Wesen aus Fantasie und Worten Der Storybeutel
Sie hielt den Hörer noch in der Hand obwohl er längst aufgelegt hatte. Ein Kilo Butter sollte sie mitbringen, Deutsche Markenbutter, das hatte der Mann betont, und zwei Stück Seife. Welche sei ihm gleichgültig, nur duften sollte sie nicht zu stark. "Ein Kilo Butter und zwei Stück Seife?" Die Kollegin von Marianne schaute skeptisch, als sie von dem Telephonat hörte.  "Und die Martinistraße ist auch nicht die erste Adresse."  "Aber was soll ich machen? Ich brauche eine Wohnung."  "Andererseits sind Butter und Seife auch nicht zuviel verlangt. Da gibt es ganz andere Forderungen."  "Eben."  "Wann sollst du kommen?"  "Um halb sechs."  "Ich wünsche dir jedenfalls viel Glück."   Mit dem Bus fuhr Marianne bis fast vor die Haustür.  "Nummer 114", hatte der Mann gesagt. "Gleich neben dem Waffengeschäft, falls Sie die Hausnummer nicht erkennen können. Sie ist etwas verwittert."  Aber nicht nur die Hausnummer war verwittert. Von der gesamten Fassade des drei stöckigen Gebäudes war die Farbe abgeblättert und an einigen Stellen bröckelte schon der Putz.   Eine Weile stand Marianne vor der dunkelbraunen Tür und studierte die verblaßten Namen auf den Schildchen, - sofern welche eingetragen waren.  Der Mann hatte seinen Namen nicht erwähnt und sie hatte vergessen danach zu fragen. Überhaupt hatte er kaum etwas über die Wohnung erzählt, nur das es eine Dachwohnung sei.  "Und wenn Sie meinen, Sie müßten die Bude unbedingt anschauen, gut, ich dränge keinen. Nur denken Sie bitte an die Butter und die Seife. Und seien Sie pünktlich! Es kommen ja noch andere Interessenten", hatte er ihr kurz und knapp erklärt.  Mariane drückte gegen die Tür. Sie war nicht verschlossen. Schwer aber fast lautlos ließ sie sich öffnen. Der strenge Geruch eines Treppenhauses, in dem sich die Düfte aus allen Küchen vereinten, empfing sie. Eine Zeitung rutschte aus dem Postkasten und fiel auf die grauen Fliesen.  "Sind Sie Frau Friedrichs?"  Erschrocken schaute Marianne hoch. Auf dem Treppenabsatz stand ein alter zitternder Mann, bekleidet mit einem zerschlissenen Morgenmantel und gestützt auf einem knorrigen Spazierstock.  Marianne nickte.  "Sie kommen wegen der Wohnung. Gut. Ich aber glaube kaum, das sie Ihnen zusagen wird. Das sage ich Ihnen gleich. Aber meinetwegen. Schauen Sie sich die Wohnung an. Es ist eine Dachwohnung über der dritten Etage. Sie haben die Butter mitgebracht, und die Seife?"   Marianne zog eine Tüte aus ihre Tasche.  "Sehr gut. Geben Sie mir."  Sie stieg zum ersten Treppenabsatz und reichte die Tüte dem Mann. Der Alte stank. Nach Schweiß, nach Bier, nach Urin. Marianne wich sofort zurück, als sie ihm die Tüte gereicht hatte. Umständlich legte er sie neben sich auf den Boden. Dann wühlte er in seiner Manteltasche. Der Alte hatte Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten. Seine Hausschuhe waren breitgetreten, so das die nackten grauen Füße halb neben den Schuhen standen."  "Wieviel schulde ich Ihnen?" fragte er.  "Sie wollen bezahlen?"  "Ja selbstverständlich. Oder was dachten Sie?"  "Ich..."  "Das kann ich noch. Keine Sorge. Wenn ich auch sonst nichts mehr kann. Bezahlen aber kann ich noch."  Der Mann reichte ihr einen zehn Mark Schein. Er hatte lange, verknorpelte Finger und dreckige Fingernägel, die gelblich waren, mit schwarzen Flecken. Sie gab ihm schnell das Wechselgeld.  "Gehen Sie nun. Gehen Sie rauf und schauen Sie sich die Wohnung an. Die Tür ist offen."   Der Alte blieb mitten auf dem Absatz stehen. Er rührte sich nicht, keinen Zentimeter. Marianne schob sich schnell mit angehaltenem Atem an ihm vorbei. "Sie leben allein?" rief er, als sie schon ein paar Stufen gestiegen war.  Sie nickte. Der Alte schaute noch immer hinunter zur Tür.  "Ja oder Nein?"  "Ja, ich lebe allein."  "Gut. Ist mir recht. Aber ich glaube kaum, daß Ihnen die Wohnung zusagt."  "Was soll sie kosten?"  "Kosten? Ach was. Gehen Sie erst rauf. Schauen Sie sich die Wohnung an. Alles weitere danach." Der alte Mann drehte ihr seinen Kopf etwas zu und schielte.  "Falls Sie ein danach wünschen. Aber nun gehen Sie schon!"   Das Treppenhaus war dunkel und schmutzig. Aus der rechten Wohnung in der zweiten Etage drang der Geruch verbrannter Milch. Orientalische Musik dudelte hinter der Tür. In der dritten Etage war es totenstill. Das Treppenhaus war hier zu Ende. Nur noch eine schmale Holzstiege führte ein Stück weiter hinauf auf einen dunklen Absatz. Rechts war eine grobe Holztür, die mit einem Vorhängeschloß gesichert war. Links befand sich eine weiß gestrichene Wohnungstür. Sie war nicht verschlossen.    