ich weis es nicht", lächelte Erwin. "Ich auch nicht. Aber das Monster schien es zu wissen: es reichte mir die Klobürste, und als ich sie nicht nahm, wollte es mir mit dem Ding durch die Haare gehen." "Und?" "Und? Ich habe 'ROBO Stopp!' gerufen. Genauso, wie du es mir erklärt hattest." "Richtig", sagte Erwin. "Nicht richtig. Denn ES bürstete nicht mehr meine Haare, dafür aber unser Bett. Ich rief nochmals stopp, da legte ES die Klobürste auf meinen Nachttisch und verschwand endlich. Nun, wie würdest du dieses Verhalten nennen?" Erwin Friedrichs faltete die Zeitung zusammen. Es war vorerst keine Ruhe mehr den äußerst interessanten Artikel über Büroroboter zu lesen. Also legte er die Zeitung zur Seite und wandte die Aufmerksamkeit ganz seiner Frau. "Ich würde es einen Bedienungsfehler nennen." "Ein - Bedienungsfehler?" "Ja Margot. Wenn eine Maschine nicht arbeitet, wie gewünscht, dann ist das auf eine falsche Bedienung zurück zu führen." "Ich habe diese Tonne" - Margot nickte mit ihrem Kopf zu ROBO hinüber - "nicht bedient. Ich habe ihr keinen, nein, nicht den kleinsten Befehl gegeben. Das Ding hat von ganz allein - also eigenmächtig - die Klobürste auf mein Nachttisch gelegt." Erwin leerte mit einen großen Schluck seinen Kaffee, der zwischenzeitlich kalt geworden war. Dabei schaute er seine Frau nachdenklich an. Er wusste nur zu gut sie würde lange Zeit brauchen bis sie sich an ROBO und die anderen automatischen Dinge im Haus gewöhnt haben würde. Schließlich hatte sie auch mehr als ein Jahr benötigt, bis sie mit ihrem neuen Auto und der eingebauten Stauwarnung zurecht gekommen war. Denn die ersten Monate war sie seltsamerweise geradezu zielstrebig immer in die längsten Staus der ganzen Region geraten. "Gut Margot. Ich glaube dir. Aber du weist, die Firma die diese Haushaltsroboter herstellt - übrigens eine international erfolgreiche Markenfirma - hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass es wohl einige Wochen dauern kann bis ROBO fehlerfrei seine Routinearbeiten erledigt. Er muss sich erst die verschiedensten Tätigkeiten und ihre Häufigkeit in sein Programm einschreiben. Man kann das auch so ausdrücken: ROBO ist eine Maschine, die nicht wie ein Bügeleisen oder ein Kaffeemaschine geliefert wird und sofort gebrauchsfertig ist. Der wesentliche Teil einer Maschine seiner Art muss noch vor Ort, das heißt bei uns und durch uns geschaffen werden: ROBO muss geradezu lernen, was er und wie er seine Aufgaben bei uns erledigen soll. Darin, aber nur darin, ist er uns Menschen gleich. Schau einmal: Du erinnerst dich doch, als vor Jahren die Personalcomputer in den Büros auftauchten. Ehe die Programme den jeweiligen Bedürfnissen angepasst waren, ach Herrjemine, dass hatte manchmal gedauert! Aber vielleicht hast du gesungen?" "Gesungen?" Margot kniff in ihrer gefährlichen, Alarm signalisierenden Art die Augen zusammen, so das ihr Mann seinen Blick schweifen ließ. "Herrgott!" dachte er, "dass kann ja ein Wochenende werden." "Ja, du singst doch oft, wenn du im Schlafzimmer oder im Bad bist", sagte er endlich. "Ich hab' dich doch schon gehört, Margot. Übrigens, habe ich dir schon mal gesagt, dass du eigentlich eine hübsche Stimme hast, - ich meine, wenn du singst?" Ein wildes Gezeter schlug plötzlich aus dem Garten in das Esszimmer. Amsel schienen in einen Streit geraten zu sein, denn aus der Rotbuche schneiten Blütenblätter und ein Vogel nach dem anderen hüpfte aus der dichten Krone heraus um sogleich wieder heftig zeternd im rosa Blütenmeer einzutauchen. "Nein! Ich habe nicht gesungen", sagte Margot nach einer kurzen Pause, während sie dem Treiben in der Rotbuche verfolgte. "Erwin, ich muss immer an die Jungmanns denken. Was mit denen geschehen ist, keine zweihundert Meter von hier entfernt. Und da ist mir nicht zum Singen zumute." "Ich meinte ja auch nur - falls du etwas gesungen haben solltest, könnte ROBO dies versehentlich als ein Befehl aufgefasst haben." "Darf ich jetzt, wo wir diese blöde Maschine im Haus haben, nicht einmal mehr singen?" "Doch, doch, so war das nicht gemeint. Es war nur eine Mutmaßung wie diese Fehlfunktion zustande kam", beruhigte Erwin und griff zur Kaffeekanne. Er hielt sie hoch. "Die Kanne ist leer." "Ja Erwin." "Pass einmal auf. Ich zeige dir wie einfach ROBO mit einer Aufgabe betraut werden kann." Margot lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. In der Rotbuche war wieder Frieden eingekehrt und auch die Amseln stimmten in dem munteren Frühlingskonzert aller Vögel ein. Es erschien ihr unwirklich, paradox, ja gegen den guten Geschmack, als ihr Mann, immerhin ende fünfzig und ein erfolgreicher Spediteure und anerkannter Kunstsammler, mit betont deutlicher Stimme rief: "ROBO - bitte - die - Kanne - mit - frischem - Kaffee auffüllen!" Der mit Kirschholz verkleidete Zylinder zog seinen Stöpseln aus der Steckdose (Margot musste trotz allem Ärger schmunzeln, wenn sie diesen Stöpsel sah) und setzte sich sofort in Bewegung. Kaum vernehmbar surrte er durch das Esszimmer, wobei er einen seiner Greifer erhob, die Kaffeekanne suchte, anvisierte, die Kanne ergriff und mit dieser umgehend in die Küche verschwand. Erwin Friedrichs lehnte sich zufrieden zurück und schaute seine Frau erwartungsvoll an. Der skeptische, ja abweisende Gesichtsausdruck seiner Frau war aber keinesfalls gewichen als sie sagte: "Ist es wirklich nötig so betont zu sprechen? Und warum diese Höflichkeit gegenüber eine Maschine? Ich komme mir dabei dumm vor." "Siehst du Margot", rief ihr Mann. "Von deinem Gefühl her gestehst du selbst, das es eine Maschine und kein zu fürchtendes unheimliches Monster ist. Nun brauchst du nur noch vom Verstand her dies zu akzeptieren, und schon ist ROBO auch für dich ein einfaches nutzbringendes Gerät..." "Zu dem ich höflich sein muss." "Das ist ein psychologischer Trick." "Psychologie für einen seelenlosen Apparat?" "Für uns Menschen! Ob Haushaltsgeräte, wie bei uns, oder Computer -, sie werden zunehmend durch gesprochene Befehle bedient. Würde man seine Wünsche nur in knappen Befehlen äußern, so würden wir uns diesen Ton auch in der zwischenmenschlichen Beziehung aneignen. Das zumindest hatten entsprechende Fachleute befürchtet. Doch meine liebe Margot, man hat eine Lösung gefunden: Einfach Höflichkeitsfloskel in die Befehle einbauen. Wir verlernen dadurch nicht BITTE zu sagen." Margot schüttelte ihren Kopf. "Zu einer Maschine 'bitte' sagen, nein Erwin, was für Zeiten." Da ging auch schon die Küchentür auf und ROBO surrte heran. In seinem rechten Greifer hielt er die Kaffeekanne. Zielstrebig kam er zum Frühstückstisch und stellte sie ab. "Bitte, eine mit Kaffee nachgefüllte Kanne", tönte aus dem inneren des Apparates die wohlklingende Stimme eines jungen Mannes (Margot hatte die Stimme ausgesucht). "Danke ROBO", sagte Erwin. Darauf surrte ROBO zurück an seinem Platz bei der Küchentür, ließ den Stöpsel ausfahren und versorgte sich weiter mit Energie. "Siehst du!" freute sich Erwin. "Es klappt doch vorzüglich. Genauso wie ein Diener. Nur das ROBO auf Dauer preisgünstiger ist, nicht krank wird, keine Sozialversicherungsbeiträge kostet und kein Essbesteck klaut!" Er nahm die Kanne hoch und strahlte über sein ganzes Gesicht: "voll!" rief er und goss sich darauf zufrieden schmunzelnd eine graue, schäumende Brühe ein. "Abwaschwasser!" stellte Margot sofort fest. Dabei schaute sie ihrem Mann, der urplötzlich wieder seinen auffallenden Gesichtsausdruck angenommen hatte, triumphierend an. Das ROBO den Frühstückstisch fehlerfrei abräumte, das Geschirr ab wusch und geschickt wie wieselflink an die richtige Stelle im Schrank einräumte, mochte Margot zunächst nicht glauben. Bangend um ihr Geschirr hatte sie der Maschine zugeschaut und auch Erwin stand dabei, stolz wie ein Vater auf die ersten Streiche seines Sohnes. Aber ROBO funktionierte wie im Prospekt versprochen, und so ließ Erwin sich zur Krönung einen Gartenstuhl auf die Terrasse stellen, um dort in Ruhe nicht nur das wundervolle Wetter zu genießen, sondern endlich auch seinem neuen Hobby zu frönen und die überaus interessanten Artikel über Roboter und dergleichen zu lesen. Zuvor ging er aber in sein Atelier, das sich hinter dicken Mauern im Keller befand und ließ einen stolzen Blick über seine Gemälde und Skulpturensammlung streifen. Die Kunstwerke waren in den vergangenen Jahren deutlich in ihrem Wert gestiegen und machten inzwischen den größten Teil seines Vermögens aus. Seine Frau zog sich in ihr Musikzimmer zurück um mit ihrer Freundin Regina zu telefonieren. Regina war mit ihrem Mann an den Gardasee gefahren - auf drei Wochen Urlaub. Unterdessen saugte ROBO den Teppichboden im Esszimmer. (Sorgfältig! Margot konnte es gar nicht fassen.) Erwin hatte sein Atelier wieder verlassen und sich in den Liegestuhl gesetzt und schaute eine Weile über den Garten. Der Winter war so mild gewesen, dass nicht einmal die Schneeglöckchen gekommen waren. Dafür dürfte in den nächsten Tagen die Obstbaumblüte voll zur Geltung kommen. Tulpen und Narzissen standen schon in ihrer Pracht, auch die Rosen machten sich und die beiden Rotbuchen erst. Die Gartenmöbel waren ordentlich und vollständig in ihre Sitzecke aufgestellt. ROBO hatte also doch funktioniert. Gut, man würde Geduld haben müssen und in Kauf nehmen, dass einiges nicht gleich so lief wie gewünscht. Eben das hatte die Techniker ja auch vorhergesagt und begründet. Nachdem er eine Weile tief durch geatmet hatte, zog er aus seiner Brusttasche ein kleines Gerät. ROBO saugte noch immer, denn deutlich war der Staubsauger zu hören. Also eine gute Gelegenheit auszuprobieren ob der Roboter diese Arbeit würde unterbrechen können. Er drückte eine Taste und sprach: "ROBO - bitte - bringe - mir - die Tageszeitung - auf - die - Terrasse". Aus dem Gerät erschallte die Stimme des jungen Mannes. "Für Herrn Friedrichs die Tageszeitung auf die Terrasse bringen." Gut so, dachte Erwin und klappte das kleine Gerät zusammen. Was musste jetzt alles geschehen, damit dieser Befehl ausgeführt würde? ROBO hatte den Befehl durch Funk über den zentralen Hausrechner erhalten. Zunächst musste der Satz analysiert werden. Seine Stimme musste als die von "Herrn Friedrichs" erkannt werden. "Tageszeitung" war ein Begriff für einen Gegenstand, der an einem genau bezeichneten Ort lag. Wenn die Zeitung dort nicht liegen würde, würde der Befehl noch nicht ausgeführt werden können, denn ROBO hatte noch nicht gelernt, Gegenstände auch an anderen Orten zu suchen. Nachdem er die Zeitung ergriffen hatte, musste ROBO auf die Terrasse kommen und dort nach einer Person suchen, die wie Herr Friedrichs aussah. Denn es könnten ja auch mehrere Personen auf der Terrasse sitzen. "Mal schauen, ob ROBO damit fertig wird", dachte er und beobachtete die Tür. Nicht lange brauchte er zu warten, da kam ROBO an gerollt, die Tür öffnete sich automatisch, wie alle Türen des Hauses sich bei Annäherung oder durch Zuruf öffneten. ROBO hob eines der Teleskopbeine, tat also einen Schritt, denn eine Stufe machte diese Fortbewegungsfunktion der Maschine nötig. Nun wurde das andere Teleskopbein nachgezogen, dann das dritte und jetzt konnte ROBO auf den Steinen rollen. In dem einen Greifer hatte er die Zeitung, mit dem anderen suchte er, bis er Erwin entdeckte und zu ihm hin rollte. "Bitte Herr Friedrichs, die Tageszeitung." "Danke ROBO". Der Roboter rollte davon. Na bitte, er funktioniert wie er soll, dachte er zufrieden und beobachtete einige Augenblicke die Bienen, die in den Kelchen der blühenden Blumen und Sträucher direkt am Terrassenrand emsig ein und aus flogen. Aus dem Inneren des Hauses erklang plötzlich die Stimme von Margot. Sie hatte endlich Verbindung mit ihrer Freundin bekommen. Wenn sich auch die Verbindung mit Sicherheit nicht in der Qualität von einem Ortsgespräch unterschied, so erhob Margot doch ihre Stimme, als telefoniere sie noch wie zu Beginn des 20. Jahrhundert. Einzig und allein wegen der Entfernung glaubte sie so laut reden zu müssen. Typisch Margot. Erwin konnte also alles verstehen was seine Frau in den Apparat rief: - Ach Regina, was ich nicht sage. Aber das Monster rollt schon wieder durchs Zimmer. Und bei euch regnet es? - Ehrlich, was für ein Trost. Ihr sitzt am Gardasee und habt ein verregnetes Ostern und bei uns ist das schönste Frühlings - ach was sag ich! - Sommerwetter... - ja, dafür saust dieses Monster bei uns durch das Haus... - naja, Erwins liebster Wunsch, der Narr... - ja, alles automatisch. Sogar einen eigene Computerraum haben wir... - ja mit Monitoren... - ja auch einer Alarmanlage, das Modernste und Sicherste was es gibt. Mit automatisch verschließbaren Türen... - ja alle Türen, auch die Innentüren. Ich hoffe nur das es funktioniert, sollte mal wirklich jemand kommen... - ach Regina, erinnere mich nicht! Die Jungmanns, immer noch nichts neues... - Zufallsopfer sollen sie sein, sagen die einen. Demnach hätte es jeden erwischen können, auch uns Regina. Stell Dir mal vor: mein Kopf auf einer Blumenvase! Erwin aber sagt, wir seien in unserem Haus sicher. Selbst wenn jemand drin wäre, was nahezu unwahrscheinlich sei, können wir ihn in jedem beliebigen Raum einsperren... - ja, indem wir einfach die entsprechenden Kommandos geben... - genau, wenn das man funktioniert... - nein, die Jungmanns hatten keine Alarmanlage... - soviel ich weiß, früher schon. Aber die soll im Sommer, wenn es heiß wurde, ständig Fehlalarm ausgelöst haben. Da haben sie die ausbauen lassen und sich eine Gans angeschafft... - ja, du hast richtig gehört, eine Gans! Kein Hund. Gänse sollen noch besser sein als Hunde... - nein, Jungmanns Gans hatte nicht angeschlagen. Die konnte doch nicht mehr Regina. Die war doch tot. Ein Tag vorher gestorben. Ganz plötzlich. An Gift... - genau. Das eben macht die Sache doch merkwürdig. Erst die Gans und einen Tag später... - ja, scheint dann doch nicht so sicher zu sein. Und Erwin sagt, siehst du Margot, unsere Alarmanlage kann kein Mensch vergiften. - sicher, da hat er recht. Apparate sind tote Dinger... - nein Regina. Wir haben Batterien. Wenn der Strom weg ist läuft alles so weiter. Mehrere Tage... - ja, sicher wie in einer Burg. Sagt auch Erwin. Unser Haus sei nun wie eine Burg, - wenn sie nicht gerade mit Kanonen auf uns schießen... - du warte mal, ich muss das Monster beschäftigen. Das steht hier so aufreizend herum." Margot legte den Hörer zur Seite und konzentrierte sich auf den Roboter. "ROBO - bitte - die - Polstermöbel - im - Salon - absaugen." "Im Salon die Polstermöbel absaugen", antwortet die Maschine und setzt sich sofort in Bewegung. - Hast du gehört? - ja, ich finde es auch albern so zu sprechen. Aber Erwin meint, wegen der Psychologie... oh Regina, das Monster!" Kaum war ROBO in den Salon gerollt surrte er auch schon wieder zurück. Beide Greifarme streckte er von sich, als wollte er einen größeren Gegenstand aufnehmen. Er rollte schnurstracks auf Margot zu, die vor Schreck auf ihrem Stuhl verharrte. Doch kurz bevor er sie erreicht hatte, drehte er ab, rollte zweimal um Margot herum und kam in ein paar Meter Entfernung zum stehen. - Oh Regina, jetzt habe ich einen Schreck bekommen. Das Monster...