Wesen aus Fantasie und Worten Der Storybeutel
Sie hielt den Hörer noch in der Hand obwohl er längst aufgelegt hatte. Ein Kilo Butter sollte sie mitbringen, Deutsche Markenbutter, das hatte der Mann betont, und zwei Stück Seife. Welche sei ihm gleichgültig, nur duften sollte sie nicht zu stark. "Ein Kilo Butter und zwei Stück Seife?" Die Kollegin von Marianne schaute skeptisch, als sie von dem Telephonat hörte.  "Und die Martinistraße ist auch nicht die erste Adresse."  "Aber was soll ich machen? Ich brauche eine Wohnung."  "Andererseits sind Butter und Seife auch nicht zuviel verlangt. Da gibt es ganz andere Forderungen."  "Eben."  "Wann sollst du kommen?"  "Um halb sechs."  "Ich wünsche dir jedenfalls viel Glück."   Mit dem Bus fuhr Marianne bis fast vor die Haustür.  "Nummer 114", hatte der Mann gesagt. "Gleich neben dem Waffengeschäft, falls Sie die Hausnummer nicht erkennen können. Sie ist etwas verwittert."  Aber nicht nur die Hausnummer war verwittert. Von der gesamten Fassade des drei stöckigen Gebäudes war die Farbe abgeblättert und an einigen Stellen bröckelte schon der Putz.   Eine Weile stand Marianne vor der dunkelbraunen Tür und studierte die verblaßten Namen auf den Schildchen, - sofern welche eingetragen waren.  Der Mann hatte seinen Namen nicht erwähnt und sie hatte vergessen danach zu fragen. Überhaupt hatte er kaum etwas über die Wohnung erzählt, nur das es eine Dachwohnung sei.  "Und wenn Sie meinen, Sie müßten die Bude unbedingt anschauen, gut, ich dränge keinen. Nur denken Sie bitte an die Butter und die Seife. Und seien Sie pünktlich! Es kommen ja noch andere Interessenten", hatte er ihr kurz und knapp erklärt.  Mariane drückte gegen die Tür. Sie war nicht verschlossen. Schwer aber fast lautlos ließ sie sich öffnen. Der strenge Geruch eines Treppenhauses, in dem sich die Düfte aus allen Küchen vereinten, empfing sie. Eine Zeitung rutschte aus dem Postkasten und fiel auf die grauen Fliesen.  "Sind Sie Frau Friedrichs?"  Erschrocken schaute Marianne hoch. Auf dem Treppenabsatz stand ein alter zitternder Mann, bekleidet mit einem zerschlissenen Morgenmantel und gestützt auf einem knorrigen Spazierstock.  Marianne nickte.  "Sie kommen wegen der Wohnung. Gut. Ich aber glaube kaum, das sie Ihnen zusagen wird. Das sage ich Ihnen gleich. Aber meinetwegen. Schauen Sie sich die Wohnung an. Es ist eine Dachwohnung über der dritten Etage. Sie haben die Butter mitgebracht, und die Seife?"   Marianne zog eine Tüte aus ihre Tasche.  "Sehr gut. Geben Sie mir."  Sie stieg zum ersten Treppenabsatz und reichte die Tüte dem Mann. Der Alte stank. Nach Schweiß, nach Bier, nach Urin. Marianne wich sofort zurück, als sie ihm die Tüte gereicht hatte. Umständlich legte er sie neben sich auf den Boden. Dann wühlte er in seiner Manteltasche. Der Alte hatte Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten. Seine Hausschuhe waren breitgetreten, so das die nackten grauen Füße halb neben den Schuhen standen."  "Wieviel schulde ich Ihnen?" fragte er.  "Sie wollen bezahlen?"  "Ja selbstverständlich. Oder was dachten Sie?"  "Ich..."  "Das kann ich noch. Keine Sorge. Wenn ich auch sonst nichts mehr kann. Bezahlen aber kann ich noch."  Der Mann reichte ihr einen zehn Mark Schein. Er hatte lange, verknorpelte Finger und dreckige Fingernägel, die gelblich waren, mit schwarzen Flecken. Sie gab ihm schnell das Wechselgeld.  "Gehen Sie nun. Gehen Sie rauf und schauen Sie sich die Wohnung an. Die Tür ist offen."   Der Alte blieb mitten auf dem Absatz stehen. Er rührte sich nicht, keinen Zentimeter. Marianne schob sich schnell mit angehaltenem Atem an ihm vorbei. "Sie leben allein?" rief er, als sie schon ein paar Stufen gestiegen war.  Sie nickte. Der Alte schaute noch immer hinunter zur Tür.  "Ja oder Nein?"  "Ja, ich lebe allein."  "Gut. Ist mir recht. Aber ich glaube kaum, daß Ihnen die Wohnung zusagt."  "Was soll sie kosten?"  "Kosten? Ach was. Gehen Sie erst rauf. Schauen Sie sich die Wohnung an. Alles weitere danach." Der alte Mann drehte ihr seinen Kopf etwas zu und schielte.  "Falls Sie ein danach wünschen. Aber nun gehen Sie schon!"   Das Treppenhaus war dunkel und schmutzig. Aus der rechten Wohnung in der zweiten Etage drang der Geruch verbrannter Milch. Orientalische Musik dudelte hinter der Tür. In der dritten Etage war es totenstill. Das Treppenhaus war hier zu Ende. Nur noch eine schmale Holzstiege führte ein Stück weiter hinauf auf einen dunklen Absatz. Rechts war eine grobe Holztür, die mit einem Vorhängeschloß gesichert war. Links befand sich eine weiß gestrichene Wohnungstür. Sie war nicht verschlossen.    Marianne betrat einen kleinen dunklen Flur. Die Tapeten hingen von den Wänden, von der Decke rieselte Putz und an einigen Stellen war das Stroh sichtbar. Eine Schabe huschte über den zerschlissenen roten Linoleumfußboden und verkroch sich hinter einer abstehenden Fußleiste. Direkt der Wohnungstür gegenüber befand sich die Toilette. Die Tür war geöffnet. In die hinterste Ecke des Raumes, der kaum breiter war als die Tür, stand das Klosettbecken. Nasses Zeitungspapier und Tapentenfetzen quollen aus der Schüssel. Die Klosettbürste lag neben dem Eingang.   Es roch nach Staub und Kalk. Vor Mariannes Füßen lag eine alte Boulevardzeitung. Neben einem am Strand kauernden nackten Mädchen prangte die Schlagzeile "Junge Frau zerstückelt. Eingefroren".   Vorsichtig ging Marianne durch die engen Räume. In fast allen Ecken hingen dicke Spinnweben, in denen sich grauer Staub und Mörtelbrocken verfangen hatten. In jedem Raum waren in der Dachschräge kleine Fenster eingebaut. Mit Mühe konnte sie eines der klemmenden Holzfenster öffnen.   Der Blick ging über graue Hinterhöfe, über kleine, verbaute Balkons, rötlichschwarze Dächer zu einem alten, still gelegten Fabrikgebäude. Überraschend ruhig war es ja hier oben, dachte sie. Vom Straßenlärm war kaum etwas zu hören. Aber bin ich Innenarchitektin?   