Marianne betrat einen kleinen dunklen Flur. Die Tapeten hingen von den Wänden, von der Decke rieselte Putz und an einigen Stellen war das Stroh sichtbar. Eine Schabe huschte über den zerschlissenen roten Linoleumfußboden und verkroch sich hinter einer abstehenden Fußleiste. Direkt der Wohnungstür gegenüber befand sich die Toilette. Die Tür war geöffnet. In die hinterste Ecke des Raumes, der kaum breiter war als die Tür, stand das Klosettbecken. Nasses Zeitungspapier und Tapentenfetzen quollen aus der Schüssel. Die Klosettbürste lag neben dem Eingang.   Es roch nach Staub und Kalk. Vor Mariannes Füßen lag eine alte Boulevardzeitung. Neben einem am Strand kauernden nackten Mädchen prangte die Schlagzeile "Junge Frau zerstückelt. Eingefroren".   Vorsichtig ging Marianne durch die engen Räume. In fast allen Ecken hingen dicke Spinnweben, in denen sich grauer Staub und Mörtelbrocken verfangen hatten. In jedem Raum waren in der Dachschräge kleine Fenster eingebaut. Mit Mühe konnte sie eines der klemmenden Holzfenster öffnen.   Der Blick ging über graue Hinterhöfe, über kleine, verbaute Balkons, rötlichschwarze Dächer zu einem alten, still gelegten Fabrikgebäude. Überraschend ruhig war es ja hier oben, dachte sie. Vom Straßenlärm war kaum etwas zu hören. Aber bin ich Innenarchitektin?   Sie drückte das Fenster wieder zu. Als sie sich umdrehte, huschte an der gegenüberliegenden Wand ein Schatten vorüber und im gleichen Augenblick knallte eine Tür. Sie riß ihre Hand hoch, legte sie an ihren Mantelkragen. Mit angehaltenem Atem lauschte sie.   "Ist da jemand!" rief sie. Niemand antwortete.   Plötzlich baumelte eine fette Spinne vor ihren Augen. Entsetzt sprang sie zur Seite. Die Spinne hangelte sich an ihrem Faden hoch und verschwand in einem Loch der Dachschräge.  Marianne eilte zum Ausgang. Die Wohnungstür war zu gefallen. Ihr fehlte die Türklinke. "Hallo!" rief sie und klopfte gegen die Tür. Doch im ganzen Haus schien es kein Leben zu geben. Nur aus weiter Ferne erscholl ein Martinshorn. Da entdeckte Marianne auf dem Fußboden die Türklinke. Sie hob die Klinke auf, stopfte sie in das Loch und öffnete die Tür.  In der zweiten Etage war es jetzt auch still und der Geruch von verbrannter Milch hatte sich mit den anderen Gerüchen vermischt.   Der alte Mann war nicht mehr da. Marianne wollte ihn schon rufen, aber sie wußte ja nicht einmal seinen Namen. Und wozu auch? Sie lief die restlichen Stufen hinab, zog die schwere Haustür auf und stand auf dem Bürgersteig.   Der lebhafte Straßenverkehr tat ihr gut. Sie atmete kräftig durch, nahm den Zehner aus ihre Manteltasche, den ihr der Alte für die Butter und die Seife gegeben hatte, und steckte ihn in ihr Portemonnaie. Dann ging sie die Straße hinunter zur Bushaltestelle. Noch immer spürte sie den Geruch des Hausflures und des Alten in ihre Nase.  Als sie an der Haltestelle wartete, kam ein junges Paar vorbei. Er trug einen Waschmittelkarton, sie einen Packen Toilettenpapier.  "Hat er nicht gesagt warum wir das mitbringen sollen?" fragte der Junge.  Das Mädchen schüttelte den Kopf.  Marianne schaute den Beiden nach, wie sie bis zu Nummer 114 gingen, auf die Klingelknöpfe schauten und dann durch die dunkle Haustür verschwanden.     (c) Klaus Dieter Schley
Klaus Dieter Schley, 2015
Klaus Dieter Schley, 2015
So eine Art Dunkelblitzen Es war keine Lähmung, die uns daran hinderte, einander in die Arme zu nehmen. Es war die nackte Angst einen Menschen wirklich zu spüren, seine Haut und seine Wärme zu fühlen und durch seinen Nähe gleich wie durch sein Zittern zu wissen, dass man nicht träumte. Als ich dann plötzlich Tanja, die nur einen winzigen Slip an hatte und am Rand des Schwimmbecken gelegen war, niederknien sah und beten - wie ein kleines Mädchen bei der Erstkommunion, war ich kurz davor in brüllendes Lachen auszubrechen, wenn ich nicht zugleich das Gefühl gehabt hätte, als wäre mir mein Bauch aufgeschlitzt worden und ich nun vergeblich versuchte meine heraus drängenden Gedärme nicht zu verlieren, so als könne ich dadurch dem unausweichlichen Tod entkommen, den ich schon in meinen Händen hielt. Wir hatten in der Nacht reichlich getrunken und geraucht, wir hatten gelacht und getanzt und eine Menge Blödsinn geredet, und zum Schluss haben wir die Party mit einem Bad im Meer unter einem funkelndem Sternenhimmel abgeschlossen. Da die Nächte auf der kleinen, weltabgewandten Insel zu dieser Jahreszeit besonders warm waren, legten sich nach dem Baden viele - nur in ein Laken gewickelt - an den Strand und schliefen einem neuen Tag entgegen. Weil ich nicht darauf geachtet hatte und etwas Abseits der Tamarisken lagerte, wurde ich schon