- ja, ich lebe noch, aber das Ding macht was es will... - nein, aber Erwin sagt... - gut Regina, ich höre deinen Mann im Hintergrund. Ihr wollt heute noch nach Venedig? Wie schön. Hoffentlich habt ihr gutes Wetter... - ja, dieses Jahr wollen wir in aller Ruhe die Ostertage verleben. Keine Besuche, wir haben allen abgesagt, wir fahren nirgends hin, wir wollen die Ruhe genießen... - ja danke Regina! Grüße deinen Mann!" Margot legte den Hörer auf. Als sie aufschaute rollte ROBO einen Meter vor und aus seinem Inneren erklang die sympathische Stimme des jungen Mannes: "Ich habe im Salon die Polstermöbel abgesaugt." Margot lachte auf. Mit einem Ruck erhob sie sich und rief: "Nichts hast du, du Scheusal, du altes Monster!" ROBO setzte sich in Bewegung und rollte in die Küche. Margot folgte ihm und blieb beobachtend in der Küchentür stehen. Wie von Geisterhand öffnete sich leise surrend die Tür des Kühlschranks. ROBO entnahm ihm eine Flasche mit Orangensaft, füllte ein Glas mit dem Saft, nahm aus dem Gefrierfach mit äußerster Präzision einen Eiswürfel und einen Trinkhalm aus einem Schrank und stellte zuallerletzt das Glas mit dem eisgekühlten Orangensaft auf ein kleines Tablett. Das nahm er vorsichtig in seine Greifzange und rollte zur Küchentür. Dort blieb er vor Margot stehen. Und weil Margot nicht gleich zur Seite ging, erhob ROBO den freien Greifarm um den Gegenstand, der ihm den Ausgang versperrte, genauer zu fixieren. Doch noch bevor er den Arm in Position hatte sprang Margot zur Seite. Unverzüglich rollte die Maschine in den Flur auf die große getönte Glastür des Salon zu. Die weiten Flügel der Tür schwenkten auf, ROBO rollte durch den Salon, Margot lief hinter ihm her, die Maschine rollte weiter zur Terrasse. Margot beobachtete, wie ROBO das Tablett ihrem Mann mit den Worten "Bitte Herr Friedrichs, ein Glas eisgekühlten Orangensaft" überreichte. "Danke ROBO" sagte Erwin. Die Maschine rollte zur Tür, blieb vor Margot stehen, hob einen Greifer, aber Margot ging unverzüglich aus dem Weg. ROBO verschwand in die Küche. Nun trat Margot auf die Terrasse. Erwin hatte die Zeitung ausgebreitet und sich die große Reportage von der Robotermesse vorgenommen. "Na", sagte er, als Margot wortlos neben ihm verharrte. "Was gibt es schönes in Italien?" "Kann uns ROBO eigentlich gefährlich werden?" Erwin ließ die Zeitung sinken und bekam seinen Gesichtsausdruck. "Was meinst du?" "Ich meinte ob..." "Ach Margot! Was ist denn jetzt schon wieder? Wie kommst du denn auf diesen Gedanken?" "Ein Gedanke, Erwin, nur so ein Gedanke..." Sie drehte sich um und ging ins Haus, kam aber umgehend bis zur Tür zurück und rief: "einen schönen Gruß von Regina. In Italien regnet es - und sie ist meiner Meinung. Wegen dem Monster!" Erwin warf die Zeitung zur Seite und stand auf. "Herrgott noch mal!" stöhnte er und verschwand in den Garten. Die große Rosenhecke war im das Liebste im Garten. Er band sich eine derbe Schürze aus Leder um und bewaffnete sich mit einer Heckenschere. Nun stand er in dem weitläufigen Garten (den man mit Recht auch einen Park würde nennen können) und schaute sich Zweig für Zweig seines Lieblingsstückes an. Hier und da schnitt er abgestorbene Zweige heraus und schnupperte an den jungen Blüten. Für die Gartenarbeit war ROBO noch nicht programmiert und so stand der Automat mit hängenden Greifern neben ihm. Denn um weiteren Ärger mit seiner Frau zu vermeiden und um das Osterwochenende in der erhofften Ruhe genießen zu können, hatte er sich entschieden, die Maschine bei sich zu führen. Diese Arbeit würde er indessen auch niemals von ROBO ausführen lassen. Dafür waren ihm die Rosen zu lieb, wie er auch die Arbeit selbst genoss. Gleichwohl hatte er der Maschine den Geräteschuppen für das Gartenwerkzeug gezeigt; hatte ihr die einzelnen Werkzeuge erklärt und ihr die Funktion des Rasenmähers erläutert. Ob es ihm gelingen würde den Roboter zu instruieren, die recht großen Flächen sauber zu mähen? Wie war zu verhindern, dass ROBO die kleinen Blumenrabatten, die als bunte Tupfe von seiner Frau in die Grünflächen eingelassen waren, einfach übersah und zerstörte? War das Programm der Maschine so gut um die ständigen natürlichen Veränderungen der Rabatten zu erkennen? An derartigen Kleinigkeiten scheiterten bislang noch immer die ausgefeiltesten Programme für elektronische Hausdiener. Maschinen sind nun einmal keine Menschen und können nicht denken, sagte er sich, mit einen Seitenblick auf den mit "Brettern" verkleideten Roboter. Da entdeckter er wieder einen winzigen, trockenen Zweig. Mit ruhiger, konzentrierter Hand führte er die Spitze der Schere an das Objekt heran, spreizte etwas die Scherenblätter und hörte seine Frau rufen. - Oder doch nicht? Unverrichteter Dinge zog er die Schere aus den Rosen heraus und lauschte. Die Vögel sangen, hoch am blauen Himmel brummte ein Sportflugzeug und Margot schwieg. Oder doch nicht? Erwin hatte das Gefühl das im Haus sein Name gerufen wurde. Nur weshalb? Er drehte sich um, aber ROBO stand auf einen Befehl wartend noch immer an seinem Platz, hatte seine Greifer hängen, war also weit davon entfernt Ursache eines Missverständnisses zwischen Mensch und Maschine zu sein. So stopfte er die Schere in seine Schürzentasche und während er zum Haus eilte band er sich die Schürze ab und ließ sie auf die Terrassenfliesen fallen, denn nun war seine Frau unüberhörbar. Margot Friedrichs befand sich auf der Toilette. Als sie ihren Mann endlich kommen hörte, erhob sich aus dem futuristischen stillen Örtchen ein Gezeter, das dem der Amseln nachempfunden war und darüber hinaus zu einer neuen Qualität ansetzte. Ihr Mann lief "ja, ja, ich komme schon", rufend durch den Salon, die große Glastür schwenkte seinem Laufschritt in der Geschwindigkeit angemessen auf ("wie schön das alles funktioniert", dachte er sich dabei) und rief nochmals, "ja doch Margot, Liebes, ich komme schon!. Was ist denn los?" "Das wird auch Zeit! Ich schreie mir hier die Kehle aus dem Hals und du rührst dich nicht!" "Ich verstehe nicht..." "Du verstehst nicht? Ich sitze fest!" "Auf dem Pott?" "Nein! nein! nein! nicht auf dem Pott! Ich bin eingeschlossen und komme nicht heraus. Schon seit einer geschlagenen halben Stunde! Wo warst du?" "Bei den Rosen." "Lässt mich allein..." "Aber Margot." "In diesem verwunschenen, verhexten, verteufelten Haus!" "Aber Margot Liebes!" "Ich mag nicht mehr..." "Aber Margot!" "Ich mag nicht mehr reden mit der Toilettenspülung, mit den Türen, mit dem Kühlschrank, mit der Kommodenlampe..." "Liebes..." "Ich mag nicht mehr! Bin ich denn verrückt?" "Aber Liebes! Was ist denn los?" "Lass mich jetzt raus Erwin." "Aber Margot Liebes. Wenn die Toilettentür von innen verschlossen wurde, so lässt sie sich nur von innen öffnen. Das war früher schon in dieser Art sinnvoll." "Und es funktionierte! Das alte Schloss funktionierte dreißig Jahre lang, Erwin. Immer!" "Was hast du denn gesagt?" "Was wohl? Tür auf! habe ich gesagt" "Und?" "Nichts. Die Tür regt sich nicht." "Da ist doch auch noch ein Knopf." "Ja Erwin, ich weiß. Hältst du mich denn für dumm? Ich habe auf den Knopf gedrückt. Einmal, hundert mal, tausend mal." "Und?" "Nichts! Ich habe gedrückt und ich habe es gesagt, immer wieder. Zehnmal, hundert mal, tausend mal." "Aber Margot Liebes..." "Ja Erwin?" "Sag es noch einmal." Plötzlich war Ruhe. Erwin lauschte, doch jenseits der Toilettentür blieb es ruhig. Sekundenlang. "Margot Liebes. Was ist?" "Ruhe!" zischte es hinter der Tür. "Ich muss mich konzentrieren." Wieder vergingen einige Augenblicke, plötzlich aber hörte er seine Frau mit konzentrierter, fester Stimme: "Tür - bitte - öffnen!" Erwin sprang einen Schritt zurück, denn unverzüglich öffnete sich die Toilettentür mit einem feinen surren. Margot hielt ihre Hände vor den Mund und kreischte. "Aber Liebes!" "Erwin, die Tür!" "Ja Margot. Die Tür ist auf." "Ich werde verrückt Erwin." "Aber Liebes!" Margot kam einen Schritt auf ihren Mann zu. "Wenn ich nicht wüsste, dass unser Haus mit dieser verdammten Elektrik voll gestopft ist dann..." sie hob ihren rechten Zeigefinger und zitterte damit, als wolle sie das Jenseits zur Zeugenschaft herbeirufen, "dann würde ich sagen..." "Ja was denn Margot?" "Erwin, wir sind in unserem Haus nicht allein." Erwin stierte seine Frau verständnislos an. Doch bevor er etwas zu sagen wusste, bemerkte er in ihrem Gesicht ein blankes Entsetzen. Er drehte sich langsam um und sah, wie ROBO durch die Salontür gerollt kam. Einen Greifer streckte er von sich um seinen Weg zu finden und in dem anderen Greifer hielt er ein Beil. ROBO erhob das Beil und rollte direkt auf die erstarrten Friedrichs zu. Abrupt blieb er vor Erwin stehen. "Bitte Herr Friedrichs, das Beil." Mit seinem 'Gesichtsausdruck' nahm er wortlos das Beil entgegen. Dann lächelte er zu seiner Frau, die noch immer auf den Roboter stierte. Der aber setzte sich sofort wieder in Bewegung und rollte davon. Nach diesem Vorfall ging Margot wortlos und blass wie eine Leiche in ihr Musikzimmer. Erwin eilte in den Garten und verstaute das Beil im Geräteschuppen. Dann wechselte er das kleine Vorhängeschloss der Tür gegen ein wesentlich massiveres Modell aus. ROBO stand die ganze Zeit auf seinem Warteplatz neben der Küchentür und hatte seinen Stöpsel in der Steckdose. Erwin entschied auf den Roboter über die Ostertage zu verzichten. So deckte er selbst den Tisch und kochte auch das Mittagessen. Es gelang ihm gut und Margot zeigte sich versöhnlich, besonders als sie hörte, das ihr Mann ROBO abschalten wollte. Gleich nach dem Essen würde er das entsprechende Programm in der Haussteuerungsanlage beenden. Vorher stellte er aber seiner Frau die Liege in den Garten und während Margot sich in die warme Sonne legte, wusch er das Geschirr. ROBO stand regungslos auf seinem Platz und ließ sich mit Energie voll laufen. Interessante Zeitungsartikel über Computer und Roboter zu lesen ist das Eine, das Andere, mit diesen Geräten richtig umzugehen. Erwin saß im Kontrollraum vor dem Monitor der Haussteuerungsanlage. Was musste er machen um ROBO abzuschalten? Eigentlich hatte er nicht damit gerechnet diese Funktion zu gebrauchen. Denn der teure Roboter sollte ja arbeiten und nicht herumstehen. Nach einigem Rätseln glaubte er die richtigen Kommandos gesetzt zu haben. Zu Sicherheit gab er ROBO, der noch immer Strom tankte, den Befehl, die Blumen im Wohnzimmer zu gießen. Aber ROBO rührte sich nicht und so verschwand Erwin beruhigt in sein Arbeitszimmer, um sich über die aktuellen Nachrichten vom Kunstmarkt zu informieren. Ob in dem leise laufenden Radio jemand geschrien hatte oder ob der Schrei von draußen kam -, er horchte kurz auf, es war aber ruhig, nur die Vögel zwitscherten und irgendwo in der Ferne jaulte ein Motorrad. Bloß nicht noch nervös werden, sagte er sich und beschäftigte sich gleich wieder mit den neuesten Trends und Angeboten. Zwischendurch stand er auf, schaute nach dem stillgelegten Roboter und nach seiner Frau, die inzwischen eingeschlafen war. Sie murmelte leise. Wahrscheinlich träumte sie etwas. Beruhigt widmete er sich wieder dem Kunstmarkt, der in letzter Zeit von ein paar spektakulären Einbrüchen in Museen und in private Sammlungen heimgesucht wurde. Das Ehepaar Jungmann war etwas älter als die Friedrichs. Ein oder zweimal im Jahr lud eines der Paare das andere ein, auf einen Kaffee am Nachmittag. Das letzte Mal waren sie bei den Friedrichs, weil Erwin den Haushaltsroboter vorführen wollte. Frau Jungmann war eine schlanke, hoch gewachsene Frau. Sie hatte ein schmales Gesicht und lange dürre Finger die immer in Bewegung waren und wie die Fühler eines Insektes alles abtasteten. Von Zeit zu Zeit fuhren ihre Hände vorsichtig über ihr lockiges und vollständig graues Haar. Entgegen der fiebrigen