Sie drückte das Fenster wieder zu. Als sie sich umdrehte, huschte an der gegenüberliegenden Wand ein Schatten vorüber und im gleichen Augenblick knallte eine Tür. Sie riß ihre Hand hoch, legte sie an ihren Mantelkragen. Mit angehaltenem Atem lauschte sie.   "Ist da jemand!" rief sie. Niemand antwortete.   Plötzlich baumelte eine fette Spinne vor ihren Augen. Entsetzt sprang sie zur Seite. Die Spinne hangelte sich an ihrem Faden hoch und verschwand in einem Loch der Dachschräge.  Marianne eilte zum Ausgang. Die Wohnungstür war zu gefallen. Ihr fehlte die Türklinke. "Hallo!" rief sie und klopfte gegen die Tür. Doch im ganzen Haus schien es kein Leben zu geben. Nur aus weiter Ferne erscholl ein Martinshorn. Da entdeckte Marianne auf dem Fußboden die Türklinke. Sie hob die Klinke auf, stopfte sie in das Loch und öffnete die Tür.  In der zweiten Etage war es jetzt auch still und der Geruch von verbrannter Milch hatte sich mit den anderen Gerüchen vermischt.   Der alte Mann war nicht mehr da. Marianne wollte ihn schon rufen, aber sie wußte ja nicht einmal seinen Namen. Und wozu auch? Sie lief die restlichen Stufen hinab, zog die schwere Haustür auf und stand auf dem Bürgersteig.   Der lebhafte Straßenverkehr tat ihr gut. Sie atmete kräftig durch, nahm den Zehner aus ihre Manteltasche, den ihr der Alte für die Butter und die Seife gegeben hatte, und steckte ihn in ihr Portemonnaie. Dann ging sie die Straße hinunter zur Bushaltestelle. Noch immer spürte sie den Geruch des Hausflures und des Alten in ihre Nase.  Als sie an der Haltestelle wartete, kam ein junges Paar vorbei. Er trug einen Waschmittelkarton, sie einen Packen Toilettenpapier.  "Hat er nicht gesagt warum wir das mitbringen sollen?" fragte der Junge.  Das Mädchen schüttelte den Kopf.  Marianne schaute den Beiden nach, wie sie bis zu Nummer 114 gingen, auf die Klingelknöpfe schauten und dann durch die dunkle Haustür verschwanden.     (c) Klaus Dieter Schley
Klaus Dieter Schley, 2015
Klaus Dieter Schley, 2015
Die Hammermethode Nun haben sie mir den Hammer weggenommen. Alles hätten sie mir wegnehmen können, nur nicht meinen geliebten Hammer. Stundenlang sitze ich da und starre auf die Wand. Die Wand ist weiß. Und dann lege ich mich auf meine Pritsche und schaue durch das Fenster in den Himmel. Gestern abend war er dunkelblau. Ein kleines Flugzeug zog brummend langsam von der rechten oberen zur linken unteren Ecke. Am Heck blinkte ein weißes Licht. Das war schön. Ganz unvermutet war das Flugzeug in dem Fensterquadrat aufgetaucht. Und nur wenige Sekunden brauchte es um das Fenster zu durchqueren. Eine Träne löste sich aus meinem Auge und lief heiß die Wange hinab, dicht am äußersten Mundwinkel vorbei zum Kinn. Ich war glücklich. Meine linke Hand ist vernarbt und verknorpelt. Natürlich, wie sollte sie auch anders? Sie ist auch größer als die rechte Hand. Nicht unbedingt dicker, eher breiter, großflächiger. Ein verknorpelter Toilettendeckel als Hand, hatte mir ein Kollege gesagt. Er konnte es nicht verstehen und war mit seinem Unverständnis nicht allein. Denn niemand versteht mich. Mein Kollege fährt jedes Wochenende mit seinem Wohnmobil an einen kleinen See und angelt. Er und seine Freunde angeln soviel, dass sie ihren Fang eigentlich nicht selbst essen können. So hat er mir auch einmal ein paar schöne Fische mitgegeben. Einige Tage später fragte er mich, wie sie geschmeckt hätten. Seine Augen glänzten, als er mich dies fragte. Mir aber waren die Fische nicht bekommen. Sie schienen mir etwas faulig zu schmecken, wie Morast. Deshalb brauchte er mir auch keine neuen Fänge mitbringen, habe ich ihm gesagt. Ich esse lieber Fisch aus dem Supermarkt. Da war über sein Gesicht ein dunkler Schatten gehuscht. Der Glanz aus seinen Augen war verschwunden und er sagte, bevor er sich umdrehte und ging, dann hast du sie wohl falsch zubereitet. Die Frau Doktor des Hauses, indem ich gezwungen bin mich aufzuhalten, erinnert mich an meine erste Freundin. Auch ihre Augen scheinen etwas an mir zu suchen, wie damals Brittas Augen. So hieß das Mädchen, dass ich zu mir auf mein Zimmer genommen hatte. Ich wollte ihr meine Briefmarkensammlung zeigen. Britta hatte sich wochenlang geziert mitzukommen. Das fand ich albern. Aber sie gefiel mir und so brachte ich schon mal das eine oder andere Album aus meiner Sammlung mit in die Schule. Ich war ein begeisterter, ein besessener Sammler, wenn auch die Stücke, die ich hatte, ohne großen Wert waren. Mein Ziel war es, aus möglichst allen Ländern der Erde möglichst viele verschiedene Marken zu bekommen. Endlich war es soweit. Britta wollte auf einen Nachmittag mitkommen, denn sie war wohl inzwischen von meinen Marken angetan. Nun saß sie auf der kleinen bequemen Kautsch neben mir. Wir blätterten in meinen Alben als mir ein riesiger Schreck durch die Glieder fuhr. Britta hatte immer wieder meine linke Hand gestreichelt, mit der ich die Seiten der Alben umblätterte (die Hand, die heute als Klosettdeckel bezeichnet wird. Damals aber war sie noch normal und jugendlich zart). Der Schreck schien sich auf Britta übertragen zu haben, denn sie hielt mit ihrem Streicheln inne und schaute mir fragend ins Gesicht. Oder war ihr Blick erwartungsvoll? Jedenfalls fieberte es in meinem inneren, denn drei meiner schönsten Alben fehlten. Wo hatte ich sie gelassen? Waren sie versehentlich mit in die Kiste meiner alten Kinder- und Jugendbücher geraten, die ich verschenkt hatte? Ich erklärte Britta, das ich sofort wieder käme und ging hinab in den Keller, wo ich nach einigem suchen zu meiner großen Erleichterung die Alben fand. Als ich zurück in mein Zimmer kam heftete mein Blick sich sofort auf die beiden festen Brüste. War es Britta in meinem Zimmer zu warm geworden? Daß oberste Album stürzte polternd zu Boden. Britta hatte nicht nur ihren Pullover ausgezogen. Ich sank auf den Knien und sammelte verwirrt die Marken ein. Stück für Stück während Britta auf der Couch saß und mir zu schaute. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, wie sie mich musterte. Es war der gleiche Blick, mit dem mich nun die Ärztin anschaut. Als suche sie etwas in mir zu ergründen, dabei waren es doch nur die Briefmarken, die ich weder geknickt noch anders beschädigt haben wollte. Britta aber war plötzlich rot im Gesicht geworden. So schnell es ging schlüpfte sie in ihre Kleider, stieß sich dabei mehrmals an dem Tisch, der vor der Couch stand, und noch ehe ich etwas zu sagen wusste, hatte sie mein Zimmer verlassen und war aus der Wohnung gestürmt. Hammer ist übrigens nicht gleich Hammer! Das sollten sie wissen. Der Hammer ist ein Schlagwerkzeug mit unterschiedlicher Größe und Bauform je nach Verwendung. Der bekannteste Hammer, weil er in jedem Werkzeugkasten zu finden ist, dürfte der Schlosserhammer sein. Nägel werden mit ihm in die Wand getrieben, oder es wird mit ihm etwas krumm oder kaputt geschlagen. Für letzteres ist allerdings besser der Vorschlaghammer zu gebrauchen. Schon allein, weil sein Hammerkopf massiver ist. Weniger bekannt sind dagegen der Sickenhammer, der Schusterhammer, Maurerhammer, Schreinerhammer, Ballhammer, Sehlichthammer, Kesselsteinhammer, Lattenhammer, Geologenhammer und der Steinhauerschlegel. Es sind Hämmer für spezielle Anwendungsfälle, - wie ja ihre Namen schon andeuten. Der Holzhammer wiederum dürfte bekannt sein. Unter den Hämmern ist er etwas besonderes. Denn nicht nur sein Stiel ist wie bei allen Hämmern aus Holz, sondern auch sein Hammerkopf. Er ist zudem bauchig, wie ein Bierfass. Mein Holzhammer war in der Mitte des Kopfes, dort wo Stiel und Kopf zusammengesetzt sind, von einem breiten Metallring umfasst. Der Ring soll verhindern, dass der Hammerkopf im Laufe der Zeit sich weitet oder gar auseinander platzt. Nicht bei jeder Anwendung ist das aber der Fall. So wie ich den Hammer im Gebrauch hatte, wäre sein Kopf niemals auseinander geplatzt. Der Kopf des Holzhammers ist aus Holz um zu vermeiden, dass das zu bearbeitende Material Schaden nimmt. Der Schlag soll mehr in die Fläche, in den Raum des Materials wirken, als unmittelbar an der Aufschlagstelle. Das Material lässt sich so in die breite Treiben. Bleche können zum Beispiel geformt werden ohne das an der Aufschlagstelle harte Spuren zurückbleiben. Mein Holzhammer hatte nicht in einer Werkzeugkiste gelegen. Er hing in meinem Wohnzimmer an der Wand. Genauer gesagt auf einem quadratischen Brett, das mit dunkelbraunem Samt überzogen war. Dieses Brett hatte zufällig die gleiche Größe wie das Fenster des Raumes, indem ich nun auf einer Pritsche liege und in den Himmel schaue oder auf die weißen Wände. Kleine Holzstifte, ebenfalls braun, arretierten den Hammer so, dass sein Kopf in die obere linke Ecke zeigte, während sein Stiel nach unten in die rechte Ecke wies. So hing er schräg auf dem Brett und verursachte bei den meisten Betrachtern dieser Anordnung die Vorstellung, es handele sich um ein modernes Kunstwerk. Natürlich fiel er allen Besuchern in meiner Wohnung auf, aber nicht als etwas so ungewöhnliches wie meine linke Hand. Das mein Holzhammer sauber war, die natürliche Farbe seines Holzes frisch, der Metallring ohne die geringste Spur von Patina, erwähne ich nur der Vollständigkeit halber. Der Hammer sah immer aus wie neu, ja, wie mehr als neu: eben wie ein Kunstwerk, wenn es auch ein leichtes war ihn abzunehmen und regelmäßig zu gebrauchen. Aus der unteren Etage höre ich Schreie. Gutturale, verquere Schreie. Sie beunruhigen mich. Ist es das, was die Ärztin an mir sucht? Unruhe und Abweichung? Ich schreie nicht. Ich schaue aus dem Fenster und frage mich, was normal ist. Unten sind die Schreienden nicht normal - heißt es. Mein Nachbar ist in einem Club. Er ist ein Waffennarr. Er sammelte Waffen und er schießt gerne. Natürlich ist er in einem Schützenverein. Vor allem aber ist er in diesem Club. Ich glaube, dieser Sport - so sagt man doch? - ist wie so vieles von Amerika gekommen. Es ist ein Kriegsclub. So nenne ich ihn, denn den richtigen Namen kenne ich nicht. Mein Nachbar fährt mit seinen Clubkameraden fast jedes Wochenende zu einem brachliegenden Gelände. Der Club hat es gepachtet und eingezäunt. Dort spielen sie Krieg. Richtig mit militärischem Drill, mit Phantasieuniform und Gewehren, die mit Farbpatronen schießen und auf den Uniformen rote Flecken hinterlassen. Natürlich rote. Sie markieren so einen Treffer. Kameraden, die getroffen wurden, scheiden aus. Mein Nachbar spielt Woche für Woche Krieg. Kurz bevor mir mein Hammer weggenommen wurde, ist er vierzig Jahre alt geworden. Zu seiner Geburtstagsfeier bin ich nicht eingeladen worden. Zum ersten Mal. Der Drill sei hart, sagt er. Wie beim Militär. Vielleicht noch härter. Alle haben sie Spaß daran. Sie toben sich aus, sie bauen - Frieden schaffend - ihre Aggressionen ab ohne andere Menschen zu gefährden, andere Menschen zu schädigen. Das sagt mein Nachbar. Er spielt Krieg, um einen anderen Autofahrer nicht in seiner Wut zu schlagen, so erklärt er. Besser die Menschen spielten Krieg, als das sie ihn - und wenn nur im banalen Alltag - richtig führten. Mein Nachbar muß nicht auf einer Pritsche liegen und durch ein quadratisches Fenster in den dunkler werdenden Himmel schauen. Mein Nachbar sagt, gäbe es richtigen Krieg, wären er und seine Kameraden vielleicht die besseren Soldaten. Das erste Mal war es ein Versehen. Meine Hand schmerzte, dass es kaum auszuhalten war. Sie tat mir tagelang weh. Und sie war nicht richtig zu gebrauchen. Ich bin aber nicht zum Arzt gegangen. Ich hatte das Gefühl, nicht gehen zu brauchen; das sich alles von selbst ergeben würde und damit hatte ich recht. Das tat mir gut. Gerade zu jener Zeit, denn man hatte mich nicht befördert. Es waren Stellen eingespart worden. Direkt vor meiner Nase weg. Ich stand an der Ampel in