bald von den ersten brennenden Sonnenstrahlen geweckt, kaum dass die Sonnen über die Berge jenseits der Bucht gekrochen war. Ich stand auf, badete im Meer und ging zur Terrasse des Restaurants, um einen Kaffee zu trinken. Um diese Zeit hatte ich eigentlich erwartet der erste Gast zu sein. Doch Sonja saß schon an einem Tisch nahe des Schwimmbecken und hatte vor sich eine Karaffe mit frisch gepresstem Orangensaft stehen. Ich fragte sie, ob ich mich zu ihr setzen dürfe und sie nickte. Sonja war bekannt als eine etwas launige Frau, zu der niemand so recht Zugang fand. Sie zog es vor mit dicken Büchern in eine Ecke zu sitzen und vor allem ging sie früh schlafen, stand dafür aber zeitig auf. Als ich einen Augenblick gesessen hatte und nach einem Thema suchte, über das ich mich mit ihr unterhalten könnte, entdeckte ich Pedro, der von den überhängenden Weinstauden im hinteren Teil der Terrasse mit dem Kopf nach unten baumelte und dabei einen seltsam apathischen Eindruck machte. Sonja schaute mich plötzlich scharf an, als sie bemerkte, daß ich zu Pedro schaute. "Findest du das richtig den Tieren Alkohol zu geben", blaffte sie mich an? Ich schüttelte meinen Kopf weil ich nicht wusste, was sie meinte. "Du warst doch bestimmt letzte Nacht auch hier oben, als sie Pedro mit Alkohol getränkten Bananen und Honigmelonen gefüttert haben." Sie wies zum Schimpansen hinüber. "Ich habe das schon einmal beobachtet und ich muss sagen, ich finde das fies." Noch ehe ich etwas antworten konnte fuhr sie fort. "Hexe habt ihr auch alkoholisiert! So winselnd habe ich die arme Hündin noch nie erlebt. Sie mochte sich nicht einmal von mir streicheln lassen und ist jaulend davongelaufen!" "Und du glaubst, das kommt vom Alkohol der ihnen von irgend jemanden verabreicht wurde?" "Ja sicher! Woher sonst?" "Ich habe natürlich nicht alles gesehen, was letzte Nacht hier geschehen ist, aber glaube mir, ich habe niemanden beobachtet, der die Tiere gefüttert hat. Ich habe Pedro und Hexe nicht einmal hier oben gesehen", versuchte ich ihr zu erklären, wenn ich auch an ihrem Blick sah, daß sie mir nicht glaubte. Plötzlich sprang Pedro von der Weinstaude herunter, streckte sich und stieß schrille, lang gestreckte Töne in den Morgen. Darauf sprang er wie irre geworden im Kreis herum, schlug mit seinen Armen heftig um sich als befände er sich in einem Kampf auf Leben und Tod, so das Manni, der schon lange auf der Insel lebte und als Gelegenheitskellner gerade meinen Kaffee brachte, stehen blieb und sich verwundert nach dem Affen umschaute, bis dieser endlich schreiend und in die Luft schlagend die Terrasse verließ und zum Strand lief. Sonja schaute mich vorwurfsvoll an. "Ein Affe halt", erklärte ich mit zuckenden Schultern. "So seltsam benimmt sich Pedro schon den ganzen Morgen", sagte Manni und setzte sich seufzend zu uns. "Vielleicht fühlt er sich auch nicht besonders gut." "Haben sie dich auch in der Nacht mit Alkohol abgefüllt?" fragte ich ihn mit einem ironischen Unterton. Sonja ließ sich davon nicht beeindrucken. Sie stierte auf das Schwimmbecken, in dem sich die Sonne in einer Weise spiegelte, wie ich es in all' den Wochen, die ich nun schon auf der Insel weilte, nicht gesehen hatte. War es die Farbe des Lichtes oder die Art des Glitzern in dem von einem sanften Wind gekräuselten Wasser, das mir befremdlich vor kam und ich fast aufgestanden wäre um zu schauen, was sich im Wasser abspielte? "Ich habe gestern so gut wie nichts getrunken", erklärte Manni. Daran kann es nicht liegen. Wäre ja auch etwas ganz neues! Nein, es ist nur so ein blödes Gefühl. Wie Lampenfieber. Ja, wie Lampenfieber! Idiotisch, was? Ich habe ein Gefühl als stünde ich vor einer Prüfung, oder vor irgend etwas - etwas Schrecklichem. Seltsam, nicht war?" "Vielleicht hättest du doch etwas trinken sollen", erklärte ich spöttisch, "dann würdest du auch kein Lampenfieber vor nichts haben." Manni lachte kurz auf und ich spürte, dass ihm wirklich nicht ganz wohl war. Die Stimmen schimpfender Leute drangen plötzlich zur Terrasse herauf und kurz darauf kamen sie um die Ecke: Tom und Rico, Jessika und Sabine, Marlies, Arthur und Erwin. Sie hatten ihre Laken und Badesachen bei sich und fluchten über Pedro, der sie am Strand mit Sand und Kieselsteinen beworfen hatte, einen Höllen Lärm dabei veranstaltete und sich von all' dem nicht abbringen lassen wollte, so das ans Schlafen nicht mehr zu denken war. Dem Schimpansen war es gelungen ausnahmslos alle Leute aufzuwecken und von ihren Schlafstätten zu verjagen. Es dauerte auch nicht lange, bis sich die Terrasse mit immer mehr fluchenden Leuten füllte. Manni war davon geeilt