Nervosität seiner Frau saß Herr Jungmann bis zur Unscheinbarkeit ruhig auf seinem Platz. Er war leicht untersetzt, mit kleinem Bauch und glänzender Halbglatze. ROBO servierte Fruchtsaft für die Frauen und Bier für die Männer. Man unterhielt sich über Einbrecher und Frau Jungmann befühlte nach jedem zweiten Satz, den sie sagte - und sie wusste immer viel zu erzählen - ihre Haare, dann fingerte sie an der Kante des kleinen Gartentisches herum, oder strich über die Tischdecke, während sie die Gegenstände aufzählte und ausführlich beschrieb, die bei einem Nachbarn, einem Arbeitskollegen oder einem Geschäftsfreund ihres Mannes gestohlen worden waren. Auch Margot wusste dergleichen zu schildern. Ob es den Tatsachen entsprach oder maßlos übertrieben war schien war bei dem Gespräch dem Anschein nach unerheblich. Man gefiel sich beim leichten Gruseln. Erwin aber gähnte, das war nicht sein Thema und Herr Jungmann saß wie ein braver Schuljunge auf seinem Stuhl und hörte mit ausdruckslosem Gesicht den Gesprächen zu. Nur hin und wieder bestätigte er die Ausführungen seiner Frau. ROBO war ins Haus gerollt und hatte Kartoffelchips und Salzstangen geholt. Frau Jungmann fand die Maschine putzig und fragte Erwin jedes mal, was man ihr noch alles befehlen könne. Dann erwachte er aus seiner gähnenden Trägheit, freute sich über die Frage und die Möglichkeit, seinen Haushaltsroboter vorzuführen. Margot wies plötzlich besorgt zum Himmel, der überall strahlend blau war und wolkenlos. Nur direkt über dem Garten befand sich eine dunkle Wolken, die bedrohlich über die kleine Gartengesellschaft hing und mit ihren Schatten die Gesichter der Anwesenden verdüsterte. Erwin gähnte und Frau Jungmann strich sich über ihre Haare. "Ach was, es wird schon nicht regnen", sagte sie. Es war heiß und schwül. ROBO rollte ins Haus um für die Männer noch eine Flasche Bier zu hohlen. Margot schwitzte und schaute besorgt zum Himmel. Die Wolke verdunkelte wieder die Gesichter als ROBO zurück kam, aber nicht mit dem Körbchen und den Bierflaschen darin, sondern mit einem großen Tablett und einer silbern glänzenden Warmhalteglocke darauf. Erwin klatschte vor Freude in die Hände. Inzwischen war es fast dunkel, so riesig und drohend stand die Wolke am Himmel. ROBO rollte mit dem Tablett direkt an Margots Seite. Er hielt das Tablett weit von sich um es zu präsentieren und mit seinem zweiten Greifer griff er die Glocke und lüftete sie. Auf dem Tablett stand der blutige Kopf von Frau Jungmann. Entsetzt schaute Margot auf. Ihr gegenüber saß die Nachbarin noch immer auf ihrem Platz; die dürren Hände vor sich auf dem Tisch liegend, ruhig, wie festgeklebt, während dickes Blut aus ihrem Hals schoss und auf Margot herunter regnete. Grell schrie sie auf... ROBO hielt die Gießkanne über Margots Haare und ließ das Wasser laufen. Als sie kreischend aufsprang, trollte sich der Roboter sofort davon. Zitternd saß sie auf ihrem Liegestuhl. Ihr Haar war von dem Blumenwasser klatschnass. Es dauerte eine Weile bis sie begriff, dass sie geträumt hatte und das ROBO außer den Topfpflanzen auch ihren Kopf begossen hatte. Ihre ganze Friseur war zerstört. Wütend lief sie los um nach ihren Mann zu rufen. Erwin bekam feuchte Hände. Das phantastisch preisgünstige Angebot einer Skulptur von einem alten italienischen Meister stand auf seinem Bildschirm. Sie würde bestens in seine Sammlung passen. Doch warum diese Schreie? Er hörte seinen Namen rufen, Margot suchte ihn und gerade wollte er aufstehen, als die Tür hinter ihm aufging und seine Frau mit ihrem klatschnassem Haar ins Zimmer schaute. "Hast du geduscht?" Margot kreischte. Sie hatte ihre Fäuste geballt und schüttelte den Kopf, dass die Wassertropfen nur so flogen. "Ich werde Wahnsinnig!" schrie sie. Plötzlich erstarrte sie einen Moment, dann schaute zwischen Erwin und dem Bildschirm hin und her. "Du altes Schwein!" Sie schüttelte ungläubig ihren Kopf. Erwin verstand nicht, wollte etwas sagen, da viel sein Blick auf den Bildschirm. Eine nackte Frau vergnügte sich mit zwei jungen Typen. Schlagartig war sein Gesichtsausdruck von der Art, das seine Frau schon manchmal glaubte, er habe den Verstand verloren. Margot drehte sich wortlos um und verschwand aus dem Arbeitszimmer. Automatisch schloss sich hinter ihr die Tür. Erwin wollte ihr folgen, verfing sich aber mit seiner Strickjacke an der Stuhllehne. Auf dem Computerbildschirm war wieder die Skulptur eines Jünglings zu sehen und das Mindestgebot - bis spätestens übermorgen abzugeben. Mit beiden Händen stützte er sich auf den Schreibtisch und stierte auf den Bildschirm. Was war eigentlich los? Plötzlich sprang er von seinem Sessel auf und eilte seiner Frau nach. "Das ist ein Missverständnis! Bitte hör' mir zu!" Er lief in den Flur, suchte sie auf der Toilette, in ihrem Musikzimmer, schaute in den Computerraum und stand einen Moment rätselnd vor dem Hauptrechner, der leise vor sich summend keine Anzeichen irgend einer Störung offenbarte. Auf dem Bildschirm standen die üblichen Kontrollparameter. Nichts auffälliges, alles hatte seine beste Ordnung. Und die Salontür öffnete sich entsprechend der Geschwindigkeit, mit der er sich ihr näherte. Die Tür ließ ihn ungehindert passieren. Im Salon war Margot nicht. ROBO stand auf seinem Platz, tankte Energie und beinahe hätte Erwin den Roboter gefragt, wo seine Frau sei, wenn sich nicht im gleichen Augenblick die Rollläden der Fenster in Gang gesetzt hätten und den Salon rundum verdunkelten. Margot erschien in der Tür, noch immer die Haare klatschnass. "Was soll das?" rief sie. "Warum verdunkelst du? Willst du dich nun nach genossenem Anschauungsmaterial vergnügen?" "Margot!" rief Erwin. "Lass dir doch erklären!" Die Fenster waren nun vollständig verdunkelt. Nur vom Flur drang noch etwas Tageslicht in den Raum." "Rollläden hoch!" rief er, aber ohne Erfolg. Margot lachte. "Vergieß die Höflichkeit nicht!" kreischte sie. Erwin tastete sich durchs Zimmer zu einem der Fenster und drückte auf den Knopf, um die Rollläden manuell zu lüften. Aber es erfolgte keine Reaktion. "Glaubst du wirklich in dieser Hightech-Bude funktioniert noch irgend etwas?" Erwin stellte sich in einem Meter Abstand vor dem großen Fenster, als wollte er eine Gruppe Soldaten befehligen. "Bitte - die - Rollläden - hoch!" Margot lachte. "Spare dir deine albernen Kommandos." Erwin tastete sich zum nächsten Fenster, stieß gegen einen Kaktus, fluchte, Margot lachte hysterisch, "Bitte - die - Rollläden - hoch!" befahl ihr Mann einmal, zweimal, drückt bei dem großen Fenster auf den Knopf und bei den beiden kleinen genauso wie bei der Terrassentür - aber die Rollläden reagierten nicht. Sein Kopf lief rot an. Er stellte sich in die Mitte des Salon und befahl in überaus lautem Ton: "bitte - die - Rollläden - hoch!" Margot prustete, als das Licht zur Antwort anging und sofort wieder ausging, an und aus, an und aus... Sie schlug die Hände vor das Gesicht, "nein, nein!" rief sie und wiederholte Erwins Befehl in hysterisch gekünsteltem Ton: "Bitte - die - Rollläden - hoch!" Das Licht erlosch, es blieb dunkel, einen Augenblick darauf liefen die Motoren an. Erwin drehte sich um seine eigene Achse, stieß sein Knie am Wohnzimmertisch, es wurde hell, der leuchtende Frühlingstag ergoss sich in den Salon, eine Amsel hüpfte auf die Fensterbank und schaute einen Augenblick keck hinein. Die Friedrichs standen sich mit hängenden Armen gegenüber. "Ich hau' ab! Ich packe meine Sachen und fahre zu meiner Schwester. In diesem wahnsinnigen Haus bleibe ich keine Minute länger, Erwin, keine Minute!" "Aber Margot, Liebes..." Erwin verfiel in seinen Ausdruck und glotzte Fassungslos seiner davon rauschenden Frau hinter drein. Kaum hatte sie den Raum verlassen, setzte sich ROBO in Bewegung und folgte ihr. "Äh..." entfuhr es ihm. "Ich habe das Ding doch still gesetzt." ROBO entschwand seinem Blick, die Salontür schloss hinter der Maschine. Was war eigentlich geschehen? Wie ließe sich das erklären? Bevor etwas durcheinander geraten könnte, würden die verschiedensten Sicherheitssysteme der Anlage Fehler abfangen. So hatten die Techniker es ihm erklärt. Und sie hatten tagelang geprüft und Bedienungsfehler der absurdesten Art gemacht um die Sicherheit zu testen. Hinzu kam, dass die gesamte Anlage täglich automatisch von der Wartungsfirma fern überwacht wurde. Sobald auch nur ein Sensor außerhalb der Toleranz arbeitete, ohne das dies sich in der Funktion schon bemerkbar machen konnte, würde ein Techniker auflaufen um den sich anbahnenden Fehler zu beheben. Doch nicht einmal ein Anruf war erfolgt! Hatte die Wartungsfirma Pleite gemacht oder waren die alle auf Ostereiersuche? Da fiel ihm ROBO ein. Die Maschine hatte sich selbständig gemacht und war seiner Frau gefolgt. Der Haushaltsroboter war außer Kontrolle geraten, davon war Erwin nun überzeugt. Doch das ließe sich ja wohl ändern. Entschlossen die Herrschaft über das Haus zurückzugewinnen lief er los. Die beiden Flügel der Salontür schwenkte bei seiner Annäherung auf und augenblicklich hörte er etwas fürchterlich scheppern, als würde eine Kommode samt Spiegel umgerissen. Eile tat Not. Also setze er an Tempo zu, als unverhofft die schweren Glasflügel der Tür zurück schnellten und ihn mit einem dumpfen Knall wie einen nassen Tennisball in den Salon zurück bugsierten... Zitterte sie aus Angst oder vor Wut? Bloß nicht hysterisch werden, bloß nicht die Nerven verlieren, sagte sich Margot, als sie sah, was sie in ihrer Hektik angerichtet hatte. Die Türen des Toilettenschrankes, eines der wenigen Stücke aus der alten Zeit, klemmten schon lange, das wusste sie doch, und dennoch hatte sie so heftig daran gezuckert, bis sie plötzlich nachgaben und durch den Ruck sich die ganze Parfümerie auf das Waschbecken und die Fliesen ergoss. Erschöpft setzte sie sich auf den Rand des Whirlpool. Sie musste aufpassen, das sie nicht etwas durcheinander brachte. Das Schicksal der Jungmanns war von einen Menschen zu verantworten, einem grausamen und verrückten Mörder. Denn die Jungmanns hatten weder einen Roboter noch war ihr Haus automatisiert. Was hier geschah war aber etwas elektrisches, eine Art Wackelkontakt, das Prinzip Leuchtstoffröhre, die flackert und flackert und einen dadurch ganz wirr macht, wenn, ja wenn man das Ding nicht ausschaltet oder auswechselt. Und genau das würde sie jetzt von Erwin verlangen: ausschalten. Und wenn er es nicht kann, muss sofort ein Techniker von dieser Firma kommen, die für den ganzen Kram verantwortlich war. Schnell hatte sie sich beruhigt und so erschrak sie auch kaum, als plötzlich ROBO um die Ecke gerollt kam, ihr einen Greifer entgegenstreckte als mustere er sie und den Schaden. Entschlossen stand sie auf, zischte "verpiss dich" und ging ihren Mann suchen, den sie im Salon gegen einen Sessel lehnend und auf dem Boden hockend fand. Sein Gesicht hatte er unter einem mit Blut durchtränkten Taschentuch verborgen. Als er seine Frau kommen sah erhob er eine Hand als wolle er sie warnen - die Salontür funktionierte aber anstandslos. Margot schaute sich einen Augenblick um, suchte nach einer Erklärung, dabei fürchtete sie die Antwort auf eine Frage, die sie dann aber doch stellte: "Was ist passiert? Hat dich ROBO geschlagen?" Erwin verneinte. Vorsichtig betupfte er sein Gesicht. Sein Kinn war aufgeschlagen, seine Nase blutete und sie war erkennbar angeschwollen. Durch den Schlag hatte er sich kräftig auf seine Zunge gebissen, so das er nur leise lispelte: "Die Tür." Seine Frau sprang aus dem Schwenkbereich der Tür. Sanft surrten die Flügel zurück. "Die Tür? Ich verstehe nichts mehr Erwin. Soll ich den Arzt rufen? Vor allem aber rufe ich die Firma dieser Höllenanlage an. Die werden uns sofort den Mist abschalten müssen. Sofort!" Sie eilte zum Telefon, holte den drahtlosen Apparat, doch als sie wählen wollte, bekam sie keine Leitung, alles war besetzt, der Apparat war blockiert. Ratlos zeigte sie das Gerät ihrem Mann. Erwin rappelte sich langsam auf und ließ sich in einen Sessel sinken. Seine Frau versuchte immer wieder zu wählen - ohne Erfolg. Da erschien ROBO. Margot schreckte zusammen und fasste sich an ihren Hals. Für einen Augenblick musterte sie die Vasen, die im Salon an verschieden Stellen standen. Aber sogleich schüttelte sie ihren Kopf um sich von ihren absurden Gedanken zu befreien. ROBO hielt in seinen Greifern ein silbernes Tablett. Darauf lag ein Zettel, es war ein Computerausdruck. Erwin nahm den Zettel und hielt ihn hoch, so das auch Margot lesen konnte: Verhalten sie sich ruhig. Alles andere hat keinen Sinn! In diesem Augenblick verschwand wieder der helllichte Tag hinter den Rollläden. ROBO rollte neben die Salontür und verharrte in Bereitschaft. Deutlich war das Klicken der Türschlösser in der Terrassentür und der Salontür zu hören. "Wir sind eingesperrt, Erwin. In unserem eigenen Haus", flüsterte Margot. "Wie in einer großen elektrischen Mausefalle." "Elektronisch", lispelte Erwin. "Ich habe Angst." Erwin stand auf und schleppte sich zu einem Lichtschalter. Natürlich blieben die Lampen dunkel. Nun ging er zu ROBO und stellte sich neben die Maschine. Margot beobachtete ihn ängstlich. Sie konnte in dem Halbdunkel erkennen, wie ihr Mann eine Hand auf die reglose Maschine legte. Seine Finger tasteten sich zu einer Mulde am "Hinterkopf" des Zylinders. Dort war eine Klappe, unter der sich der Notschalter befand. Doch ehe er die Klappe öffnen konnte, erhob ROBO plötzlich einen Greifer und die angenehme