einem Pulk von Menschen und fühlte mich wie eine dumme kleine Ameise, die jeden Augenblick von einem dämlichen Huhn versehentlich auf gepickt werden konnte. Ich fühlte mich klein und bedeutungslos. Da tat es gut, recht behalten zu haben und nicht zum Arzt gegangen zu sein, wie es alle wegen meiner geschwollenen Hand dringend empfahlen. Den Hammer hatte ich in den Müll geschmissen, aus Wut und Verärgerung. Dabei konnte ER doch nichts dafür. Als der Schmerz nachgelassen hatte, kaufte ich mir einen Neuen. Den Hammer, dem ich dann eine quadratische Tafel baute; mit braunen Samt bezogen und, der wie ein Kunstwerk in meinem Wohnzimmer an der Wand hing. Meine Verlobte verließ mich zu jener Zeit. Ich habe ihr nur kurz nach getrauert. Zunächst dachte ich, es wären Anschläge gewesen. Fanatische Feinde des Autos hätten des Nachts auf dem kostbaren Lack die Kleckse mit aggressiver Farbe hinterlassen. Bei einigen sah es auch so aus, als wenn sie ihren Wagen unter einer Stromleitung geparkt hätten, auf der ein riesiger Vogel gesessen war und der seine Hinterlassenschaft ziel gerecht hatte fallen lassen. Ja, so sahen die meisten Kleckse eigentlich auch aus. Wie ein riesiger, nach allen Seiten dick zerfließender Vogelschiss! Erst als mein Bruder zu Besuch kam bin ich dahinter gekommen. Oh Gott dachte ich zunächst, als ich seinen neuen Wagen sah; auch er hat so einen Anschlag ertragen müssen. War aber nicht so. Mein Bruder lachte und zeigte mir, dass die Kleckse nur Folien waren, die leicht wieder abgenommen werden konnte. Ist mal etwas anderes, erklärte er mir. Nicht nur so das uniforme Aussehen der Wagen, alle gleich, sondern etwas Individuelles. Das hatte ich allerdings nicht verstanden, wo doch immer mehr Autos mit diesen individuellen Klecksen herum fuhren. Als mein Bruder abgereist war, freute ich mich auf meinen Hammer, dessen Gegenwart im Wohnzimmer von ihm als unpassend empfunden wurde. Aber war mein Hammer, meine Holzhammermethode nicht wirklich etwas individuelles; etwas, das nicht von der Stange weg im Laden gekauft werden konnte, wie diese Kleckse, die Individualität signalisieren sollten? Als Unterlage benutze ich übrigens eine zwei Zentimeter starke Korkplatte. Dort lege ich meine linke Hand drauf. Die Ärztin konnte übrigens an dem Verhalten der Autofahrer mit den Klecksen nichts besonderes finden. Ein Kollege von ihr hatte selbst viele Monate einen fetten Gelben auf dem Kotflügel eines dunkelroten Wagens der oberen Preisklasse spazieren gefahren. Mein linker Arm wurde dabei immer warm. Das gleichermaßen schmerzhafte wie vertraute Gefühl zog oft bis in den Ellbogen. Es hat Jahre gedauert, bis die Hand ihre heutige Form angenommen hat. Jetzt sitze ich auf meine Pritsche und starre die Hand an. Wenn ich hier noch lange sitzen bleiben muß und meinen Holzhammer nicht zurück bekomme, befürchte ich, dass die Hand ihr Aussehen und ihre einzigartige Form verliert. Die zurückliegenden Jahre wären vergeblich gewesen. Die Ärztin aber sagt dazu nichts sondern schaut nur. Hätte ich Britta damals vielleicht streicheln und küssen sollen, anstatt die Briefmarken aufzusammeln? Vor nicht langer Zeit sah ich meine Verlobte - meine ehemalige. Sie war nicht allein. Mit ihren Kolleginnen bummelte sie über den Jahrmarkt. Ein gackernder Frauenclub. Sie hatte mich nicht gesehen, aber ich konnte beobachten wie sie sich wiegen ließ, wie sie etwas unterschrieb, - sie wird doch nicht ... Ja, sie ist unternehmungslustig. Sie mag das Prickeln einer Herausforderung, sie ist auf der Höhe der Zeit. Und mir wird schon beim Blick über das Geländer im Treppenhaus unserer Firma schwindelig. Aber sie ließ sich das Geschirr anlegen, nochmals wiegen und dann wurde sie in einem Korb von dem Kran in die Höhe gehievt. Fünfzig Meter, stand an dem Schild nahe der Bude, bei der sich die Wagemutigen melden konnten. Ich sah sie in die Höhe entschwinden. Kräftige weiße Wolken, die im Sonnenlicht leuchteten, malten den Hintergrund aus. Mir wurde schlecht. Ich eilte schleunigst in eine nahe liegende Kneipe, hockte mich an die Theke, bestellte einen Doppelten und kippte ihn hinunter. Neben mir saßen Zwei, die wohl schon lange an der Theke gehockt hatten. Einer stand auf, torkelte zur Tür und stellte sich in den offenen Eingang. Uiii! grölte er, die hat aber Mut! Mit wehenden Haaren! Draußen klatschten die Zuschauer. Ich bestellte noch einen Doppelten. Zack - zack - zack - Wahnsinn - nichts als der helle Wahnsinn - dieser Schmerz - immer wieder dieser Schmerz - mir steht der Schweiß auf der Stirn - es ist wahnsinnig - ein wahnsinniges Gefühl! Oft bin ich danach ganz erschöpft und ich werde müde. Einige Male habe ich schon früh Morgens den Hammer vom Brett geholt. Üblich war es nicht. Aber ich hatte die Nachrichten im Radio gehört: eine Litanei des Wahnsinn. Die gemeldeten Toten waren nicht zu zählen: und auch sonst. Später habe ich mich krank gemeldet für den Tag. Nicht wegen der Hand! Wegen den Kollegen. Sie wollten es ja nicht verstehen. Meine Methode hat mir geholfen zurecht zu kommen. Sie war etwas Eigenes, wirklich Eigenes, auf das ich Stolz sein kann. Wenn ich in Amerika leben würde, glaube ich, hätte ich größere Chance von immer mehr Menschen verstanden zu werden. Amerika ist doch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. So aber bin ich ein Prophet, der im eigenen Land nichts gilt. Das habe ich der Ärztin gesagt. Sie aber hat nur geschaut. Im Fensterquadrat ist es nun dunkel geworden. Ich kann den Abendstern sehen. Wie schön er in dem Viereck zur Geltung kommt. Es ist übrigens eine Sie, die Venus. Sie macht sich genauso wie mein Hammer auf seinem samt bezogenen Quadrat. Wunderschön. Und so ist sie mir Trost in meinem jetzigen Leben. In der unteren Etage schreit jemand. Fürchterlich. Manchmal wird mein linker Arm warm, einfach so - ohne Grund. Obwohl sie mir meinen Hammer weggenommen haben. (c) Klaus Dieter Schley