um sie mit Kaffee und Orangensaft zu versorgen. Sonja stand plötzlich wortlos auf und ging. Sie hatte zuletzt nur noch auf das Wasser des Schwimmbecken geschaut, und fast wäre ich ihr hinter her gelaufen um sie zu fragen, ob sie auch diesen seltsamen Schimmer auf dem Wasser wahrgenommen hätte und wie sie sich ihn erklärte; doch sogleich dachte ich, daß sie auch von mir nichts hielt. Also blieb ich sitzen und beobachtete den plötzlichen Trubel auf der Terrasse. Auch aus der Pension und dem kleinen Hotel kamen die Leute, als wären sie verabredet und alle erklärten sie, dass sie irgendwie nicht mehr schlafen konnten. "Irgendwie" war ein Wort, dass mir auffiel. Bald jeder verwandte es, "irgendwie konnte ich nicht mehr schlafen, irgendwie fühle ich mich heute morgen seltsam, irgendwie kommt mir alles eigenartig vor" und ich schaute auf das Wasser des Beckens, das mir "irgendwie" seltsam das Licht der Sonne spiegelte. Ich trank meinen Kaffee aus, stand auf und stellte mich an den Rand der Terrasse um auf das Meer zu schauen. Eigentlich wusste ich nicht warum ich das tat, denn das Meer interessierte mich genau genommen so wenig wie die Leute. An diesem Morgen war die Luft besonders klar und obwohl es um die 40 Grad heiß werden würde, machte der Himmel und die klare Sonne den Eindruck, als befänden wir uns im Gebirge bei eiskaltem Winterwetter. Ich mochte so klares Licht und eine so durchsichtige, saubere Luft. An diesem Morgen empfand ich aber bei dem Licht und dem Himmel, der von einem eigenartigen, transparenten Blau war, ein Gefühl, dass mich plötzlich an dem erinnerte, was Manni gesagt hatte: eine Art Lampenfieber - oder Furcht, als wenn einem etwas bevorstand, von dem man nicht wusste was es war, von dem man aber ahnte, dass es nicht gut war. Ich drehte mich um und schaute zum Schwimmbecken. Tanja war gekommen. Sie stand in einem Seidentuch gehüllt am Beckenrand. Unweit von ihr schwänzelten die beiden Typen herum, die schon seit Tagen - bislang vergeblich - versuchten sich an die Schöne ran zu machen. Sie setzten sich, jeder an einen Tisch für sich, und beobachteten ihre Traumfrau. Es waren knallharte Konkurrenten die nicht gut aufeinander zu sprechen waren; soviel war bekannt und auch, das Tanja das Spiel mit den Jungen genoss, die dabei sehr von sich eingenommen waren. Sie flirtete mit anderen Männern nur um die beiden zu provozieren und die Vermutung ging umher, dass einem von Beiden bald der Kragen platzen würde und es zu weniger schönen Szenen kommen würde. Nun ließ sie das Tuch von ihrem Körper sinken. Sie hatte nur einen winzigen Slip an, der kaum mehr als ein Akzent an ihrem wohl geformten Körper war. Mit einem gekonnten Sprung tauchte sie kopfüber ins Wasser ein. Ich verließ die Terrassen und ging hinunter an den Strand. Mich trieb das Bedürfnis nach Ruhe, zudem war ich müde. Es war inzwischen windstill und über den Bergen flirte ein dunkelblauer Lichtschimmer, den ich in dieser Klarheit so noch nie gesehen hatte und den ich eine Weile fasziniert beobachtete. Von Pedro war weit und breit nichts zu sehen. Nur ein älteres Ehepaar legte sich gerade unter einen Sonnenschirm, den sie in den Sand gestopft hatten. Sonst befand sich niemand mehr am Strand, an dem das Meer mit kleinen Wellen plätscherte, als wäre es kein Meer sondern nur ein kleiner See im Stadtpark. Die Vögel in den Tamarisken zwitscherten verhalten. Das fiel mir nach einer Weile auf, während der ich auf dem heißen Sand hockte und dösend ins Wasser stierte. Ihnen wird es zu heiß sein um großartig Lärm zu machen, erklärte ich mir, als plötzlich in die Stille des brütenden Vormittages das langsam anschwellende Dröhnen eines Außenbordmotors drang. Auf dem Meer wuchs ein Punkt zu einem kleinen Fischerboot, in dem ich bald den lustigen Mann mit der Hakennase erkannte. Es war der schmächtige Fischer, der häufig auf den Strand landete und sich zu den Touristen gesellte, um mit seinem radebrechenden Englisch ein kleinen Schwatz zu halten. In meinen Augen war er ein Mensch, dem alle Zeit der Welt gehörte, denn noch nie hatte ich ihn in Eile gesehen. Landete er nicht auf dem Strand sondern fuhr nur vorbei, so dauerte es ewig bis er hinter der Landzunge am Ende der Bucht verschwunden war, wo er seine Anlegestelle hatte. Der Bug seines Bootes ragte an diesem Morgen aber in die Höhe, als wollte er in den Himmel abheben, während das Heck tief im Wasser lag; dabei zog er eine fette Abgasfahne hinter sich her. Zielstrebig fuhr er weit draußen am Strand vorbei ohne auch nur für einen Augenblick sein Gesicht vom anvisierten Ziel abzuwenden. Eine Eile, die mich sehr verwunderte und