Stimme eines jungen Mannes erscholl: "Bitte verhallten sie sich ruhig. Alles andere hat keinen Sinn." Er nahm seine Hand von dem Roboter, die Greifer fuhren in die Ruhestellung zurück. Reglos stand er neben der Maschine und dachte nach. Plötzlich murmelte er "das wirt es sein", ballte seine rechte Hand zu einer Faust und hob den Arm. Margot hielt den Atem. Da lies er die Faust auf die Maschine sausen. Dann humpelte er zum Sessel zurück und befühlte sein Knie, dass durch den Schlag mit der Tür auch etwas abbekommen hatte. ROBO rührte sich nicht. "Tut es weh?" Er nickte. Margot fasste ihn an die Schulter und schaute ihm fordernd ins Gesicht. "Glaubst du nun, das ROBO eigenmächtig handelt?" "Nein. Weder ROBO noch sonst etwas handelt bei uns eigenmächtig. Hilf mir lieber die Sessel so vor die Tür zu stellen, das wir von ihnen aus die Diele einsehen können." "Die Diele einsehen? Ich verstehe nicht." "Warte nur, du wirst gleich verstehen." Sie rückten zwei Sessel nebeneinander. Dann setzte Erwin sich und schaute durch die Salontür in die Diele, als stünde dort ein Fernsehgerät. Margot stand einen Moment unschlüssig neben ihrem Mann und beobachtete ihn, dann setzte sie sich ebenfalls. "Nun sagt doch etwas. Erwin, was soll das alles?" "Schau zur Diele." Die Diele lag auch Halbdunkel, denn nur wenig Licht gelangte durch das getönte, runde Fenster in der massiven Haustür. "Ich verstehe nicht Erwin", flüsterte sie. "Werden wir jetzt geschlachtet?" Ihr Mann schaute sie verdutzt an. "Geschlachtet? Wie kommst du denn auf so etwas?" "Wie die Jungmanns." Erwin nahm Margots zitternde Hände und streichelte sie. "Nein Margot, du brauchst keine Angst zu haben. Uns wird nichts geschehen. Wir werden nur ausgeraubt." ROBO setzte sich plötzlich in Bewegung. Er rollte zu einem Tisch, nahm ein Tablett, rollte zu einer Vitrine mit wertvollem Silberbesteck, öffnete problemlos die Tür - obwohl die Vitrine eigentlich elektronisch gesichert war -, entnahm das äußerst wertvolle Besteck und legte es auf das Tablett. Als die Vitrine leer war rollte er mit dem Tablett durch die sich problemlos öffnende Tür in die Diele und blieb dort stehen. Die Tür verschloss sich hinter ihm. Dafür sprang die Haustür auf. Das grelle Licht des Tages blendete für einen Moment, dann entdeckten Erwin und Margot drei schlanke Männer, die über ihre Köpfe Strümpfe gezogen hatten. Margot piepte kurz auf während ihr Mann sie weiter streichelte. Einer der Vermummten nahm das Tablett von ROBO und verschwand nach draußen, die anderen eilten in den Keller. Es dauerte eine gute Viertelstunde bis die drei Männer alle Kunstgegenstände aus dem Haus geschafft hatten. Erwin, der mit offenem Mund zuschaute, weil seine Nase mit Blut verkrustet war und ihm das Atmen erschwerte, sagte kein Wort und rührte sich nicht. Margot schüttelte immer wieder ihren Kopf und flüsterte "Nun schau dir das doch mal an. Kann man denn da gar nichts machen?" Als die drei Männer mit ihrer Arbeit fertig waren, brachte einer das Tablett, gab es ROBO und legte einen Brief darauf. Dann verschwand auch dieser Mann und zog die Haustür zu. ROBO setzte sich in Bewegung und reichte den Brief Erwin. Dann rollte er zur Bar und schenkte zwei Cognac ein. Eine Deckenlampe leuchte auf. Margot versuchte sofort zu telefonieren, doch ihre Mühe war vergeblich: sie bekam keine Leitung. Ihr Mann öffnete den Brief und las laut vor: Bitte entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten, die wir gezwungen waren Ihnen zu unterbreiten. Aus bestimmt verständlichen Gründen werden Sie einsehen, das wir Sie eine Zeit lang in Ihrem Haus festsetzen müssen. Dienstag morgen Punkt acht Uhr werden Sie das Haus wieder verlassen können und ab diesem Zeitpunkt werden Sie auch wieder telefonieren können. Sicher werden Sie dann sogleich die Polizei benachrichtigen. Doch seien Sie versichert, das wir Vorkehrungen getroffen haben um mit der Ware bis dahin 'über alle Berge zu sein'. Die Firma, die für Ihre vorzügliche Anlage und für Ihren Haushaltsroboter verantwortlich zeichnet, trifft keine Schuld. Der Slogan 'So sicher wie in eine Burg, so angenehm wie in einem Königsschloss!' ist nach wie vor zurecht gewählt - vorausgesetzt man ist sich bewusst, das auch eine Burg keine absolute oder perfekte Sicherheit bietet. Dies wieder einmal bewiesen zu haben macht uns auch etwas Stolz auf unsere mühevolle wie aufwendige Arbeit. Leider ist es in unserem Metier nicht üblich, für einen derartigen Dienst an der Gesellschaft den dafür angemessenen Ruhm zu erfahren. So werden wir uns mit dem rein materiellen Lohn zufrieden geben müssen. Jedem sein Schicksal! Zum Schluss sei Ihnen versichert, das Sie sich IN Ihrem Haus frei bewegen können (bis auf den Kontrollraum - Sie verstehen). Alle Geräte, ebenso Ihr Haushaltsroboter, werden zu Ihrer vollsten Zufriedenheit funktionieren und keinerlei Anzeichen von 'Eigenmächtigkeit' mehr erkennen lassen. Bitte entschuldigen Sie in diesem Zusammenhang nochmals die Unannehmlichkeiten, vor allem auch die im Vorfeld unseres Erscheinens. Doch einer unserer Mitarbeiter war davon überzeugt, dass dieses nötig sei um Sie - wie er sich etwas burschikos ausdrückte - 'weich zu klopfen', so das Sie sich letztendlich über nichts mehr wundern und aufregen würden. Somit auch nicht über unser Erscheinen und Wirken, was ja - unter dem Strich gesehen - sowohl für Sie als auch für uns, nur von Vorteil war. So bleibt uns nur noch Ihnen ein von nun an angenehmes und vor allem ungestörtes Osterfest zu wünschen. Hochachtungsvoll Erwin faltete den Brief sorgfältig zusammen. Die Rollläden lüfteten sich und das milde Licht eines späten Nachmittags erfüllte den Salon. ROBO servierte den Cognac. "Zum Wohl", erklang es aus der Maschine. "Danke - ROBO", sagte Erwin und leerte mit einen kräftigen Schluck das Glas. "Wünschen sie noch etwas?" "Nein - danke - ROBO." Der Roboter rollte neben die Tür und stopfte seinen Stöpsel in die Steckdose um Energie zu tanken. Der Cognac in Margots Glas aber schwappte hin und her, so zitterte sie. Erwin nahm ihr das Glas ab und führte sie zum Sofa. Das Gesicht seiner Frau war wie glasig und leichenblass. Kaum hatte sie sich niedergesetzt und ihren Kopf mit einem Kissen abgestützt fiel sie auch schon in eine leichte Ohnmacht. (c) Klaus Dieter Schley
Wesen aus Fantasie und Worten Der Storybeutel
Modern Coup Es war der Sonnabend vor Ostern. Durch die großen Fenster des Esszimmers strömte das frische Licht eines warmen und sonnigen April morgen. Die Vögel überboten sich in ihrem Frühjahreskonzert und die große Rotbuche vor dem Fenster stand protzig in einem rosa Kleid. Margot Friedrichs schenkte sich noch einen Kaffee ein. Nun war die Kanne leer. Während sie zwischen ihren Zähnen ein Körnchen aus der Brombeermarmelade zermalmte, schaute sie zu dem mit Kirschholz verkleideten rollenden Zylinder und dessen zwei kräftige, dennoch feingliedrigen Greifer. Die Maschine - ein Haushaltsroboter, der auf den Namen ROBO hörte - stand neben der Küchentür um auf Befehle zu warten, gleich einem richtigen Butler, nur das sich ROBO, während er wartete, mittels eines ausfahrbaren Stöpsel an die Steckdose angeschlossen hatte um Energie zu tanken. Doch eigentlich sah Margot Friedrichs durch ROBO hindurch. Denn sie musste immer wieder an das Ehepaar Jungmann denken - Nachbarn der Friedrichs, nur ein paar Häuser weiter -, deren grausames Schicksal sie noch immer nicht begreifen konnte. Vor einem Monat wurden die Jungmanns in dieser unaussprechlichen Verfassung gefunden. Es war ein Montag morgen gewesen als deren Haushälterin eine Entdeckung machte, die sie bis an ihr Lebensende niemals vergessen würde. Die arme Frau stand noch immer unter Schock, denn als sie ahnungslos das Haus betrat, befanden sich die alten Leute im ganzen Gebäude verteilt. Frau Jungmanns Kopf soll zum Beispiel auf einer Vase gestanden haben, während ihr rechtes Bein aus der Kühltruhe im Keller baumelte. Die Polizei hatte aber noch immer keine Spur von dem offensichtlich wahnsinnigen Mörder. Nein, an die Jungmanns wollte sie jetzt nicht denken. Zu schrecklich, zu unappetitlich für das Osterwochenende waren diese Erinnerungen. Zumal bei diesem friedlichen und lebenslustigen Wetter. Also schaute sie zu ihrem Mann hinüber der sich genüsslich ein Brötchen mit Honig beschmierte und nebenbei in die Tageszeitung schaute, die er neben sich ausgebreitet hatte. "Die Kaffeekanne ist leer", sagte Margot und hielt die Kanne hoch. Ihr Mann aber reagierte nicht. Er schien sie nicht gehört zu haben, so vertieft war er in seine Zeitung. "Steht etwas von den Jungmanns drin?" fragte sie nun mit deutlich lauter Stimme. "Nein", murmelte Erwin. Margot streckte sich und schielte auf die Zeitung. "Ach ja! Was denn sonst", dachte sie. Die ganze Aufmerksamkeit ihres Mannes wurde natürlich von einem Artikel über Roboter beansprucht. Sie schüttelte verständnislos ihren Kopf und rief nochmals: "Der Kaffee ist alle." Erwin schreckte auf, schaute seine Frau mit seinem seit einiger Zeit so auffallend abwesenden Gesichtsausdruck an und fragte: "Der Kaffee?" "Ja doch!" "Ruf ROBO und befehle ihm uns eine neue Kanne zu bringen", erklärte er, um sich sofort wieder dem Zeitungsartikel zu widmen. Margot schaute zur Küchentür. Dort stand ROBO wie ein toter Gegenstand (der er ja auch war) und ließ sich mit Strom voll laufen. Sie war entschieden dagegen gewesen ihn "Robert" zu nennen, wie es ihr Mann zunächst vorgeschlagen hatte. "Einen lebendigen Mann, einen Menschen aus Fleisch und Blut, einen richtigen Diener kann man Robert nennen", hatte sie sich empört. "Nicht aber so ein mit Brettern vernageltes elektrisches Monster!" "Elektronisch", hatte ihr Mann sie verbessert. "Und die Bretter bestehen aus feinem Kirschholz." Nun gut. Er hatte sein Willen durchgesetzt, dachte sie. Sie hatten ein Vermögen in die Automatisierung der Villa gesteckt. Doch anstelle eines Dieners, den zu beschäftigen sich entsprechend wohlhabende Leute erlaubten, geisterte bei ihnen ein Haushaltsroboter durch die Wohnung. Diese Maschinen waren seit einiger Zeit stark im kommen, wenn sie auch noch extrem teuer und vor allem noch nicht perfekt waren. Dennoch, ROBO war schon eine Meisterleistung der Technik. Der einem menschlichen Körper grob und plump nachempfundene Zylinder bewegte sich mit drei Beinen. Die Füße bestanden aus jeweils fünf kleinen, mit Motoren angetriebenen Rollen, ähnlich denen eines Bürostuhl. Diese Rollen wurden ergänzt durch feine Krallen und Saugnäpfe, so dass die Maschine bei Bedarf sogar auf unterschiedlich beschaffenem Untergrund Treppen steigen konnte. Am Ende der beiden Arme war eine ausgetüftelte Mischung aus Elektronik und Feinmechanik angebracht: Kräftige Greifer, die nicht nur mit Sensoren fühlen, sondern auch mittels winziger Kameras sehen konnten und die Gegenstände bei Bedarf mit Laserabtastung und Ultraschall zudem noch genauer erfassten, als dazu Menschen jemals in der Lage wären. ROBO "sah" also mit seinen Greifern, denn einen eigentlichen Kopf hatte die Maschine nicht. Der Zylinder war in gut eineinhalb Meter Höhe mit einer Halbkugel aus glänzendem Messing abgeschlossen, in der rundherum ein paar weitere Sensoren und Mikrophone wie auch ein Lautsprecher eingebaut waren. Der Roboter besaß über die meisten Gegenstände in der Wohnung alle notwendigen Informationen: wie sie aussahen, wo sie sich befanden, welche Funktion sie erfüllten und natürlich auch wie sie hießen. Denn ROBO reagierte auf gesprochene Befehle. Zumindest sollte er das. "Du wirst es mir wohl wieder nicht glauben, aber das Ding dort" sagte Margot nach einer Weile, "ist Eigenmächtig." Erwin Friedrichs schaute auf. Einige Augenblicke brauchte er, bis er sich von seiner Zeitung gelöst hatte und zu begreifen schien. Aber dann lächelte er mild und erklärte: "Ach Margot, ich habe es doch schon wiederholt gesagt: Ein Roboter, oder überhaupt eine Maschine mag noch so viele Aufgaben mit verblüffender Genauigkeit erfüllen, sie mag dies und jenes können und uns Menschen in vielerlei Hinsicht überlegen sein oder scheinen. Aber sie kann eines nicht: Sie wird niemals "Eigenmächtig" sein. Soweit ist die Entwicklung noch lange nicht!" Margot setzte die Kanne ab und trank in aller Ruhe einen Schluck Kaffee. Dann schaute sie ihren Mann in der Weise an, das er es für angeraten hielt sich vorerst nicht wieder in seine Zeitung zu vertiefen. "Gut", sagte sie, nachdem sie die Tasse wieder auf ihren Platz gestellt hatte. "Ich weis nicht wie du das Verhalten dieses Monster nennen magst. Nun höre einmal zu: vorhin, ich war im Schlafzimmer und kleidete mich an, kam das Monster an gerollt. In seinen schrecklichen Greifern hatte es die Klobürste. Nun rate einmal, was dein ROBO im Schlafzimmer mit der Klobürste wollte?" "Ich weis es nicht", lächelte Erwin. "Ich auch nicht. Aber das Monster schien es zu wissen: es reichte mir die Klobürste, und als ich sie nicht nahm, wollte es mir mit dem Ding durch die Haare gehen." "Und?" "Und? Ich habe 'ROBO Stopp!' gerufen. Genauso, wie du es mir erklärt hattest." "Richtig", sagte Erwin. "Nicht richtig. Denn ES bürstete nicht mehr meine Haare, dafür aber unser Bett. Ich rief nochmals stopp, da legte ES die Klobürste auf meinen Nachttisch und verschwand endlich. Nun, wie würdest du dieses Verhalten nennen?" Erwin Friedrichs faltete die Zeitung zusammen. Es war vorerst keine Ruhe mehr den äußerst interessanten Artikel über Büroroboter zu lesen. Also legte er die