Wesen aus Fantasie und Worten Der Storybeutel
Die Hammermethode Nun haben sie mir den Hammer weggenommen. Alles hätten sie mir wegnehmen können, nur nicht meinen geliebten Hammer. Stundenlang sitze ich da und starre auf die Wand. Die Wand ist weiß. Und dann lege ich mich auf meine Pritsche und schaue durch das Fenster in den Himmel. Gestern abend war er dunkelblau. Ein kleines Flugzeug zog brummend langsam von der rechten oberen zur linken unteren Ecke. Am Heck blinkte ein weißes Licht. Das war schön. Ganz unvermutet war das Flugzeug in dem Fensterquadrat aufgetaucht. Und nur wenige Sekunden brauchte es um das Fenster zu durchqueren. Eine Träne löste sich aus meinem Auge und lief heiß die Wange hinab, dicht am äußersten Mundwinkel vorbei zum Kinn. Ich war glücklich. Meine linke Hand ist vernarbt und verknorpelt. Natürlich, wie sollte sie auch anders? Sie ist auch größer als die rechte Hand. Nicht unbedingt dicker, eher breiter, großflächiger. Ein verknorpelter Toilettendeckel als Hand, hatte mir ein Kollege gesagt. Er konnte es nicht verstehen und war mit seinem Unverständnis nicht allein. Denn niemand versteht mich. Mein Kollege fährt jedes Wochenende mit seinem Wohnmobil an einen kleinen See und angelt. Er und seine Freunde angeln soviel, dass sie ihren Fang eigentlich nicht selbst essen können. So hat er mir auch einmal ein paar schöne Fische mitgegeben. Einige Tage später fragte er mich, wie sie geschmeckt hätten. Seine Augen glänzten, als er mich dies fragte. Mir aber waren die Fische nicht bekommen. Sie schienen mir etwas faulig zu schmecken, wie Morast. Deshalb brauchte er mir auch keine neuen Fänge mitbringen, habe ich ihm gesagt. Ich esse lieber Fisch aus dem Supermarkt. Da war über sein Gesicht ein dunkler Schatten gehuscht. Der Glanz aus seinen Augen war verschwunden und er sagte, bevor er sich umdrehte und ging, dann hast du sie wohl falsch zubereitet. Die Frau Doktor des Hauses, indem ich gezwungen bin mich aufzuhalten, erinnert mich an meine erste Freundin. Auch ihre Augen scheinen etwas an mir zu suchen, wie damals Brittas Augen. So hieß das Mädchen, dass ich zu mir auf mein Zimmer genommen hatte. Ich wollte ihr meine Briefmarkensammlung zeigen. Britta hatte sich wochenlang geziert mitzukommen. Das fand ich albern. Aber sie gefiel mir und so brachte ich schon mal das eine oder andere Album aus meiner Sammlung mit in die Schule. Ich war ein begeisterter, ein besessener Sammler, wenn auch die Stücke, die ich hatte, ohne großen Wert waren. Mein Ziel war es, aus möglichst allen Ländern der Erde möglichst viele verschiedene Marken zu bekommen. Endlich war es soweit. Britta wollte auf einen Nachmittag mitkommen, denn sie war wohl inzwischen von meinen Marken angetan. Nun saß sie auf der kleinen bequemen Kautsch neben mir. Wir blätterten in meinen Alben als mir ein riesiger Schreck durch die Glieder fuhr. Britta hatte immer wieder meine linke Hand gestreichelt, mit der ich die Seiten der Alben umblätterte (die Hand, die heute als Klosettdeckel bezeichnet wird. Damals aber war sie noch normal und jugendlich zart). Der Schreck schien sich auf Britta übertragen zu haben, denn sie hielt mit ihrem Streicheln inne und schaute mir fragend ins Gesicht. Oder war ihr Blick erwartungsvoll? Jedenfalls fieberte es in meinem inneren, denn drei meiner schönsten Alben fehlten. Wo hatte ich sie gelassen? Waren sie versehentlich mit in die Kiste meiner alten Kinder- und Jugendbücher geraten, die ich verschenkt hatte? Ich erklärte Britta, das ich sofort wieder käme und ging hinab in den Keller, wo ich nach einigem suchen zu meiner großen Erleichterung die Alben fand. Als ich zurück in mein Zimmer kam heftete mein Blick sich sofort auf die beiden festen Brüste. War es Britta in meinem Zimmer zu warm geworden? Daß oberste Album stürzte polternd zu Boden. Britta hatte nicht nur ihren Pullover ausgezogen. Ich sank auf den Knien und sammelte verwirrt die Marken ein. Stück für Stück während Britta auf der Couch saß und mir zu schaute. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, wie sie mich musterte. Es war der gleiche Blick, mit dem mich nun die Ärztin anschaut. Als suche sie etwas in mir zu ergründen, dabei waren es doch nur die Briefmarken, die ich weder geknickt noch anders beschädigt haben wollte. Britta aber war plötzlich rot im Gesicht geworden. So schnell es ging schlüpfte sie in ihre Kleider, stieß sich dabei mehrmals an dem Tisch, der vor der Couch stand, und noch ehe ich etwas zu sagen wusste, hatte sie mein Zimmer verlassen und war aus der Wohnung gestürmt. Hammer ist übrigens nicht gleich Hammer! Das sollten sie wissen. Der Hammer ist ein Schlagwerkzeug mit unterschiedlicher Größe und Bauform je nach Verwendung. Der bekannteste Hammer, weil er in jedem Werkzeugkasten zu finden ist, dürfte der Schlosserhammer sein. Nägel werden mit ihm in die Wand getrieben, oder es wird mit ihm etwas krumm oder kaputt geschlagen. Für letzteres ist allerdings besser der Vorschlaghammer zu gebrauchen. Schon allein, weil sein Hammerkopf massiver ist. Weniger bekannt sind dagegen der Sickenhammer, der Schusterhammer, Maurerhammer, Schreinerhammer, Ballhammer, Sehlichthammer, Kesselsteinhammer, Lattenhammer, Geologenhammer und der Steinhauerschlegel. Es sind Hämmer für spezielle Anwendungsfälle, - wie ja ihre Namen schon andeuten. Der Holzhammer wiederum dürfte bekannt sein. Unter den Hämmern ist er etwas besonderes. Denn nicht nur sein Stiel ist wie bei allen Hämmern aus Holz, sondern auch sein Hammerkopf. Er ist zudem bauchig, wie ein Bierfass. Mein Holzhammer war in der Mitte des Kopfes, dort wo Stiel und Kopf zusammengesetzt sind, von einem breiten Metallring umfasst. Der Ring soll verhindern, dass der Hammerkopf im Laufe der Zeit sich weitet oder gar auseinander platzt. Nicht bei jeder Anwendung ist das aber der Fall. So wie ich den Hammer im Gebrauch hatte, wäre