ich schaute ihm nach, bis mir die Landzunge den Blick nahm. Erst jetzt bemerkte ich den Mond am Himmel und er jagte mir einen heftigen Schrecken ein. Doch sofort musste ich über mich und meine seltsame Nervosität lachen. Es war wirklich nichts außergewöhnliches um diese Jahres- wie Tageszeit die schmale Sichel des abnehmenden Mondes zu sehen. Es war mir zu heiß geworden um weiter direkt in der Sonne zu hocken. Als ich aufstand um in den Schatten zu gehen, wurde mir plötzlich für einen winzigen Augenblick schwarz vor Augen. Was war das, fragte ich mich. Setzte mein Kreislauf aus? Dabei fühlte ich mich keineswegs schwach oder Übel. Der Schweiß stand mir zwar auf der Stirn, aber sie war warm. Müde, übernächtigt, ja, das war ich, mehr aber auch nicht. Ich hatte den Eindruck als wäre die Schwärze etwas Äußeres gewesen, so als hätte jemand das Licht für einen Augenblick ausgeschaltet. Ich schaute mich um, aber was hätte ich schon entdecken können? Um mich herum war es einfach nur grell und heiß. Das Ehepaar lag ruhig unter ihrem Sonnenschirm auf dem Bauch und sie schliefen oder dösten. Vielleicht war die letzte Nacht doch etwas arg gewesen, dachte ich. Hexe lag hinter einer dicken Wurzel im Schatten und winselte. Sie hatte sich dicht an eine Wurzel gepresst und ganz flach gemacht, als wollte sie sich verstecken; dabei zitterte sie am ganzen Körper. Ich hockte mich nieder und streichelte sie. Die Hündin schaute mich mit treuen Augen ängstlich an und beruhigte sich nur langsam. Nein, mit Alkohol hatte man sie nicht vergiftet. Das waren keine Symptome dafür. Auch Verletzungen oder Schmerzen waren nicht feststellbar, so das sich mein Eindruck verstärkte, sie habe vor irgend etwas Angst - ganz fürchterliche Angst. Und plötzlich hatte ich wieder dieses unangenehme Gefühl, dieses Lampenfieber. Ein kaputter Tag, dachte ich und legte mich einfach neben die Hündin in den Sand. Ich streichelte sie noch eine ganze Weile, aber irgendwann übermannte mich die Müdigkeit und ich schlief ein. Als ich wach wurde fühlte ich mich sehr gut. Ich musste wohl tief geschlafen haben und es dauerte einige Zeit, in der meine Gedanken ihre eigenen unbelasteten Wege gingen, bis ich plötzlich wahrnahm, dass mich jemand rief und mir klar wurde, wo ich mich überhaupt befand. Hexe lag nicht mehr neben mir, sie war verschwunden. Das Meer war nach wie vor glatt und ruhig und der Strand lag im Fieber der Mittagshitze. Das alte Ehepaar und ihr Sonnenschirm war verschwunden. Überall an meiner Haut und meiner Kleidung klebte der Sand, ich war völlig durch geschwitzt. Nun entdeckte ich Vito, wie er schnaufend den Strand entlang stampfte. Er sah mich und rief mir von weitem zu, das ich auf die Terrasse kommen solle, es sei wichtig. Darauf drehte er um und eilte davon. Auf einer Wurzel sitzend streifte ich mir langsam den Sand ab. So ein Blödsinn, dachte ich, was sollte es an diesem Ort schon Wichtiges geben? Andererseits hatte ich Durst und Hunger, also ging ich. Doch als ich ein paar Schritte gelaufen war setzte wieder dieses unangenehme Gefühl ein, schlagartig und heftig, so als erinnerte ich mich an etwas sehr schlimmes. Ich blieb stehen und schaute zu dem Platz meiner friedlichen Ruhe zurück. Ach was, ich reise ja nicht ab, sagte ich mir und ging wieder ein paar Schritte, blieb stehen, schaute mich um, schaute auf das Meer und in diesen klaren, blauen Himmel unter dem ich schon so viele Stunden dösend und tagträumend verbracht hatte. Die Musik auf der Terrasse war recht leise. Das fiel mir sofort auf und auch, das nahezu alle versammelt waren. Warum man mich geholt hatte, war aber eigentlich schon kein Thema mehr. Viele hatten sich etwas zu essen bestellt, andere spielten Schach oder Karten oder saßen einfach bei einem Glas Bier zusammen und unterhielten sich. Im Schwimmbecken drehten das alte Ehepaar gemächlich ihre Runden. Vito rief mich an seine Tisch an dem noch Arthur, Rico, Jessika und Sabine saßen. Sie wollten von mir wissen, ob ich auch diese "Aussetzer" verspürt hätte. "Aussetzer?" fragte ich. "Ja, so ein Blitzen", erklärte Rico. "Ein Dunkel-Blitzen", warf Arthur ein und grinste dabei, als rechne er damit, dass ich ihn für verrückt erklären würde. "Lichtweg. Einfach Lichtweg, verstehst du, für den Bruchteil einer Sekunde", sagte Rico. Mir war, als rase mein Verstand auf der Suche nach einer Erklärung im Leerlauf. Hexe, Pedro, der Fischer - die Vögel in den Tamarisken - alles bekam plötzlich einen absurden Sinn. "Wir denken, es liegt am Stoff", sagte Vito. "Du hast doch gestern auch geraucht." Ich nickte. "Und?" "Ich hatte auch so ein Dunkel-blitzen. Heute Vormittag am