Zeitung zur Seite und wandte die Aufmerksamkeit ganz seiner Frau. "Ich würde es einen Bedienungsfehler nennen." "Ein - Bedienungsfehler?" "Ja Margot. Wenn eine Maschine nicht arbeitet, wie gewünscht, dann ist das auf eine falsche Bedienung zurück zu führen." "Ich habe diese Tonne" - Margot nickte mit ihrem Kopf zu ROBO hinüber - "nicht bedient. Ich habe ihr keinen, nein, nicht den kleinsten Befehl gegeben. Das Ding hat von ganz allein - also eigenmächtig - die Klobürste auf mein Nachttisch gelegt." Erwin leerte mit einen großen Schluck seinen Kaffee, der zwischenzeitlich kalt geworden war. Dabei schaute er seine Frau nachdenklich an. Er wusste nur zu gut sie würde lange Zeit brauchen bis sie sich an ROBO und die anderen automatischen Dinge im Haus gewöhnt haben würde. Schließlich hatte sie auch mehr als ein Jahr benötigt, bis sie mit ihrem neuen Auto und der eingebauten Stauwarnung zurecht gekommen war. Denn die ersten Monate war sie seltsamerweise geradezu zielstrebig immer in die längsten Staus der ganzen Region geraten. "Gut Margot. Ich glaube dir. Aber du weist, die Firma die diese Haushaltsroboter herstellt - übrigens eine international erfolgreiche Markenfirma - hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass es wohl einige Wochen dauern kann bis ROBO fehlerfrei seine Routinearbeiten erledigt. Er muss sich erst die verschiedensten Tätigkeiten und ihre Häufigkeit in sein Programm einschreiben. Man kann das auch so ausdrücken: ROBO ist eine Maschine, die nicht wie ein Bügeleisen oder ein Kaffeemaschine geliefert wird und sofort gebrauchsfertig ist. Der wesentliche Teil einer Maschine seiner Art muss noch vor Ort, das heißt bei uns und durch uns geschaffen werden: ROBO muss geradezu lernen, was er und wie er seine Aufgaben bei uns erledigen soll. Darin, aber nur darin, ist er uns Menschen gleich. Schau einmal: Du erinnerst dich doch, als vor Jahren die Personalcomputer in den Büros auftauchten. Ehe die Programme den jeweiligen Bedürfnissen angepasst waren, ach Herrjemine, dass hatte manchmal gedauert! Aber vielleicht hast du gesungen?" "Gesungen?" Margot kniff in ihrer gefährlichen, Alarm signalisierenden Art die Augen zusammen, so das ihr Mann seinen Blick schweifen ließ. "Herrgott!" dachte er, "dass kann ja ein Wochenende werden." "Ja, du singst doch oft, wenn du im Schlafzimmer oder im Bad bist", sagte er endlich. "Ich hab' dich doch schon gehört, Margot. Übrigens, habe ich dir schon mal gesagt, dass du eigentlich eine hübsche Stimme hast, - ich meine, wenn du singst?" Ein wildes Gezeter schlug plötzlich aus dem Garten in das Esszimmer. Amsel schienen in einen Streit geraten zu sein, denn aus der Rotbuche schneiten Blütenblätter und ein Vogel nach dem anderen hüpfte aus der dichten Krone heraus um sogleich wieder heftig zeternd im rosa Blütenmeer einzutauchen. "Nein! Ich habe nicht gesungen", sagte Margot nach einer kurzen Pause, während sie dem Treiben in der Rotbuche verfolgte. "Erwin, ich muss immer an die Jungmanns denken. Was mit denen geschehen ist, keine zweihundert Meter von hier entfernt. Und da ist mir nicht zum Singen zumute." "Ich meinte ja auch nur - falls du etwas gesungen haben solltest, könnte ROBO dies versehentlich als ein Befehl aufgefasst haben." "Darf ich jetzt, wo wir diese blöde Maschine im Haus haben, nicht einmal mehr singen?" "Doch, doch, so war das nicht gemeint. Es war nur eine Mutmaßung wie diese Fehlfunktion zustande kam", beruhigte Erwin und griff zur Kaffeekanne. Er hielt sie hoch. "Die Kanne ist leer." "Ja Erwin." "Pass einmal auf. Ich zeige dir wie einfach ROBO mit einer Aufgabe betraut werden kann." Margot lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. In der Rotbuche war wieder Frieden eingekehrt und auch die Amseln stimmten in dem munteren Frühlingskonzert aller Vögel ein. Es erschien ihr unwirklich, paradox, ja gegen den guten Geschmack, als ihr Mann, immerhin ende fünfzig und ein erfolgreicher Spediteure und anerkannter Kunstsammler, mit betont deutlicher Stimme rief: "ROBO - bitte - die - Kanne - mit - frischem - Kaffee auffüllen!" Der mit Kirschholz verkleidete Zylinder zog seinen Stöpseln aus der Steckdose (Margot musste trotz allem Ärger schmunzeln, wenn sie diesen Stöpsel sah) und setzte sich sofort in Bewegung. Kaum vernehmbar surrte er durch das Esszimmer, wobei er einen seiner Greifer erhob, die Kaffeekanne suchte, anvisierte, die Kanne ergriff und mit dieser umgehend in die Küche verschwand. Erwin Friedrichs lehnte sich zufrieden zurück und schaute seine Frau erwartungsvoll an. Der skeptische, ja abweisende Gesichtsausdruck seiner Frau war aber keinesfalls gewichen als sie sagte: "Ist es wirklich nötig so betont zu sprechen? Und warum diese Höflichkeit gegenüber eine Maschine? Ich komme mir dabei dumm vor." "Siehst du Margot", rief ihr Mann. "Von deinem Gefühl her gestehst du selbst, das es eine Maschine und kein zu fürchtendes unheimliches Monster ist. Nun brauchst du nur noch vom Verstand her dies zu akzeptieren, und schon ist ROBO auch für dich ein einfaches nutzbringendes Gerät..." "Zu dem ich höflich sein muss." "Das ist ein psychologischer Trick." "Psychologie für einen seelenlosen Apparat?" "Für uns Menschen! Ob Haushaltsgeräte, wie bei uns, oder Computer -, sie werden zunehmend durch gesprochene Befehle bedient. Würde man seine Wünsche nur in knappen Befehlen äußern, so würden wir uns diesen Ton auch in der zwischenmenschlichen Beziehung aneignen. Das zumindest hatten entsprechende Fachleute befürchtet. Doch meine liebe Margot, man hat eine Lösung gefunden: Einfach Höflichkeitsfloskel in die Befehle einbauen. Wir verlernen dadurch nicht BITTE zu sagen." Margot schüttelte ihren Kopf. "Zu einer Maschine 'bitte' sagen, nein Erwin, was für Zeiten." Da ging auch schon die Küchentür auf und ROBO surrte heran. In seinem rechten Greifer hielt er die Kaffeekanne. Zielstrebig kam er zum Frühstückstisch und stellte sie ab. "Bitte, eine mit Kaffee nachgefüllte Kanne", tönte aus dem inneren des Apparates die wohlklingende Stimme eines jungen Mannes (Margot hatte die Stimme ausgesucht). "Danke ROBO", sagte Erwin. Darauf surrte ROBO zurück an seinem Platz bei der Küchentür, ließ den Stöpsel ausfahren und versorgte sich weiter mit Energie. "Siehst du!" freute sich Erwin. "Es klappt doch vorzüglich. Genauso wie ein Diener. Nur das ROBO auf Dauer preisgünstiger ist, nicht krank wird, keine Sozialversicherungsbeiträge kostet und kein Essbesteck klaut!" Er nahm die Kanne hoch und strahlte über sein ganzes Gesicht: "voll!" rief er und goss sich darauf zufrieden schmunzelnd eine graue, schäumende Brühe ein. "Abwaschwasser!" stellte Margot sofort fest. Dabei schaute sie ihrem Mann, der urplötzlich wieder seinen auffallenden Gesichtsausdruck angenommen hatte, triumphierend an. Das ROBO den Frühstückstisch fehlerfrei abräumte, das Geschirr ab wusch und geschickt wie wieselflink an die richtige Stelle im Schrank einräumte, mochte Margot zunächst nicht glauben. Bangend um ihr Geschirr hatte sie der Maschine zugeschaut und auch Erwin stand dabei, stolz wie ein Vater auf die ersten Streiche seines Sohnes. Aber ROBO funktionierte wie im Prospekt versprochen, und so ließ Erwin sich zur Krönung einen Gartenstuhl auf die Terrasse stellen, um dort in Ruhe nicht nur das wundervolle Wetter zu genießen, sondern endlich auch seinem neuen Hobby zu frönen und die überaus interessanten Artikel über Roboter und dergleichen zu lesen. Zuvor ging er aber in sein Atelier, das sich hinter dicken Mauern im Keller befand und ließ einen stolzen Blick über seine Gemälde und Skulpturensammlung streifen. Die Kunstwerke waren in den vergangenen Jahren deutlich in ihrem Wert gestiegen und machten inzwischen den größten Teil seines Vermögens aus. Seine Frau zog sich in ihr Musikzimmer zurück um mit ihrer Freundin Regina zu telefonieren. Regina war mit ihrem Mann an den Gardasee gefahren - auf drei Wochen Urlaub. Unterdessen saugte ROBO den Teppichboden im Esszimmer. (Sorgfältig! Margot konnte es gar nicht fassen.) Erwin hatte sein Atelier wieder verlassen und sich in den Liegestuhl gesetzt und schaute eine Weile über den Garten. Der Winter war so mild gewesen, dass nicht einmal die Schneeglöckchen gekommen waren. Dafür dürfte in den nächsten Tagen die Obstbaumblüte voll zur Geltung kommen. Tulpen und Narzissen standen schon in ihrer Pracht, auch die Rosen machten sich und die beiden Rotbuchen erst. Die Gartenmöbel waren ordentlich und vollständig in ihre Sitzecke aufgestellt. ROBO hatte also doch funktioniert. Gut, man würde Geduld haben müssen und in Kauf nehmen, dass einiges nicht gleich so lief wie gewünscht. Eben das hatte die Techniker ja auch vorhergesagt und begründet. Nachdem er eine Weile tief durch geatmet hatte, zog er aus seiner Brusttasche ein kleines Gerät. ROBO saugte noch immer, denn deutlich war der Staubsauger zu hören. Also eine gute Gelegenheit auszuprobieren ob der Roboter diese Arbeit würde unterbrechen können. Er drückte eine Taste und sprach: "ROBO - bitte - bringe - mir - die Tageszeitung - auf - die - Terrasse". Aus dem Gerät erschallte die Stimme des jungen Mannes. "Für Herrn Friedrichs die Tageszeitung auf die Terrasse bringen." Gut so, dachte Erwin und klappte das kleine Gerät zusammen. Was musste jetzt alles geschehen, damit dieser Befehl ausgeführt würde? ROBO hatte den Befehl durch Funk über den zentralen Hausrechner erhalten. Zunächst musste der Satz analysiert werden. Seine Stimme musste als die von "Herrn Friedrichs" erkannt werden. "Tageszeitung" war ein Begriff für einen Gegenstand, der an einem genau bezeichneten Ort lag. Wenn die Zeitung dort nicht liegen würde, würde der Befehl noch nicht ausgeführt werden können, denn ROBO hatte noch nicht gelernt, Gegenstände auch an anderen Orten zu suchen. Nachdem er die Zeitung ergriffen hatte, musste ROBO auf die Terrasse kommen und dort nach einer Person suchen, die wie Herr Friedrichs aussah. Denn es könnten ja auch mehrere Personen auf der Terrasse sitzen. "Mal schauen, ob ROBO damit fertig wird", dachte er und beobachtete die Tür. Nicht lange brauchte er zu warten, da kam ROBO an gerollt, die Tür öffnete sich automatisch, wie alle Türen des Hauses sich bei Annäherung oder durch Zuruf öffneten. ROBO hob eines der Teleskopbeine, tat also einen Schritt, denn eine Stufe machte diese Fortbewegungsfunktion der Maschine nötig. Nun wurde das andere Teleskopbein nachgezogen, dann das dritte und jetzt konnte ROBO auf den Steinen rollen. In dem einen Greifer hatte er die Zeitung, mit dem anderen suchte er, bis er Erwin entdeckte und zu ihm hin rollte. "Bitte Herr Friedrichs, die Tageszeitung." "Danke ROBO". Der Roboter rollte davon. Na bitte, er funktioniert wie er soll, dachte er zufrieden und beobachtete einige Augenblicke die Bienen, die in den Kelchen der blühenden Blumen und Sträucher direkt am Terrassenrand emsig ein und aus flogen. Aus dem Inneren des Hauses erklang plötzlich die Stimme von Margot. Sie hatte endlich Verbindung mit ihrer Freundin bekommen. Wenn sich auch die Verbindung mit Sicherheit nicht in der Qualität von einem Ortsgespräch unterschied, so erhob Margot doch ihre Stimme, als telefoniere sie noch wie zu Beginn des 20. Jahrhundert. Einzig und allein wegen der Entfernung glaubte sie so laut reden zu müssen. Typisch Margot. Erwin konnte also alles verstehen was seine Frau in den Apparat rief: - Ach Regina, was ich nicht sage. Aber das Monster rollt schon wieder durchs Zimmer. Und bei euch regnet es? - Ehrlich, was für ein Trost. Ihr sitzt am Gardasee und habt ein verregnetes Ostern und bei uns ist das schönste Frühlings - ach was sag ich! - Sommerwetter... - ja, dafür saust dieses Monster bei uns durch das Haus... - naja, Erwins liebster Wunsch, der Narr... - ja, alles automatisch. Sogar einen eigene Computerraum haben wir... - ja mit Monitoren... - ja auch einer Alarmanlage, das Modernste und Sicherste was es gibt. Mit automatisch verschließbaren Türen... - ja alle Türen, auch die Innentüren. Ich hoffe nur das es funktioniert, sollte mal wirklich jemand kommen... - ach Regina, erinnere mich nicht! Die Jungmanns, immer noch nichts neues... - Zufallsopfer sollen sie sein, sagen die einen. Demnach hätte es jeden erwischen können, auch uns Regina. Stell Dir mal vor: mein Kopf auf einer Blumenvase! Erwin aber sagt, wir seien in unserem Haus sicher. Selbst wenn jemand drin wäre, was nahezu unwahrscheinlich sei, können wir ihn in jedem beliebigen Raum einsperren... - ja, indem wir einfach die entsprechenden Kommandos geben... - genau, wenn das man funktioniert... - nein, die Jungmanns hatten keine Alarmanlage... - soviel ich weiß, früher schon. Aber die soll im Sommer, wenn es heiß wurde, ständig Fehlalarm ausgelöst haben. Da haben sie die ausbauen lassen und sich eine Gans angeschafft... - ja, du hast richtig gehört, eine Gans! Kein Hund. Gänse sollen noch besser sein als Hunde... - nein, Jungmanns Gans hatte nicht angeschlagen. Die konnte doch nicht mehr Regina. Die war doch tot. Ein Tag vorher gestorben. Ganz plötzlich. An Gift... - genau. Das eben macht die Sache doch merkwürdig. Erst die Gans und einen Tag später... - ja, scheint dann doch nicht so sicher zu sein. Und Erwin sagt, siehst du Margot, unsere Alarmanlage kann kein Mensch vergiften. - sicher, da hat er recht. Apparate sind tote Dinger... - nein Regina. Wir haben Batterien. Wenn der Strom weg ist läuft alles so weiter. Mehrere Tage... - ja, sicher wie in einer Burg. Sagt auch Erwin. Unser Haus sei nun wie eine Burg, - wenn sie nicht gerade mit Kanonen auf uns schießen... - du warte mal, ich muss das Monster beschäftigen. Das steht hier so aufreizend herum." Margot legte den Hörer zur Seite und konzentrierte sich auf den Roboter. "ROBO - bitte - die - Polstermöbel - im - Salon - absaugen." "Im Salon die Polstermöbel absaugen", antwortet die Maschine und setzt sich sofort in Bewegung. - Hast du gehört? - ja, ich finde es auch albern so zu sprechen. Aber Erwin meint, wegen der Psychologie... oh Regina, das Monster!" Kaum war ROBO in den Salon gerollt surrte er auch schon wieder zurück. Beide Greifarme streckte er von sich, als wollte er einen größeren Gegenstand aufnehmen. Er rollte schnurstracks auf Margot zu, die vor Schreck auf ihrem Stuhl verharrte. Doch kurz bevor er sie erreicht hatte, drehte er ab, rollte zweimal um Margot herum und kam in ein paar Meter Entfernung zum stehen. - Oh Regina, jetzt habe ich einen Schreck bekommen. Das Monster...