sein Kopf niemals auseinander geplatzt. Der Kopf des Holzhammers ist aus Holz um zu vermeiden, dass das zu bearbeitende Material Schaden nimmt. Der Schlag soll mehr in die Fläche, in den Raum des Materials wirken, als unmittelbar an der Aufschlagstelle. Das Material lässt sich so in die breite Treiben. Bleche können zum Beispiel geformt werden ohne das an der Aufschlagstelle harte Spuren zurückbleiben. Mein Holzhammer hatte nicht in einer Werkzeugkiste gelegen. Er hing in meinem Wohnzimmer an der Wand. Genauer gesagt auf einem quadratischen Brett, das mit dunkelbraunem Samt überzogen war. Dieses Brett hatte zufällig die gleiche Größe wie das Fenster des Raumes, indem ich nun auf einer Pritsche liege und in den Himmel schaue oder auf die weißen Wände. Kleine Holzstifte, ebenfalls braun, arretierten den Hammer so, dass sein Kopf in die obere linke Ecke zeigte, während sein Stiel nach unten in die rechte Ecke wies. So hing er schräg auf dem Brett und verursachte bei den meisten Betrachtern dieser Anordnung die Vorstellung, es handele sich um ein modernes Kunstwerk. Natürlich fiel er allen Besuchern in meiner Wohnung auf, aber nicht als etwas so ungewöhnliches wie meine linke Hand. Das mein Holzhammer sauber war, die natürliche Farbe seines Holzes frisch, der Metallring ohne die geringste Spur von Patina, erwähne ich nur der Vollständigkeit halber. Der Hammer sah immer aus wie neu, ja, wie mehr als neu: eben wie ein Kunstwerk, wenn es auch ein leichtes war ihn abzunehmen und regelmäßig zu gebrauchen. Aus der unteren Etage höre ich Schreie. Gutturale, verquere Schreie. Sie beunruhigen mich. Ist es das, was die Ärztin an mir sucht? Unruhe und Abweichung? Ich schreie nicht. Ich schaue aus dem Fenster und frage mich, was normal ist. Unten sind die Schreienden nicht normal - heißt es. Mein Nachbar ist in einem Club. Er ist ein Waffennarr. Er sammelte Waffen und er schießt gerne. Natürlich ist er in einem Schützenverein. Vor allem aber ist er in diesem Club. Ich glaube, dieser Sport - so sagt man doch? - ist wie so vieles von Amerika gekommen. Es ist ein Kriegsclub. So nenne ich ihn, denn den richtigen Namen kenne ich nicht. Mein Nachbar fährt mit seinen Clubkameraden fast jedes Wochenende zu einem brachliegenden Gelände. Der Club hat es gepachtet und eingezäunt. Dort spielen sie Krieg. Richtig mit militärischem Drill, mit Phantasieuniform und Gewehren, die mit Farbpatronen schießen und auf den Uniformen rote Flecken hinterlassen. Natürlich rote. Sie markieren so einen Treffer. Kameraden, die getroffen wurden, scheiden aus. Mein Nachbar spielt Woche für Woche Krieg. Kurz bevor mir mein Hammer weggenommen wurde, ist er vierzig Jahre alt geworden. Zu seiner Geburtstagsfeier bin ich nicht eingeladen worden. Zum ersten Mal. Der Drill sei hart, sagt er. Wie beim Militär. Vielleicht noch härter. Alle haben sie Spaß daran. Sie toben sich aus, sie bauen - Frieden schaffend - ihre Aggressionen ab ohne andere Menschen zu gefährden, andere Menschen zu schädigen. Das sagt mein Nachbar. Er spielt Krieg, um einen anderen Autofahrer nicht in seiner Wut zu schlagen, so erklärt er. Besser die Menschen spielten Krieg, als das sie ihn - und wenn nur im banalen Alltag - richtig führten. Mein Nachbar muß nicht auf einer Pritsche liegen und durch ein quadratisches Fenster in den dunkler werdenden Himmel schauen. Mein Nachbar sagt, gäbe es richtigen Krieg, wären er und seine Kameraden vielleicht die besseren Soldaten. Das erste Mal war es ein Versehen. Meine Hand schmerzte, dass es kaum auszuhalten war. Sie tat mir tagelang weh. Und sie war nicht richtig zu gebrauchen. Ich bin aber nicht zum Arzt gegangen. Ich hatte das Gefühl, nicht gehen zu brauchen; das sich alles von selbst ergeben würde und damit hatte ich recht. Das tat mir gut. Gerade zu jener Zeit, denn man hatte mich nicht befördert. Es waren Stellen eingespart worden. Direkt vor meiner Nase weg. Ich stand an der Ampel in einem Pulk von Menschen und fühlte mich wie eine dumme kleine Ameise, die jeden Augenblick von einem dämlichen Huhn versehentlich auf gepickt werden konnte. Ich fühlte mich klein und bedeutungslos. Da tat es gut, recht behalten zu haben und nicht zum Arzt gegangen zu sein, wie es alle wegen meiner geschwollenen Hand dringend empfahlen. Den Hammer hatte ich in den Müll geschmissen, aus Wut und Verärgerung. Dabei konnte ER doch nichts dafür. Als der Schmerz nachgelassen hatte, kaufte ich mir einen Neuen. Den Hammer, dem ich dann eine quadratische Tafel baute; mit braunen Samt bezogen und, der wie ein Kunstwerk in meinem Wohnzimmer an der Wand hing. Meine Verlobte verließ mich zu jener Zeit. Ich habe ihr nur kurz nach getrauert. Zunächst dachte ich, es wären Anschläge gewesen. Fanatische Feinde des Autos hätten des Nachts auf dem kostbaren Lack die Kleckse mit aggressiver Farbe hinterlassen. Bei einigen sah es auch so aus, als wenn sie ihren Wagen unter einer Stromleitung geparkt hätten, auf der ein riesiger Vogel gesessen war und der seine Hinterlassenschaft ziel gerecht hatte fallen lassen. Ja, so sahen die meisten Kleckse eigentlich auch aus. Wie ein riesiger, nach allen Seiten dick zerfließender Vogelschiss! Erst als mein Bruder zu Besuch kam bin ich dahinter gekommen. Oh Gott dachte ich zunächst, als ich seinen neuen Wagen sah; auch er hat so einen Anschlag ertragen müssen. War aber nicht so. Mein Bruder lachte und zeigte mir, dass die Kleckse nur Folien waren, die leicht wieder abgenommen werden konnte. Ist mal etwas anderes, erklärte er mir. Nicht nur so das uniforme Aussehen der Wagen, alle gleich, sondern etwas Individuelles. Das hatte ich allerdings nicht verstanden, wo doch immer mehr Autos mit diesen individuellen Klecksen herum fuhren. Als mein Bruder abgereist war, freute ich mich auf meinen Hammer, dessen Gegenwart im Wohnzimmer von ihm als unpassend empfunden wurde. Aber war mein Hammer, meine Holzhammermethode