Strand." "Seht ihr, alle die geraucht haben", rief Arthur. "Das Zeug taugt nichts. Macht uns nur irre." "Ich denke nicht, dass es am Stoff liegt", sagte ich und schaute zum Schwimmbecken. Die beiden Alten stiegen gerade aus dem Wasser. Inzwischen stand die Sonne so, dass sie zur Terrasse hin nicht mehr Beckens glitzern konnte. Das Wasser sah ganz normal aus, wie jeden Tag. Sonja saß am Nebentisch und hatte ein Buch vor sich liegen. Sie las aber offensichtlich nicht, sondern lauschte unserem Gespräch. Als ich sie anschaute versenkte sie ihren Blick in das Buch. "Worauf führst du denn die Aussetzer zurück", fragte mich Arthur. "Da hat ein Astronaut in seiner Raumstation den Schalter für die Sonne entdeckt und knipst hin und wieder das Licht aus um Touristen zu erschrecken", warf Rico ein. "Quatsch!" rief Sabine, "seit doch mal ernst! Bedenkt doch, dass die Kölner und auch andere, die nicht geraucht haben, die gleichen Erfahrungen gemacht haben wie wir. Also kann es schon eine andere Ursachen habe?" "Das Essen, die Gewürze, das Bier oder chemische Stoffe im Meerwasser", sagte Arthur und lachte. Sabine seufzte. "Mir ist das gleich. Ich werde jedenfalls nichts mehr rauchen", stellte Jessika fest. "Mir ist das zu unheimlich. Da können einem ja wer weiß was für Gedanken kommen." Manni brachte die Pizzas, die von den fünf bestellt worden waren. Ich wünschte guten Appetit und holte mir ein Bier, mit dem ich mich nahe des Schwimmbeckens setzte. Hier glitzerte die Sonne wie gewohnt im Wasser. Sonja beobachtete mich. Als ich zu ihr hinschaute, wich sie für ein paar Sekunden meinem Blick nicht aus. Zunächst wollte ich lächeln, spürte aber, das ihr Gesicht hart war und ihre Augen fragend. Tanja zog sich eine Liege an den Beckenrand um sich zu sonnen. Kaum lag sie, näherte sich ihr einer von den Beiden Verehrern - der mit den lockigen Haaren - mit einem Cocktail. Er reichte ihr das Glas aber sie wehrte ab. Mehrmals bot er ihr den Cocktail an und suchte sie zu überreden, aber Tanja wollte nichts trinken. Plötzlich tauchte der dunkelhaarige Verehrer auf und herrschte den Lockigen an. Ein heftiger Wortwechsel platzte über die Terrasse, der zunehmend Aufmerksamkeit verursachte. Nur Tanja lag auf ihrer Liege und tat so, als ginge ihr das alles nichts an. Der Lockige schmiss das Glas dem Nebenbuhler vor die Füße. Auf der Terrasse verstummten schlagartig alle Gespräche. Der Dunkelhaarige schaute von dem zerschlagenen Glas vor seinen Füßen zum Lockigen ganz langsam auf und plötzlich stupste er ihn mit der flachen Hand vor die Brust. Schneller als man schauen konnte, waren die Beiden aneinander geraten, Schläge klatschten, Tische wurden umgestoßen und als Manni auftauchte und den Beiden zu rief, sie sollten sofort aufhören, stürzte der Lockige in das Schwimmbecken. Gelächter schallte über die Terrasse. Der Dunkelhaarige stampfte davon. Die Beiden hatte die Aufmerksamkeit aller Leute so in Anspruch genommen, das niemand bemerkte wie es dunkler geworden war. Ich ging zum Rand der Terrasse und schaute zum Himmel hinauf. Er war klar und keine Wolken waren zu sehen, auch vom Meer war kein Nebel aufgestiegen. Die Sonne blendete nach wie vor, dennoch war im allgemeinen deutlich weniger Licht, so als hätte man eine Sonnenbrille auf, die das Licht dämpfte. Nach und nach kamen immer mehr und schauten sich ungläubig wie verwundert um und alle rätselten was denn "nun los sei". "Eine Mondfinsternis", meinte Vito, aber das wurde für ausgeschlossen gehalten. Dennoch ließ die Intensität des Lichtes einfach nach und die Himmelbläue änderte sich. Inzwischen waren alle ins Frei gelaufen und schauten zum Himmel hinauf. Alle redeten sie durcheinander und Worte wie "phantastisch, ist ja unglaublich!" machten die Runde. Die ersten hatten ihre Videokamera geholt und einige standen mit dem Fotoapparat da und knipsten drauf los. Zweifelsfrei bot sich uns ein außergewöhnliches Panorama, ein Spiel des Lichtes wie es nie jemand gesehen hatte. Die Sonne stand genau dort, wo sie um diese Zeit zu stehen hatte. Aber sie verlor von Minute zu Minute ihr Licht. Es war aber keine Abenddämmerung, kein rötlicher Schimmer, der die Berge hinauf kroch. Und es war auch nicht das Licht eines von Wolken getrübten Tages. Es war nach wie vor das gleißende Licht einer ungetrübten Sonne, nur daß es erkennbar an Kraft verlor. Es wurde sanfter und sanfter. Plötzlich schrie Sonja auf. Sie wies mit zitternder Hand auf das Meer hinaus. Die Leute verstummten. Niemand wollte und niemand konnte glauben was zu sehen war. Zwischen dem Meer und dem Himmel wuchs ein schwarzer Streifen wie ein breites klaffendes