- ja, ich lebe noch, aber das Ding macht was es will... - nein, aber Erwin sagt... - gut Regina, ich höre deinen Mann im Hintergrund. Ihr wollt heute noch nach Venedig? Wie schön. Hoffentlich habt ihr gutes Wetter... - ja, dieses Jahr wollen wir in aller Ruhe die Ostertage verleben. Keine Besuche, wir haben allen abgesagt, wir fahren nirgends hin, wir wollen die Ruhe genießen... - ja danke Regina! Grüße deinen Mann!" Margot legte den Hörer auf. Als sie aufschaute rollte ROBO einen Meter vor und aus seinem Inneren erklang die sympathische Stimme des jungen Mannes: "Ich habe im Salon die Polstermöbel abgesaugt." Margot lachte auf. Mit einem Ruck erhob sie sich und rief: "Nichts hast du, du Scheusal, du altes Monster!" ROBO setzte sich in Bewegung und rollte in die Küche. Margot folgte ihm und blieb beobachtend in der Küchentür stehen. Wie von Geisterhand öffnete sich leise surrend die Tür des Kühlschranks. ROBO entnahm ihm eine Flasche mit Orangensaft, füllte ein Glas mit dem Saft, nahm aus dem Gefrierfach mit äußerster Präzision einen Eiswürfel und einen Trinkhalm aus einem Schrank und stellte zuallerletzt das Glas mit dem eisgekühlten Orangensaft auf ein kleines Tablett. Das nahm er vorsichtig in seine Greifzange und rollte zur Küchentür. Dort blieb er vor Margot stehen. Und weil Margot nicht gleich zur Seite ging, erhob ROBO den freien Greifarm um den Gegenstand, der ihm den Ausgang versperrte, genauer zu fixieren. Doch noch bevor er den Arm in Position hatte sprang Margot zur Seite. Unverzüglich rollte die Maschine in den Flur auf die große getönte Glastür des Salon zu. Die weiten Flügel der Tür schwenkten auf, ROBO rollte durch den Salon, Margot lief hinter ihm her, die Maschine rollte weiter zur Terrasse. Margot beobachtete, wie ROBO das Tablett ihrem Mann mit den Worten "Bitte Herr Friedrichs, ein Glas eisgekühlten Orangensaft" überreichte. "Danke ROBO" sagte Erwin. Die Maschine rollte zur Tür, blieb vor Margot stehen, hob einen Greifer, aber Margot ging unverzüglich aus dem Weg. ROBO verschwand in die Küche. Nun trat Margot auf die Terrasse. Erwin hatte die Zeitung ausgebreitet und sich die große Reportage von der Robotermesse vorgenommen. "Na", sagte er, als Margot wortlos neben ihm verharrte. "Was gibt es schönes in Italien?" "Kann uns ROBO eigentlich gefährlich werden?" Erwin ließ die Zeitung sinken und bekam seinen Gesichtsausdruck. "Was meinst du?" "Ich meinte ob..." "Ach Margot! Was ist denn jetzt schon wieder? Wie kommst du denn auf diesen Gedanken?" "Ein Gedanke, Erwin, nur so ein Gedanke..." Sie drehte sich um und ging ins Haus, kam aber umgehend bis zur Tür zurück und rief: "einen schönen Gruß von Regina. In Italien regnet es - und sie ist meiner Meinung. Wegen dem Monster!" Erwin warf die Zeitung zur Seite und stand auf. "Herrgott noch mal!" stöhnte er und verschwand in den Garten. Die große Rosenhecke war im das Liebste im Garten. Er band sich eine derbe Schürze aus Leder um und bewaffnete sich mit einer Heckenschere. Nun stand er in dem weitläufigen Garten (den man mit Recht auch einen Park würde nennen können) und schaute sich Zweig für Zweig seines Lieblingsstückes an. Hier und da schnitt er abgestorbene Zweige heraus und schnupperte an den jungen Blüten. Für die Gartenarbeit war ROBO noch nicht programmiert und so stand der Automat mit hängenden Greifern neben ihm. Denn um weiteren Ärger mit seiner Frau zu vermeiden und um das Osterwochenende in der erhofften Ruhe genießen zu können, hatte er sich entschieden, die Maschine bei sich zu führen. Diese Arbeit würde er indessen auch niemals von ROBO ausführen lassen. Dafür waren ihm die Rosen zu lieb, wie er auch die Arbeit selbst genoss. Gleichwohl hatte er der Maschine den Geräteschuppen für das Gartenwerkzeug gezeigt; hatte ihr die einzelnen Werkzeuge erklärt und ihr die Funktion des Rasenmähers erläutert. Ob es ihm gelingen würde den Roboter zu instruieren, die recht großen Flächen sauber zu mähen? Wie war zu verhindern, dass ROBO die kleinen Blumenrabatten, die als bunte Tupfe von seiner Frau in die Grünflächen eingelassen waren, einfach übersah und zerstörte? War das Programm der Maschine so gut um die ständigen natürlichen Veränderungen der Rabatten zu erkennen? An derartigen Kleinigkeiten scheiterten bislang noch immer die ausgefeiltesten Programme für elektronische Hausdiener. Maschinen sind nun einmal keine Menschen und können nicht denken, sagte er sich, mit einen Seitenblick auf den mit "Brettern" verkleideten Roboter. Da entdeckter er wieder einen winzigen, trockenen Zweig. Mit ruhiger, konzentrierter Hand führte er die Spitze der Schere an das Objekt heran, spreizte etwas die Scherenblätter und hörte seine Frau rufen. - Oder doch nicht? Unverrichteter Dinge zog er die Schere aus den Rosen heraus und lauschte. Die Vögel sangen, hoch am blauen Himmel brummte ein Sportflugzeug und Margot schwieg. Oder doch nicht? Erwin hatte das Gefühl das im Haus sein Name gerufen wurde. Nur weshalb? Er drehte sich um, aber ROBO stand auf einen Befehl wartend noch immer an seinem Platz, hatte seine Greifer hängen, war also weit davon entfernt Ursache eines Missverständnisses zwischen Mensch und Maschine zu sein. So stopfte er die Schere in seine Schürzentasche und während er zum Haus eilte band er sich die Schürze ab und ließ sie auf die Terrassenfliesen fallen, denn nun war seine Frau unüberhörbar. Margot Friedrichs befand sich auf der Toilette. Als sie ihren Mann endlich kommen hörte, erhob sich aus dem futuristischen stillen Örtchen ein Gezeter, das dem der Amseln nachempfunden war und darüber hinaus zu einer neuen Qualität ansetzte. Ihr Mann lief "ja, ja, ich komme schon", rufend durch den Salon, die große Glastür schwenkte seinem Laufschritt in der Geschwindigkeit angemessen auf ("wie schön das alles funktioniert", dachte er sich dabei) und rief nochmals, "ja doch Margot, Liebes, ich komme schon!. Was ist denn los?" "Das wird auch Zeit! Ich schreie mir hier die Kehle aus dem Hals und du rührst dich nicht!" "Ich verstehe nicht..." "Du verstehst nicht? Ich sitze fest!" "Auf dem Pott?" "Nein! nein! nein! nicht auf dem Pott! Ich bin eingeschlossen und komme nicht heraus. Schon seit einer geschlagenen halben Stunde! Wo warst du?" "Bei den Rosen." "Lässt mich allein..." "Aber Margot." "In diesem verwunschenen, verhexten, verteufelten Haus!" "Aber Margot Liebes!" "Ich mag nicht mehr..." "Aber Margot!" "Ich mag nicht mehr reden mit der Toilettenspülung, mit den Türen, mit dem Kühlschrank, mit der Kommodenlampe..." "Liebes..." "Ich mag nicht mehr! Bin ich denn verrückt?" "Aber Liebes! Was ist denn los?" "Lass mich jetzt raus Erwin." "Aber Margot Liebes. Wenn die Toilettentür von innen verschlossen wurde, so lässt sie sich nur von innen öffnen. Das war früher schon in dieser Art sinnvoll." "Und es funktionierte! Das alte Schloss funktionierte dreißig Jahre lang, Erwin. Immer!" "Was hast du denn gesagt?" "Was wohl? Tür auf! habe ich gesagt" "Und?" "Nichts. Die Tür regt sich nicht." "Da ist doch auch noch ein Knopf." "Ja Erwin, ich weiß. Hältst du mich denn für dumm? Ich habe auf den Knopf gedrückt. Einmal, hundert mal, tausend mal." "Und?" "Nichts! Ich habe gedrückt und ich habe es gesagt, immer wieder. Zehnmal, hundert mal, tausend mal." "Aber Margot Liebes..." "Ja Erwin?" "Sag es noch einmal." Plötzlich war Ruhe. Erwin lauschte, doch jenseits der Toilettentür blieb es ruhig. Sekundenlang. "Margot Liebes. Was ist?" "Ruhe!" zischte es hinter der Tür. "Ich muss mich konzentrieren." Wieder vergingen einige Augenblicke, plötzlich aber hörte er seine Frau mit konzentrierter, fester Stimme: "Tür - bitte - öffnen!" Erwin sprang einen Schritt zurück, denn unverzüglich öffnete sich die Toilettentür mit einem feinen surren. Margot hielt ihre Hände vor den Mund und kreischte. "Aber Liebes!" "Erwin, die Tür!" "Ja Margot. Die Tür ist auf." "Ich werde verrückt Erwin." "Aber Liebes!" Margot kam einen Schritt auf ihren Mann zu. "Wenn ich nicht wüsste, dass unser Haus mit dieser verdammten Elektrik voll gestopft ist dann..." sie hob ihren rechten Zeigefinger und zitterte damit, als wolle sie das Jenseits zur Zeugenschaft herbeirufen, "dann würde ich sagen..." "Ja was denn Margot?" "Erwin, wir sind in unserem Haus nicht allein." Erwin stierte seine Frau verständnislos an. Doch bevor er etwas zu sagen wusste, bemerkte er in ihrem Gesicht ein blankes Entsetzen. Er drehte sich langsam um und sah, wie ROBO durch die Salontür gerollt kam. Einen Greifer streckte er von sich um seinen Weg zu finden und in dem anderen Greifer hielt er ein Beil. ROBO erhob das Beil und rollte direkt auf die erstarrten Friedrichs zu. Abrupt blieb er vor Erwin stehen. "Bitte Herr Friedrichs, das Beil." Mit seinem 'Gesichtsausdruck' nahm er wortlos das Beil entgegen. Dann lächelte er zu seiner Frau, die noch immer auf den Roboter stierte. Der aber setzte sich sofort wieder in Bewegung und rollte davon. Nach diesem Vorfall ging Margot wortlos und blass wie eine Leiche in ihr Musikzimmer. Erwin eilte in den Garten und verstaute das Beil im Geräteschuppen. Dann wechselte er das kleine Vorhängeschloss der Tür gegen ein wesentlich massiveres Modell aus. ROBO stand die ganze Zeit auf seinem Warteplatz neben der Küchentür und hatte seinen Stöpsel in der Steckdose. Erwin entschied auf den Roboter über die Ostertage zu verzichten. So deckte er selbst den Tisch und kochte auch das Mittagessen. Es gelang ihm gut und Margot zeigte sich versöhnlich, besonders als sie hörte, das ihr Mann ROBO abschalten wollte. Gleich nach dem Essen würde er das entsprechende Programm in der Haussteuerungsanlage beenden. Vorher stellte er aber seiner Frau die Liege in den Garten und während Margot sich in die warme Sonne legte, wusch er das Geschirr. ROBO stand regungslos auf seinem Platz und ließ sich mit Energie voll laufen. Interessante Zeitungsartikel über Computer und Roboter zu lesen ist das Eine, das Andere, mit diesen Geräten richtig umzugehen. Erwin saß im Kontrollraum vor dem Monitor der Haussteuerungsanlage. Was musste er machen um ROBO abzuschalten? Eigentlich hatte er nicht damit gerechnet diese Funktion zu gebrauchen. Denn der teure Roboter sollte ja arbeiten und nicht herumstehen. Nach einigem Rätseln glaubte er die richtigen Kommandos gesetzt zu haben. Zu Sicherheit gab er ROBO, der noch immer Strom tankte, den Befehl, die Blumen im Wohnzimmer zu gießen. Aber ROBO rührte sich nicht und so verschwand Erwin beruhigt in sein Arbeitszimmer, um sich über die aktuellen Nachrichten vom Kunstmarkt zu informieren. Ob in dem leise laufenden Radio jemand geschrien hatte oder ob der Schrei von draußen kam - , er horchte kurz auf, es war aber ruhig, nur die Vögel zwitscherten und irgendwo in der Ferne jaulte ein Motorrad. Bloß nicht noch nervös werden, sagte er sich und beschäftigte sich gleich wieder mit den neuesten Trends und Angeboten. Zwischendurch stand er auf, schaute nach dem stillgelegten Roboter und nach seiner Frau, die inzwischen eingeschlafen war. Sie murmelte leise. Wahrscheinlich träumte sie etwas. Beruhigt widmete er sich wieder dem Kunstmarkt, der in letzter Zeit von ein paar spektakulären Einbrüchen in Museen und in private Sammlungen heimgesucht wurde. Das Ehepaar Jungmann war etwas älter als die Friedrichs. Ein oder zweimal im Jahr lud eines der Paare das andere ein, auf einen Kaffee am Nachmittag. Das letzte Mal waren sie bei den Friedrichs, weil Erwin den Haushaltsroboter vorführen wollte. Frau Jungmann war eine schlanke, hoch gewachsene Frau. Sie hatte ein schmales Gesicht und lange dürre Finger die immer in Bewegung waren und wie die Fühler eines Insektes alles abtasteten. Von Zeit zu Zeit fuhren ihre Hände vorsichtig über ihr lockiges und vollständig graues Haar. Entgegen der fiebrigen Nervosität seiner Frau saß Herr Jungmann bis zur Unscheinbarkeit ruhig auf seinem Platz. Er war leicht untersetzt, mit kleinem Bauch und glänzender Halbglatze. ROBO servierte Fruchtsaft für die Frauen und Bier für die Männer. Man unterhielt sich über Einbrecher und Frau Jungmann befühlte nach jedem zweiten Satz, den sie sagte - und sie wusste immer viel zu erzählen - ihre Haare, dann fingerte sie an der Kante des kleinen Gartentisches herum, oder strich über die Tischdecke, während sie die Gegenstände aufzählte und ausführlich beschrieb, die bei einem Nachbarn, einem Arbeitskollegen oder einem Geschäftsfreund ihres Mannes gestohlen worden waren. Auch Margot wusste dergleichen zu