nicht wirklich etwas individuelles; etwas, das nicht von der Stange weg im Laden gekauft werden konnte, wie diese Kleckse, die Individualität signalisieren sollten? Als Unterlage benutze ich übrigens eine zwei Zentimeter starke Korkplatte. Dort lege ich meine linke Hand drauf. Die Ärztin konnte übrigens an dem Verhalten der Autofahrer mit den Klecksen nichts besonderes finden. Ein Kollege von ihr hatte selbst viele Monate einen fetten Gelben auf dem Kotflügel eines dunkelroten Wagens der oberen Preisklasse spazieren gefahren. Mein linker Arm wurde dabei immer warm. Das gleichermaßen schmerzhafte wie vertraute Gefühl zog oft bis in den Ellbogen. Es hat Jahre gedauert, bis die Hand ihre heutige Form angenommen hat. Jetzt sitze ich auf meine Pritsche und starre die Hand an. Wenn ich hier noch lange sitzen bleiben muß und meinen Holzhammer nicht zurück bekomme, befürchte ich, dass die Hand ihr Aussehen und ihre einzigartige Form verliert. Die zurückliegenden Jahre wären vergeblich gewesen. Die Ärztin aber sagt dazu nichts sondern schaut nur. Hätte ich Britta damals vielleicht streicheln und küssen sollen, anstatt die Briefmarken aufzusammeln? Vor nicht langer Zeit sah ich meine Verlobte - meine ehemalige. Sie war nicht allein. Mit ihren Kolleginnen bummelte sie über den Jahrmarkt. Ein gackernder Frauenclub. Sie hatte mich nicht gesehen, aber ich konnte beobachten wie sie sich wiegen ließ, wie sie etwas unterschrieb, - sie wird doch nicht ... Ja, sie ist unternehmungslustig. Sie mag das Prickeln einer Herausforderung, sie ist auf der Höhe der Zeit. Und mir wird schon beim Blick über das Geländer im Treppenhaus unserer Firma schwindelig. Aber sie ließ sich das Geschirr anlegen, nochmals wiegen und dann wurde sie in einem Korb von dem Kran in die Höhe gehievt. Fünfzig Meter, stand an dem Schild nahe der Bude, bei der sich die Wagemutigen melden konnten. Ich sah sie in die Höhe entschwinden. Kräftige weiße Wolken, die im Sonnenlicht leuchteten, malten den Hintergrund aus. Mir wurde schlecht. Ich eilte schleunigst in eine nahe liegende Kneipe, hockte mich an die Theke, bestellte einen Doppelten und kippte ihn hinunter. Neben mir saßen Zwei, die wohl schon lange an der Theke gehockt hatten. Einer stand auf, torkelte zur Tür und stellte sich in den offenen Eingang. Uiii! grölte er, die hat aber Mut! Mit wehenden Haaren! Draußen klatschten die Zuschauer. Ich bestellte noch einen Doppelten. Zack - zack - zack - Wahnsinn - nichts als der helle Wahnsinn - dieser Schmerz - immer wieder dieser Schmerz - mir steht der Schweiß auf der Stirn - es ist wahnsinnig - ein wahnsinniges Gefühl! Oft bin ich danach ganz erschöpft und ich werde müde. Einige Male habe ich schon früh Morgens den Hammer vom Brett geholt. Üblich war es nicht. Aber ich hatte die Nachrichten im Radio gehört: eine Litanei des Wahnsinn. Die gemeldeten Toten waren nicht zu zählen: und auch sonst. Später habe ich mich krank gemeldet für den Tag. Nicht wegen der Hand! Wegen den Kollegen. Sie wollten es ja nicht verstehen. Meine Methode hat mir geholfen zurecht zu kommen. Sie war etwas Eigenes, wirklich Eigenes, auf das ich Stolz sein kann. Wenn ich in Amerika leben würde, glaube ich, hätte ich größere Chance von immer mehr Menschen verstanden zu werden. Amerika ist doch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. So aber bin ich ein Prophet, der im eigenen Land nichts gilt. Das habe ich der Ärztin gesagt. Sie aber hat nur geschaut. Im Fensterquadrat ist es nun dunkel geworden. Ich kann den Abendstern sehen. Wie schön er in dem Viereck zur Geltung kommt. Es ist übrigens eine Sie, die Venus. Sie macht sich genauso wie mein Hammer auf seinem samt bezogenen Quadrat. Wunderschön. Und so ist sie mir Trost in meinem jetzigen Leben. In der unteren Etage schreit jemand. Fürchterlich. Manchmal wird mein linker Arm warm, einfach so - ohne Grund. Obwohl sie mir meinen Hammer weggenommen haben. (c) Klaus Dieter Schley
Sie hielt den Hörer noch in der Hand obwohl er längst aufgelegt hatte. Ein Kilo Butter sollte sie mitbringen, Deutsche Markenbutter, das hatte der Mann betont, und zwei Stück Seife. Welche sei ihm gleichgültig, nur duften sollte sie nicht zu stark. "Ein Kilo Butter und zwei Stück Seife?" Die Kollegin von Marianne schaute skeptisch, als sie von dem Telephonat hörte.  "Und die Martinistraße ist auch nicht die erste Adresse."  "Aber was soll ich machen? Ich brauche eine Wohnung."  "Andererseits sind Butter und Seife auch nicht zuviel verlangt. Da gibt es ganz andere Forderungen."  "Eben."  "Wann sollst du kommen?"  "Um halb sechs."  "Ich wünsche dir jedenfalls viel Glück."   Mit dem Bus fuhr Marianne bis fast vor die Haustür.  "Nummer 114", hatte der Mann gesagt. "Gleich neben dem Waffengeschäft, falls Sie die Hausnummer nicht erkennen können. Sie ist etwas verwittert."  Aber nicht nur die Hausnummer war verwittert. Von der gesamten Fassade des drei stöckigen Gebäudes war die Farbe abgeblättert und an einigen Stellen bröckelte schon der Putz.   Eine Weile stand Marianne vor der dunkelbraunen Tür und studierte die verblaßten Namen auf den Schildchen, - sofern welche eingetragen waren.  Der Mann hatte seinen Namen nicht erwähnt und sie hatte vergessen danach zu fragen. Überhaupt hatte er kaum etwas über die Wohnung erzählt, nur das es eine Dachwohnung sei.  "Und wenn Sie meinen, Sie müßten die Bude unbedingt anschauen, gut, ich dränge keinen. Nur denken Sie bitte an die Butter und die Seife. Und seien Sie pünktlich! Es kommen ja noch andere Interessenten", hatte er ihr kurz und knapp erklärt.  Mariane drückte gegen die Tür. Sie war nicht verschlossen. Schwer aber fast lautlos ließ sie sich öffnen. Der strenge Geruch eines Treppenhauses, in dem sich die Düfte aus allen Küchen vereinten, empfing sie. Eine Zeitung rutschte aus dem Postkasten und fiel auf die grauen Fliesen.  "Sind Sie Frau Friedrichs?"  