Maul. Und in diesem Maul funkelte kleine Punkte. Es waren Sterne. Plötzlich wurde es windig. Die noch immer heiße Luft bewegte sich und es war als wußte sie nicht wohin. Keiner sagte etwas und niemand fotografierte mehr. Das Meer tat so als geschehe nichts, die Vögel waren verstummt, die Sonne leuchtete nur noch wie ein besonders heller Mond mit einem immer kleiner werdenden Hof aus blauem Himmel. Wir sahen die Sonne und die Sterne zur gleichen Zeit. Inzwischen ist es wieder Nacht - von der Uhrzeit her. Das Meer brandet heftig an den Strand, wie im Herbst oder im Winter. Wir sitzen mit Pullovern und Jacken auf der Terrasse, weil es deutlich kühler geworden ist. Wir haben entschlossen keinen Alkohol mehr auszugeben und wir versuchen Stunde um Stunde mit unseren Angehörigen oder mit dem Festland Verbindung aufzunehmen. Aber das Telefon funktioniert genauso wenig wie das Radio oder das Satellitenfernsehen. Die Fähren sind ausgeblieben. Wir konnten gerade noch erfahren, dass es weltweit zu unvorstellbaren Reaktionen gekommen war. Bald wird es wieder Tag, der Uhrzeit nach. Die Sonne zieht ihre Bahn und man kann sie dabei beobachten. Denn dort wo sie steht sind keine Sterne zu sehen und ein schwarzer Fleck zieht über dem Himmel, aus dem hin und wieder ein dunkelroter Schimmer bleckte. Es wird dann sogar etwas wärmer. (c) Klaus Dieter Schley
Wesen aus Fantasie und Worten Der Storybeutel
So eine Art Dunkelblitzen Es war keine Lähmung, die uns daran hinderte, einander in die Arme zu nehmen. Es war die nackte Angst einen Menschen wirklich zu spüren, seine Haut und seine Wärme zu fühlen und durch seinen Nähe gleich wie durch sein Zittern zu wissen, dass man nicht träumte. Als ich dann plötzlich Tanja, die nur einen winzigen Slip an hatte und am Rand des Schwimmbecken gelegen war, niederknien sah und beten - wie ein kleines Mädchen bei der Erstkommunion, war ich kurz davor in brüllendes Lachen auszubrechen, wenn ich nicht zugleich das Gefühl gehabt hätte, als wäre mir mein Bauch aufgeschlitzt worden und ich nun vergeblich versuchte meine heraus drängenden Gedärme nicht zu verlieren, so als könne ich dadurch dem unausweichlichen Tod entkommen, den ich schon in meinen Händen hielt. Wir hatten in der Nacht reichlich getrunken und geraucht, wir hatten gelacht und getanzt und eine Menge Blödsinn geredet, und zum Schluss haben wir die Party mit einem Bad im Meer unter einem funkelndem Sternenhimmel abgeschlossen. Da die Nächte auf der kleinen, weltabgewandten Insel zu dieser Jahreszeit besonders warm waren, legten sich nach dem Baden viele - nur in ein Laken gewickelt - an den Strand und schliefen einem neuen Tag entgegen. Weil ich nicht darauf geachtet hatte und etwas Abseits der Tamarisken lagerte, wurde ich schon bald von den ersten brennenden Sonnenstrahlen geweckt, kaum dass die Sonnen über die Berge jenseits der Bucht gekrochen war. Ich stand auf, badete im Meer und ging zur Terrasse des Restaurants, um einen Kaffee zu trinken. Um diese Zeit hatte ich eigentlich erwartet der erste Gast zu sein. Doch Sonja saß schon an einem Tisch nahe des Schwimmbecken und hatte vor sich eine Karaffe mit frisch gepresstem Orangensaft stehen. Ich fragte sie, ob ich mich zu ihr setzen dürfe und sie nickte. Sonja war bekannt als eine etwas launige Frau, zu der niemand so recht Zugang fand. Sie zog es vor mit dicken Büchern in eine Ecke zu sitzen und vor allem ging sie früh schlafen, stand dafür aber zeitig auf. Als ich einen Augenblick gesessen hatte und nach einem Thema suchte, über das ich mich mit ihr unterhalten könnte, entdeckte ich Pedro, der von den überhängenden Weinstauden im hinteren Teil der Terrasse mit dem Kopf nach unten baumelte und dabei einen seltsam apathischen Eindruck machte. Sonja schaute mich plötzlich scharf an, als sie bemerkte, daß ich zu Pedro schaute. "Findest du das richtig den Tieren Alkohol zu geben", blaffte sie mich an? Ich schüttelte meinen Kopf weil ich nicht wusste, was sie meinte. "Du warst doch bestimmt letzte Nacht auch hier oben, als sie Pedro mit Alkohol getränkten Bananen und Honigmelonen gefüttert haben." Sie wies zum Schimpansen hinüber. "Ich habe das schon einmal beobachtet und ich muss sagen, ich finde das fies." Noch ehe ich etwas antworten konnte fuhr sie fort. "Hexe habt ihr auch alkoholisiert! So winselnd habe ich die arme Hündin noch nie erlebt. Sie mochte sich nicht einmal von mir streicheln lassen und ist jaulend davongelaufen!" "Und du glaubst, das kommt vom Alkohol der ihnen von irgend jemanden verabreicht wurde?" "Ja sicher! Woher sonst?" "Ich habe natürlich nicht alles gesehen, was letzte Nacht hier geschehen