schildern. Ob es den Tatsachen entsprach oder maßlos übertrieben war schien war bei dem Gespräch dem Anschein nach unerheblich. Man gefiel sich beim leichten Gruseln. Erwin aber gähnte, das war nicht sein Thema und Herr Jungmann saß wie ein braver Schuljunge auf seinem Stuhl und hörte mit ausdruckslosem Gesicht den Gesprächen zu. Nur hin und wieder bestätigte er die Ausführungen seiner Frau. ROBO war ins Haus gerollt und hatte Kartoffelchips und Salzstangen geholt. Frau Jungmann fand die Maschine putzig und fragte Erwin jedes mal, was man ihr noch alles befehlen könne. Dann erwachte er aus seiner gähnenden Trägheit, freute sich über die Frage und die Möglichkeit, seinen Haushaltsroboter vorzuführen. Margot wies plötzlich besorgt zum Himmel, der überall strahlend blau war und wolkenlos. Nur direkt über dem Garten befand sich eine dunkle Wolken, die bedrohlich über die kleine Gartengesellschaft hing und mit ihren Schatten die Gesichter der Anwesenden verdüsterte. Erwin gähnte und Frau Jungmann strich sich über ihre Haare. "Ach was, es wird schon nicht regnen", sagte sie. Es war heiß und schwül. ROBO rollte ins Haus um für die Männer noch eine Flasche Bier zu hohlen. Margot schwitzte und schaute besorgt zum Himmel. Die Wolke verdunkelte wieder die Gesichter als ROBO zurück kam, aber nicht mit dem Körbchen und den Bierflaschen darin, sondern mit einem großen Tablett und einer silbern glänzenden Warmhalteglocke darauf. Erwin klatschte vor Freude in die Hände. Inzwischen war es fast dunkel, so riesig und drohend stand die Wolke am Himmel. ROBO rollte mit dem Tablett direkt an Margots Seite. Er hielt das Tablett weit von sich um es zu präsentieren und mit seinem zweiten Greifer griff er die Glocke und lüftete sie. Auf dem Tablett stand der blutige Kopf von Frau Jungmann. Entsetzt schaute Margot auf. Ihr gegenüber saß die Nachbarin noch immer auf ihrem Platz; die dürren Hände vor sich auf dem Tisch liegend, ruhig, wie festgeklebt, während dickes Blut aus ihrem Hals schoss und auf Margot herunter regnete. Grell schrie sie auf... ROBO hielt die Gießkanne über Margots Haare und ließ das Wasser laufen. Als sie kreischend aufsprang, trollte sich der Roboter sofort davon. Zitternd saß sie auf ihrem Liegestuhl. Ihr Haar war von dem Blumenwasser klatschnass. Es dauerte eine Weile bis sie begriff, dass sie geträumt hatte und das ROBO außer den Topfpflanzen auch ihren Kopf begossen hatte. Ihre ganze Friseur war zerstört. Wütend lief sie los um nach ihren Mann zu rufen. Erwin bekam feuchte Hände. Das phantastisch preisgünstige Angebot einer Skulptur von einem alten italienischen Meister stand auf seinem Bildschirm. Sie würde bestens in seine Sammlung passen. Doch warum diese Schreie? Er hörte seinen Namen rufen, Margot suchte ihn und gerade wollte er aufstehen, als die Tür hinter ihm aufging und seine Frau mit ihrem klatschnassem Haar ins Zimmer schaute. "Hast du geduscht?" Margot kreischte. Sie hatte ihre Fäuste geballt und schüttelte den Kopf, dass die Wassertropfen nur so flogen. "Ich werde Wahnsinnig!" schrie sie. Plötzlich erstarrte sie einen Moment, dann schaute zwischen Erwin und dem Bildschirm hin und her. "Du altes Schwein!" Sie schüttelte ungläubig ihren Kopf. Erwin verstand nicht, wollte etwas sagen, da viel sein Blick auf den Bildschirm. Eine nackte Frau vergnügte sich mit zwei jungen Typen. Schlagartig war sein Gesichtsausdruck von der Art, das seine Frau schon manchmal glaubte, er habe den Verstand verloren. Margot drehte sich wortlos um und verschwand aus dem Arbeitszimmer. Automatisch schloss sich hinter ihr die Tür. Erwin wollte ihr folgen, verfing sich aber mit seiner Strickjacke an der Stuhllehne. Auf dem Computerbildschirm war wieder die Skulptur eines Jünglings zu sehen und das Mindestgebot - bis spätestens übermorgen abzugeben. Mit beiden Händen stützte er sich auf den Schreibtisch und stierte auf den Bildschirm. Was war eigentlich los? Plötzlich sprang er von seinem Sessel auf und eilte seiner Frau nach. "Das ist ein Missverständnis! Bitte hör' mir zu!" Er lief in den Flur, suchte sie auf der Toilette, in ihrem Musikzimmer, schaute in den Computerraum und stand einen Moment rätselnd vor dem Hauptrechner, der leise vor sich summend keine Anzeichen irgend einer Störung offenbarte. Auf dem Bildschirm standen die üblichen Kontrollparameter. Nichts auffälliges, alles hatte seine beste Ordnung. Und die Salontür öffnete sich entsprechend der Geschwindigkeit, mit der er sich ihr näherte. Die Tür ließ ihn ungehindert passieren. Im Salon war Margot nicht. ROBO stand auf seinem Platz, tankte Energie und beinahe hätte Erwin den Roboter gefragt, wo seine Frau sei, wenn sich nicht im gleichen Augenblick die Rollläden der Fenster in Gang gesetzt hätten und den Salon rundum verdunkelten. Margot erschien in der Tür, noch immer die Haare klatschnass. "Was soll das?" rief sie. "Warum verdunkelst du? Willst du dich nun nach genossenem Anschauungsmaterial vergnügen?" "Margot!" rief Erwin. "Lass dir doch erklären!" Die Fenster waren nun vollständig verdunkelt. Nur vom Flur drang noch etwas Tageslicht in den Raum." "Rollläden hoch!" rief er, aber ohne Erfolg. Margot lachte. "Vergieß die Höflichkeit nicht!" kreischte sie. Erwin tastete sich durchs Zimmer zu einem der Fenster und drückte auf den Knopf, um die Rollläden manuell zu lüften. Aber es erfolgte keine Reaktion. "Glaubst du wirklich in dieser Hightech-Bude funktioniert noch irgend etwas?" Erwin stellte sich in einem Meter Abstand vor dem großen Fenster, als wollte er eine Gruppe Soldaten befehligen. "Bitte - die - Rollläden - hoch!" Margot lachte. "Spare dir deine albernen Kommandos." Erwin tastete sich zum nächsten Fenster, stieß gegen einen Kaktus, fluchte, Margot lachte hysterisch, "Bitte - die - Rollläden - hoch!" befahl ihr Mann einmal, zweimal, drückt bei dem großen Fenster auf den Knopf und bei den beiden kleinen genauso wie bei der Terrassentür - aber die Rollläden reagierten nicht. Sein Kopf lief rot an. Er stellte sich in die Mitte des Salon und befahl in überaus lautem Ton: "bitte - die - Rollläden - hoch!" Margot prustete, als das Licht zur Antwort anging und sofort wieder ausging, an und aus, an und aus... Sie schlug die Hände vor das Gesicht, "nein, nein!" rief sie und wiederholte Erwins Befehl in hysterisch gekünsteltem Ton: "Bitte - die - Rollläden - hoch!" Das Licht erlosch, es blieb dunkel, einen Augenblick darauf liefen die Motoren an. Erwin drehte sich um seine eigene Achse, stieß sein Knie am Wohnzimmertisch, es wurde hell, der leuchtende Frühlingstag ergoss sich in den Salon, eine Amsel hüpfte auf die Fensterbank und schaute einen Augenblick keck hinein. Die Friedrichs standen sich mit hängenden Armen gegenüber. "Ich hau' ab! Ich packe meine Sachen und fahre zu meiner Schwester. In diesem wahnsinnigen Haus bleibe ich keine Minute länger, Erwin, keine Minute!" "Aber Margot, Liebes..." Erwin verfiel in seinen Ausdruck und glotzte Fassungslos seiner davon rauschenden Frau hinter drein. Kaum hatte sie den Raum verlassen, setzte sich ROBO in Bewegung und folgte ihr. "Äh..." entfuhr es ihm. "Ich habe das Ding doch still gesetzt." ROBO entschwand seinem Blick, die Salontür schloss hinter der Maschine. Was war eigentlich geschehen? Wie ließe sich das erklären? Bevor etwas durcheinander geraten könnte, würden die verschiedensten Sicherheitssysteme der Anlage Fehler abfangen. So hatten die Techniker es ihm erklärt. Und sie hatten tagelang geprüft und Bedienungsfehler der absurdesten Art gemacht um die Sicherheit zu testen. Hinzu kam, dass die gesamte Anlage täglich automatisch von der Wartungsfirma fern überwacht wurde. Sobald auch nur ein Sensor außerhalb der Toleranz arbeitete, ohne das dies sich in der Funktion schon bemerkbar machen konnte, würde ein Techniker auflaufen um den sich anbahnenden Fehler zu beheben. Doch nicht einmal ein Anruf war erfolgt! Hatte die Wartungsfirma Pleite gemacht oder waren die alle auf Ostereiersuche? Da fiel ihm ROBO ein. Die Maschine hatte sich selbständig gemacht und war seiner Frau gefolgt. Der Haushaltsroboter war außer Kontrolle geraten, davon war Erwin nun überzeugt. Doch das ließe sich ja wohl ändern. Entschlossen die Herrschaft über das Haus zurückzugewinnen lief er los. Die beiden Flügel der Salontür schwenkte bei seiner Annäherung auf und augenblicklich hörte er etwas fürchterlich scheppern, als würde eine Kommode samt Spiegel umgerissen. Eile tat Not. Also setze er an Tempo zu, als unverhofft die schweren Glasflügel der Tür zurück schnellten und ihn mit einem dumpfen Knall wie einen nassen Tennisball in den Salon zurück bugsierten... Zitterte sie aus Angst oder vor Wut? Bloß nicht hysterisch werden, bloß nicht die Nerven verlieren, sagte sich Margot, als sie sah, was sie in ihrer Hektik angerichtet hatte. Die Türen des Toilettenschrankes, eines der wenigen Stücke aus der alten Zeit, klemmten schon lange, das wusste sie doch, und dennoch hatte sie so heftig daran gezuckert, bis sie plötzlich nachgaben und durch den Ruck sich die ganze Parfümerie auf das Waschbecken und die Fliesen ergoss. Erschöpft setzte sie sich auf den Rand des Whirlpool. Sie musste aufpassen, das sie nicht etwas durcheinander brachte. Das Schicksal der Jungmanns war von einen Menschen zu verantworten, einem grausamen und verrückten Mörder. Denn die Jungmanns hatten weder einen Roboter noch war ihr Haus automatisiert. Was hier geschah war aber etwas elektrisches, eine Art Wackelkontakt, das Prinzip Leuchtstoffröhre, die flackert und flackert und einen dadurch ganz wirr macht, wenn, ja wenn man das Ding nicht ausschaltet oder auswechselt. Und genau das würde sie jetzt von Erwin verlangen: ausschalten. Und wenn er es nicht kann, muss sofort ein Techniker von dieser Firma kommen, die für den ganzen Kram verantwortlich war. Schnell hatte sie sich beruhigt und so erschrak sie auch kaum, als plötzlich ROBO um die Ecke gerollt kam, ihr einen Greifer entgegenstreckte als mustere er sie und den Schaden. Entschlossen stand sie auf, zischte "verpiss dich" und ging ihren Mann suchen, den sie im Salon gegen einen Sessel lehnend und auf dem Boden hockend fand. Sein Gesicht hatte er unter einem mit Blut durchtränkten Taschentuch verborgen. Als er seine Frau kommen sah erhob er eine Hand als wolle er sie warnen - die Salontür funktionierte aber anstandslos. Margot schaute sich einen Augenblick um, suchte nach einer Erklärung, dabei fürchtete sie die Antwort auf eine Frage, die sie dann aber doch stellte: "Was ist passiert? Hat dich ROBO geschlagen?" Erwin verneinte. Vorsichtig betupfte er sein Gesicht. Sein Kinn war aufgeschlagen, seine Nase blutete und sie war erkennbar angeschwollen. Durch den Schlag hatte er sich kräftig auf seine Zunge gebissen, so das er nur leise lispelte: "Die Tür." Seine Frau sprang aus dem Schwenkbereich der Tür. Sanft surrten die Flügel zurück. "Die Tür? Ich verstehe nichts mehr Erwin. Soll ich den Arzt rufen? Vor allem aber rufe ich die Firma dieser Höllenanlage an. Die werden uns sofort den Mist abschalten müssen. Sofort!" Sie eilte zum Telefon, holte den drahtlosen Apparat, doch als sie wählen wollte, bekam sie keine Leitung, alles war besetzt, der Apparat war blockiert. Ratlos zeigte sie das Gerät ihrem Mann. Erwin rappelte sich langsam auf und ließ sich in einen Sessel sinken. Seine Frau versuchte immer wieder zu wählen - ohne Erfolg. Da erschien ROBO. Margot schreckte zusammen und fasste sich an ihren Hals. Für einen Augenblick musterte sie die Vasen, die im Salon an verschieden Stellen standen. Aber sogleich schüttelte sie ihren Kopf um sich von ihren absurden Gedanken zu befreien. ROBO hielt in seinen Greifern ein silbernes Tablett. Darauf lag ein Zettel, es war ein Computerausdruck. Erwin nahm den Zettel und hielt ihn hoch, so das auch Margot lesen konnte: Verhalten sie sich ruhig. Alles andere hat keinen Sinn! In diesem Augenblick verschwand wieder der helllichte Tag hinter den Rollläden. ROBO rollte neben die Salontür und verharrte in Bereitschaft. Deutlich war das Klicken der Türschlösser in der Terrassentür und der Salontür zu hören. "Wir sind eingesperrt, Erwin. In unserem eigenen Haus", flüsterte Margot. "Wie in einer großen elektrischen Mausefalle." "Elektronisch", lispelte Erwin. "Ich habe Angst." Erwin stand auf und schleppte sich zu einem Lichtschalter. Natürlich blieben die Lampen dunkel. Nun ging er zu ROBO und stellte sich neben die Maschine. Margot beobachtete ihn ängstlich. Sie konnte in dem Halbdunkel erkennen, wie ihr Mann eine Hand auf die reglose Maschine legte. Seine Finger tasteten sich zu einer Mulde am "Hinterkopf" des Zylinders. Dort war eine Klappe, unter der sich der Notschalter befand. Doch ehe er die Klappe öffnen konnte, erhob ROBO plötzlich einen Greifer und die angenehme Stimme eines jungen Mannes erscholl: "Bitte verhallten sie sich ruhig. Alles andere hat keinen Sinn." Er nahm seine Hand von dem Roboter, die Greifer fuhren in die Ruhestellung zurück. Reglos stand er neben der Maschine und dachte nach. Plötzlich murmelte er "das wirt es sein", ballte seine rechte Hand zu einer Faust und hob den Arm. Margot hielt den Atem. Da lies er die Faust auf die Maschine sausen. Dann humpelte er zum Sessel zurück und befühlte sein Knie, dass durch den Schlag mit der Tür auch etwas abbekommen hatte. ROBO rührte sich nicht. "Tut es weh?" Er nickte. Margot fasste ihn an die Schulter und schaute ihm fordernd ins Gesicht. "Glaubst du nun, das ROBO eigenmächtig