Erschrocken schaute Marianne hoch. Auf dem Treppenabsatz stand ein alter zitternder Mann, bekleidet mit einem zerschlissenen Morgenmantel und gestützt auf einem knorrigen Spazierstock.  Marianne nickte.  "Sie kommen wegen der Wohnung. Gut. Ich aber glaube kaum, das sie Ihnen zusagen wird. Das sage ich Ihnen gleich. Aber meinetwegen. Schauen Sie sich die Wohnung an. Es ist eine Dachwohnung über der dritten Etage. Sie haben die Butter mitgebracht, und die Seife?"   Marianne zog eine Tüte aus ihre Tasche.  "Sehr gut. Geben Sie mir."  Sie stieg zum ersten Treppenabsatz und reichte die Tüte dem Mann. Der Alte stank. Nach Schweiß, nach Bier, nach Urin. Marianne wich sofort zurück, als sie ihm die Tüte gereicht hatte. Umständlich legte er sie neben sich auf den Boden. Dann wühlte er in seiner Manteltasche. Der Alte hatte Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten. Seine Hausschuhe waren breitgetreten, so das die nackten grauen Füße halb neben den Schuhen standen."  "Wieviel schulde ich Ihnen?" fragte er.  "Sie wollen bezahlen?"  "Ja selbstverständlich. Oder was dachten Sie?"  "Ich..."  "Das kann ich noch. Keine Sorge. Wenn ich auch sonst nichts mehr kann. Bezahlen aber kann ich noch."  Der Mann reichte ihr einen zehn Mark Schein. Er hatte lange, verknorpelte Finger und dreckige Fingernägel, die gelblich waren, mit schwarzen Flecken. Sie gab ihm schnell das Wechselgeld.  "Gehen Sie nun. Gehen Sie rauf und schauen Sie sich die Wohnung an. Die Tür ist offen."   Der Alte blieb mitten auf dem Absatz stehen. Er rührte sich nicht, keinen Zentimeter. Marianne schob sich schnell mit angehaltenem Atem an ihm vorbei. "Sie leben allein?" rief er, als sie schon ein paar Stufen gestiegen war.  Sie nickte. Der Alte schaute noch immer hinunter zur Tür.  "Ja oder Nein?"  "Ja, ich lebe allein."  "Gut. Ist mir recht. Aber ich glaube kaum, daß Ihnen die Wohnung zusagt."  "Was soll sie kosten?"  "Kosten? Ach was. Gehen Sie erst rauf. Schauen Sie sich die Wohnung an. Alles weitere danach." Der alte Mann drehte ihr seinen Kopf etwas zu und schielte.  "Falls Sie ein danach wünschen. Aber nun gehen Sie schon!"   Das Treppenhaus war dunkel und schmutzig. Aus der rechten Wohnung in der zweiten Etage drang der Geruch verbrannter Milch. Orientalische Musik dudelte hinter der Tür. In der dritten Etage war es totenstill. Das Treppenhaus war hier zu Ende. Nur noch eine schmale Holzstiege führte ein Stück weiter hinauf auf einen dunklen Absatz. Rechts war eine grobe Holztür, die mit einem Vorhängeschloß gesichert war. Links befand sich eine weiß gestrichene Wohnungstür. Sie war nicht verschlossen.    Marianne betrat einen kleinen dunklen Flur. Die Tapeten hingen von den Wänden, von der Decke rieselte Putz und an einigen Stellen war das Stroh sichtbar. Eine Schabe huschte über den zerschlissenen roten Linoleumfußboden und verkroch sich hinter einer abstehenden Fußleiste. Direkt der Wohnungstür gegenüber befand sich die Toilette. Die Tür war geöffnet. In die hinterste Ecke des Raumes, der kaum breiter war als die Tür, stand das Klosettbecken. Nasses Zeitungspapier und Tapentenfetzen quollen aus der Schüssel. Die Klosettbürste lag neben dem Eingang.   Es roch nach Staub und Kalk. Vor Mariannes Füßen lag eine alte Boulevardzeitung. Neben einem am Strand kauernden nackten Mädchen prangte die Schlagzeile "Junge Frau zerstückelt. Eingefroren".   Vorsichtig ging Marianne durch die engen Räume. In fast allen Ecken hingen dicke Spinnweben, in denen sich grauer Staub und Mörtelbrocken verfangen hatten. In jedem Raum waren in der Dachschräge kleine Fenster eingebaut. Mit Mühe konnte sie eines der klemmenden Holzfenster öffnen.   Der Blick ging über graue Hinterhöfe, über kleine, verbaute Balkons, rötlichschwarze Dächer zu einem alten, still gelegten Fabrikgebäude. Überraschend ruhig war es ja hier oben, dachte sie. Vom Straßenlärm war kaum etwas zu hören. Aber bin ich Innenarchitektin?   Sie drückte das Fenster wieder zu. Als sie sich umdrehte, huschte an der gegenüberliegenden Wand ein Schatten vorüber und im gleichen Augenblick knallte eine Tür. Sie riß ihre Hand hoch, legte sie an ihren Mantelkragen. Mit angehaltenem Atem lauschte sie.   "Ist da jemand!" rief sie. Niemand antwortete.   Plötzlich baumelte eine fette Spinne vor ihren Augen. Entsetzt sprang sie zur Seite. Die Spinne hangelte sich an ihrem Faden hoch und verschwand in einem Loch der Dachschräge.  Marianne eilte zum Ausgang. Die Wohnungstür war zu gefallen. Ihr fehlte die Türklinke. "Hallo!" rief sie und klopfte gegen die Tür. Doch im ganzen Haus schien es kein Leben zu geben. Nur aus weiter Ferne erscholl ein Martinshorn. Da entdeckte Marianne auf dem Fußboden die Türklinke. Sie hob die Klinke auf, stopfte sie in das Loch und öffnete die Tür.  In der zweiten Etage war es jetzt auch still und der Geruch von verbrannter Milch hatte sich mit den anderen Gerüchen vermischt.   Der alte Mann war nicht mehr da. Marianne wollte ihn schon rufen, aber sie wußte ja nicht einmal seinen Namen. Und wozu auch? Sie lief die restlichen Stufen hinab, zog die schwere Haustür auf und stand auf dem Bürgersteig.   Der lebhafte Straßenverkehr tat ihr gut. Sie atmete kräftig durch, nahm den Zehner aus ihre Manteltasche, den ihr der Alte für die Butter und die Seife gegeben hatte, und steckte ihn in ihr Portemonnaie. Dann ging sie die Straße hinunter zur Bushaltestelle. Noch immer spürte sie den Geruch des Hausflures und des Alten in ihre Nase.  Als sie an der Haltestelle wartete, kam ein junges Paar vorbei. Er trug einen Waschmittelkarton, sie einen Packen Toilettenpapier.  "Hat er nicht gesagt warum wir das mitbringen sollen?" fragte der Junge.  Das Mädchen schüttelte den Kopf.  Marianne schaute den Beiden nach, wie sie bis zu Nummer 114 gingen, auf die Klingelknöpfe schauten und dann durch die dunkle Haustür verschwanden.     (c) Klaus Dieter Schley
Klaus Dieter Schley, 2015