handelt?" "Nein. Weder ROBO noch sonst etwas handelt bei uns eigenmächtig. Hilf mir lieber die Sessel so vor die Tür zu stellen, das wir von ihnen aus die Diele einsehen können." "Die Diele einsehen? Ich verstehe nicht." "Warte nur, du wirst gleich verstehen." Sie rückten zwei Sessel nebeneinander. Dann setzte Erwin sich und schaute durch die Salontür in die Diele, als stünde dort ein Fernsehgerät. Margot stand einen Moment unschlüssig neben ihrem Mann und beobachtete ihn, dann setzte sie sich ebenfalls. "Nun sagt doch etwas. Erwin, was soll das alles?" "Schau zur Diele." Die Diele lag auch Halbdunkel, denn nur wenig Licht gelangte durch das getönte, runde Fenster in der massiven Haustür. "Ich verstehe nicht Erwin", flüsterte sie. "Werden wir jetzt geschlachtet?" Ihr Mann schaute sie verdutzt an. "Geschlachtet? Wie kommst du denn auf so etwas?" "Wie die Jungmanns." Erwin nahm Margots zitternde Hände und streichelte sie. "Nein Margot, du brauchst keine Angst zu haben. Uns wird nichts geschehen. Wir werden nur ausgeraubt." ROBO setzte sich plötzlich in Bewegung. Er rollte zu einem Tisch, nahm ein Tablett, rollte zu einer Vitrine mit wertvollem Silberbesteck, öffnete problemlos die Tür - obwohl die Vitrine eigentlich elektronisch gesichert war -, entnahm das äußerst wertvolle Besteck und legte es auf das Tablett. Als die Vitrine leer war rollte er mit dem Tablett durch die sich problemlos öffnende Tür in die Diele und blieb dort stehen. Die Tür verschloss sich hinter ihm. Dafür sprang die Haustür auf. Das grelle Licht des Tages blendete für einen Moment, dann entdeckten Erwin und Margot drei schlanke Männer, die über ihre Köpfe Strümpfe gezogen hatten. Margot piepte kurz auf während ihr Mann sie weiter streichelte. Einer der Vermummten nahm das Tablett von ROBO und verschwand nach draußen, die anderen eilten in den Keller. Es dauerte eine gute Viertelstunde bis die drei Männer alle Kunstgegenstände aus dem Haus geschafft hatten. Erwin, der mit offenem Mund zuschaute, weil seine Nase mit Blut verkrustet war und ihm das Atmen erschwerte, sagte kein Wort und rührte sich nicht. Margot schüttelte immer wieder ihren Kopf und flüsterte "Nun schau dir das doch mal an. Kann man denn da gar nichts machen?" Als die drei Männer mit ihrer Arbeit fertig waren, brachte einer das Tablett, gab es ROBO und legte einen Brief darauf. Dann verschwand auch dieser Mann und zog die Haustür zu. ROBO setzte sich in Bewegung und reichte den Brief Erwin. Dann rollte er zur Bar und schenkte zwei Cognac ein. Eine Deckenlampe leuchte auf. Margot versuchte sofort zu telefonieren, doch ihre Mühe war vergeblich: sie bekam keine Leitung. Ihr Mann öffnete den Brief und las laut vor: Bitte entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten, die wir gezwungen waren Ihnen zu unterbreiten. Aus bestimmt verständlichen Gründen werden Sie einsehen, das wir Sie eine Zeit lang in Ihrem Haus festsetzen müssen. Dienstag morgen Punkt acht Uhr werden Sie das Haus wieder verlassen können und ab diesem Zeitpunkt werden Sie auch wieder telefonieren können. Sicher werden Sie dann sogleich die Polizei benachrichtigen. Doch seien Sie versichert, das wir Vorkehrungen getroffen haben um mit der Ware bis dahin 'über alle Berge zu sein'. Die Firma, die für Ihre vorzügliche Anlage und für Ihren Haushaltsroboter verantwortlich zeichnet, trifft keine Schuld. Der Slogan 'So sicher wie in eine Burg, so angenehm wie in einem Königsschloss!' ist nach wie vor zurecht gewählt - vorausgesetzt man ist sich bewusst, das auch eine Burg keine absolute oder perfekte Sicherheit bietet. Dies wieder einmal bewiesen zu haben macht uns auch etwas Stolz auf unsere mühevolle wie aufwendige Arbeit. Leider ist es in unserem Metier nicht üblich, für einen derartigen Dienst an der Gesellschaft den dafür angemessenen Ruhm zu erfahren. So werden wir uns mit dem rein materiellen Lohn zufrieden geben müssen. Jedem sein Schicksal! Zum Schluss sei Ihnen versichert, das Sie sich IN Ihrem Haus frei bewegen können (bis auf den Kontrollraum - Sie verstehen). Alle Geräte, ebenso Ihr Haushaltsroboter, werden zu Ihrer vollsten Zufriedenheit funktionieren und keinerlei Anzeichen von 'Eigenmächtigkeit' mehr erkennen lassen. Bitte entschuldigen Sie in diesem Zusammenhang nochmals die Unannehmlichkeiten, vor allem auch die im Vorfeld unseres Erscheinens. Doch einer unserer Mitarbeiter war davon überzeugt, dass dieses nötig sei um Sie - wie er sich etwas burschikos ausdrückte - 'weich zu klopfen', so das Sie sich letztendlich über nichts mehr wundern und aufregen würden. Somit auch nicht über unser Erscheinen und Wirken, was ja - unter dem Strich gesehen - sowohl für Sie als auch für uns, nur von Vorteil war. So bleibt uns nur noch Ihnen ein von nun an angenehmes und vor allem ungestörtes Osterfest zu wünschen. Hochachtungsvoll Erwin faltete den Brief sorgfältig zusammen. Die Rollläden lüfteten sich und das milde Licht eines späten Nachmittags erfüllte den Salon. ROBO servierte den Cognac. "Zum Wohl", erklang es aus der Maschine. "Danke - ROBO", sagte Erwin und leerte mit einen kräftigen Schluck das Glas. "Wünschen sie noch etwas?" "Nein - danke - ROBO." Der Roboter rollte neben die Tür und stopfte seinen Stöpsel in die Steckdose um Energie zu tanken. Der Cognac in Margots Glas aber schwappte hin und her, so zitterte sie. Erwin nahm ihr das Glas ab und führte sie zum Sofa. Das Gesicht seiner Frau war wie glasig und leichenblass. Kaum hatte sie sich niedergesetzt und ihren Kopf mit einem Kissen abgestützt fiel sie auch schon in eine leichte Ohnmacht. (c) Klaus Dieter Schley
Sie hielt den Hörer noch in der Hand obwohl er längst aufgelegt hatte. Ein Kilo Butter sollte sie mitbringen, Deutsche Markenbutter, das hatte der Mann betont, und zwei Stück Seife. Welche sei ihm gleichgültig, nur duften sollte sie nicht zu stark. "Ein Kilo Butter und zwei Stück Seife?" Die Kollegin von Marianne schaute skeptisch, als sie von dem Telephonat hörte.  "Und die Martinistraße ist auch nicht die erste Adresse."  "Aber was soll ich machen? Ich brauche eine Wohnung."  "Andererseits sind Butter und Seife auch nicht zuviel verlangt. Da gibt es ganz andere Forderungen."  "Eben."  "Wann sollst du kommen?"  "Um halb sechs."  "Ich wünsche dir jedenfalls viel Glück."   Mit dem Bus fuhr Marianne bis fast vor die Haustür.  "Nummer 114", hatte der Mann gesagt. "Gleich neben dem Waffengeschäft, falls Sie die Hausnummer nicht erkennen können. Sie ist etwas verwittert."  Aber nicht nur die Hausnummer war verwittert. Von der gesamten Fassade des drei stöckigen Gebäudes war die Farbe abgeblättert und an einigen Stellen bröckelte schon der Putz.   Eine Weile stand Marianne vor der dunkelbraunen Tür und studierte die verblaßten Namen auf den Schildchen, - sofern welche eingetragen waren.  Der Mann hatte seinen Namen nicht erwähnt und sie hatte vergessen danach zu fragen. Überhaupt hatte er kaum etwas über die Wohnung erzählt, nur das es eine Dachwohnung sei.  "Und wenn Sie meinen, Sie müßten die Bude unbedingt anschauen, gut, ich dränge keinen. Nur denken Sie bitte an die Butter und die Seife. Und seien Sie pünktlich! Es kommen ja noch andere Interessenten", hatte er ihr kurz und knapp erklärt.  Mariane drückte gegen die Tür. Sie war nicht verschlossen. Schwer aber fast lautlos ließ sie sich öffnen. Der strenge Geruch eines Treppenhauses, in dem sich die Düfte aus allen Küchen vereinten, empfing sie. Eine Zeitung rutschte aus dem Postkasten und fiel auf die grauen Fliesen.  "Sind Sie Frau Friedrichs?"  Erschrocken schaute Marianne hoch. Auf dem Treppenabsatz stand ein alter zitternder Mann, bekleidet mit einem zerschlissenen Morgenmantel und gestützt auf einem knorrigen Spazierstock.  Marianne nickte.  "Sie kommen wegen der Wohnung. Gut. Ich aber glaube kaum, das sie Ihnen zusagen wird. Das sage ich Ihnen gleich. Aber meinetwegen. Schauen Sie sich die Wohnung an. Es ist eine Dachwohnung über der dritten Etage. Sie haben die Butter mitgebracht, und die Seife?"   Marianne zog eine Tüte aus ihre Tasche.  "Sehr gut. Geben Sie mir."  Sie stieg zum ersten Treppenabsatz und reichte die Tüte dem Mann. Der Alte stank. Nach Schweiß, nach Bier, nach Urin. Marianne wich sofort zurück, als sie ihm die Tüte gereicht hatte. Umständlich legte er sie neben sich auf den Boden. Dann wühlte er in seiner Manteltasche. Der Alte hatte Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten. Seine Hausschuhe waren breitgetreten, so das die nackten grauen Füße halb neben den Schuhen standen."  "Wieviel schulde ich Ihnen?" fragte er.  "Sie wollen bezahlen?"  "Ja selbstverständlich. Oder was dachten Sie?"  "Ich..."  "Das kann ich noch. Keine Sorge. Wenn ich auch sonst nichts mehr kann. Bezahlen aber kann ich noch."  Der Mann reichte ihr einen zehn Mark Schein. Er hatte lange, verknorpelte Finger und dreckige Fingernägel, die gelblich waren, mit schwarzen Flecken. Sie gab ihm schnell das Wechselgeld.  "Gehen Sie nun. Gehen Sie rauf und schauen Sie sich die Wohnung an. Die Tür ist offen."   Der Alte blieb mitten auf dem Absatz stehen. Er rührte sich nicht, keinen Zentimeter. Marianne schob sich schnell mit angehaltenem Atem an ihm vorbei. "Sie leben allein?" rief er, als sie schon ein paar Stufen gestiegen war.  Sie nickte. Der Alte schaute noch immer hinunter zur Tür.  "Ja oder Nein?"  "Ja, ich lebe allein."  "Gut. Ist mir recht. Aber ich glaube kaum, daß Ihnen die Wohnung zusagt."  "Was soll sie kosten?"  "Kosten? Ach was. Gehen Sie erst rauf. Schauen Sie sich die Wohnung an. Alles weitere danach." Der alte Mann drehte ihr seinen Kopf etwas zu und schielte.  "Falls Sie ein danach wünschen. Aber nun gehen Sie schon!"   Das Treppenhaus war dunkel und schmutzig. Aus der rechten Wohnung in der zweiten Etage drang der Geruch verbrannter Milch. Orientalische Musik dudelte hinter der Tür. In der dritten Etage war es totenstill. Das Treppenhaus war hier zu Ende. Nur noch eine schmale Holzstiege führte ein Stück weiter hinauf auf einen dunklen Absatz. Rechts war eine grobe Holztür, die mit einem Vorhängeschloß gesichert war. Links befand sich eine weiß gestrichene Wohnungstür. Sie war nicht verschlossen.    Marianne betrat einen kleinen dunklen Flur. Die Tapeten hingen von den Wänden, von der Decke rieselte Putz und an einigen Stellen war das Stroh sichtbar. Eine Schabe huschte über den zerschlissenen roten Linoleumfußboden und verkroch sich hinter einer abstehenden Fußleiste. Direkt der Wohnungstür gegenüber befand sich die Toilette. Die Tür war geöffnet. In die hinterste Ecke des Raumes, der kaum breiter war als die Tür, stand das Klosettbecken. Nasses Zeitungspapier und Tapentenfetzen quollen aus der Schüssel. Die Klosettbürste lag neben dem Eingang.   Es roch nach Staub und Kalk. Vor Mariannes Füßen lag eine alte Boulevardzeitung. Neben einem am Strand kauernden nackten Mädchen prangte die Schlagzeile "Junge Frau zerstückelt. Eingefroren".   Vorsichtig ging Marianne durch die engen Räume. In fast allen Ecken hingen dicke Spinnweben, in denen sich grauer Staub und Mörtelbrocken verfangen hatten. In jedem Raum waren in der Dachschräge kleine Fenster eingebaut. Mit Mühe konnte sie eines der klemmenden Holzfenster öffnen.   Der Blick ging über graue Hinterhöfe, über kleine, verbaute Balkons, rötlichschwarze Dächer zu einem alten, still gelegten Fabrikgebäude. Überraschend ruhig war es ja hier oben, dachte sie. Vom Straßenlärm war kaum etwas zu hören. Aber bin ich Innenarchitektin?   Sie drückte das Fenster wieder zu. Als sie sich umdrehte, huschte an der gegenüberliegenden Wand ein Schatten vorüber und im gleichen Augenblick knallte eine Tür. Sie riß ihre Hand hoch, legte sie an ihren Mantelkragen. Mit angehaltenem Atem lauschte sie.   "Ist da jemand!" rief sie. Niemand antwortete.   Plötzlich baumelte eine fette Spinne vor ihren Augen. Entsetzt sprang sie zur Seite. Die Spinne hangelte sich an ihrem Faden hoch und verschwand in einem Loch der Dachschräge.  Marianne eilte zum Ausgang. Die Wohnungstür war zu gefallen. Ihr fehlte die Türklinke. "Hallo!" rief sie und klopfte gegen die Tür. Doch im ganzen Haus schien es kein Leben zu geben. Nur aus weiter Ferne erscholl ein Martinshorn. Da entdeckte Marianne auf dem Fußboden die Türklinke. Sie hob die Klinke auf, stopfte sie in das Loch und öffnete die Tür.  In der zweiten Etage war es jetzt auch still und der Geruch von verbrannter Milch hatte sich mit den anderen Gerüchen vermischt.   Der alte Mann war nicht mehr da. Marianne wollte ihn schon rufen, aber sie wußte ja nicht einmal seinen Namen. Und wozu auch? Sie lief die restlichen Stufen hinab, zog die schwere Haustür auf und stand auf dem Bürgersteig.   Der lebhafte Straßenverkehr tat ihr gut. Sie atmete kräftig durch, nahm den Zehner aus ihre Manteltasche, den ihr der Alte für die Butter und die Seife gegeben hatte, und steckte ihn in ihr Portemonnaie. Dann ging sie die Straße hinunter zur Bushaltestelle. Noch immer spürte sie den Geruch des Hausflures und des Alten in ihre Nase.  Als sie an der Haltestelle wartete, kam ein junges Paar vorbei. Er trug einen Waschmittelkarton, sie einen Packen Toilettenpapier.  "Hat er nicht gesagt warum wir das mitbringen sollen?" fragte der Junge.  Das Mädchen schüttelte den Kopf.  Marianne schaute den Beiden nach, wie sie bis zu Nummer 114 gingen, auf die Klingelknöpfe schauten und dann durch die dunkle Haustür verschwanden.     (c) Klaus Dieter Schley
Klaus Dieter Schley, 2015