ist, aber glaube mir, ich habe niemanden beobachtet, der die Tiere gefüttert hat. Ich habe Pedro und Hexe nicht einmal hier oben gesehen", versuchte ich ihr zu erklären, wenn ich auch an ihrem Blick sah, daß sie mir nicht glaubte. Plötzlich sprang Pedro von der Weinstaude herunter, streckte sich und stieß schrille, lang gestreckte Töne in den Morgen. Darauf sprang er wie irre geworden im Kreis herum, schlug mit seinen Armen heftig um sich als befände er sich in einem Kampf auf Leben und Tod, so das Manni, der schon lange auf der Insel lebte und als Gelegenheitskellner gerade meinen Kaffee brachte, stehen blieb und sich verwundert nach dem Affen umschaute, bis dieser endlich schreiend und in die Luft schlagend die Terrasse verließ und zum Strand lief. Sonja schaute mich vorwurfsvoll an. "Ein Affe halt", erklärte ich mit zuckenden Schultern. "So seltsam benimmt sich Pedro schon den ganzen Morgen", sagte Manni und setzte sich seufzend zu uns. "Vielleicht fühlt er sich auch nicht besonders gut." "Haben sie dich auch in der Nacht mit Alkohol abgefüllt?" fragte ich ihn mit einem ironischen Unterton. Sonja ließ sich davon nicht beeindrucken. Sie stierte auf das Schwimmbecken, in dem sich die Sonne in einer Weise spiegelte, wie ich es in all' den Wochen, die ich nun schon auf der Insel weilte, nicht gesehen hatte. War es die Farbe des Lichtes oder die Art des Glitzern in dem von einem sanften Wind gekräuselten Wasser, das mir befremdlich vor kam und ich fast aufgestanden wäre um zu schauen, was sich im Wasser abspielte? "Ich habe gestern so gut wie nichts getrunken", erklärte Manni. Daran kann es nicht liegen. Wäre ja auch etwas ganz neues! Nein, es ist nur so ein blödes Gefühl. Wie Lampenfieber. Ja, wie Lampenfieber! Idiotisch, was? Ich habe ein Gefühl als stünde ich vor einer Prüfung, oder vor irgend etwas - etwas Schrecklichem. Seltsam, nicht war?" "Vielleicht hättest du doch etwas trinken sollen", erklärte ich spöttisch, "dann würdest du auch kein Lampenfieber vor nichts haben." Manni lachte kurz auf und ich spürte, dass ihm wirklich nicht ganz wohl war. Die Stimmen schimpfender Leute drangen plötzlich zur Terrasse herauf und kurz darauf kamen sie um die Ecke: Tom und Rico, Jessika und Sabine, Marlies, Arthur und Erwin. Sie hatten ihre Laken und Badesachen bei sich und fluchten über Pedro, der sie am Strand mit Sand und Kieselsteinen beworfen hatte, einen Höllen Lärm dabei veranstaltete und sich von all' dem nicht abbringen lassen wollte, so das ans Schlafen nicht mehr zu denken war. Dem Schimpansen war es gelungen ausnahmslos alle Leute aufzuwecken und von ihren Schlafstätten zu verjagen. Es dauerte auch nicht lange, bis sich die Terrasse mit immer mehr fluchenden Leuten füllte. Manni war davon geeilt um sie mit Kaffee und Orangensaft zu versorgen. Sonja stand plötzlich wortlos auf und ging. Sie hatte zuletzt nur noch auf das Wasser des Schwimmbecken geschaut, und fast wäre ich ihr hinter her gelaufen um sie zu fragen, ob sie auch diesen seltsamen Schimmer auf dem Wasser wahrgenommen hätte und wie sie sich ihn erklärte; doch sogleich dachte ich, daß sie auch von mir nichts hielt. Also blieb ich sitzen und beobachtete den plötzlichen Trubel auf der Terrasse. Auch aus der Pension und dem kleinen Hotel kamen die Leute, als wären sie verabredet und alle erklärten sie, dass sie irgendwie nicht mehr schlafen konnten. "Irgendwie" war ein Wort, dass mir auffiel. Bald jeder verwandte es, "irgendwie konnte ich nicht mehr schlafen, irgendwie fühle ich mich heute morgen seltsam, irgendwie kommt mir alles eigenartig vor" und ich schaute auf das Wasser des Beckens, das mir "irgendwie" seltsam das Licht der Sonne spiegelte. Ich trank meinen Kaffee aus, stand auf und stellte mich an den Rand der Terrasse um auf das Meer zu schauen. Eigentlich wusste ich nicht warum ich das tat, denn das Meer interessierte mich genau genommen so wenig wie die Leute. An diesem Morgen war die Luft besonders klar und obwohl es um die 40 Grad heiß werden würde, machte der Himmel und die klare Sonne den Eindruck, als befänden wir uns im Gebirge bei eiskaltem Winterwetter. Ich mochte so klares Licht und eine so durchsichtige, saubere Luft. An diesem Morgen empfand ich aber bei dem Licht und dem Himmel, der von einem eigenartigen, transparenten Blau war, ein Gefühl, dass mich plötzlich an dem erinnerte, was Manni gesagt hatte: eine Art Lampenfieber - oder Furcht, als wenn einem etwas bevorstand, von dem man nicht wusste was es war, von dem man aber ahnte, dass es nicht gut war. Ich drehte mich um und schaute zum Schwimmbecken. Tanja war gekommen. Sie stand in einem Seidentuch gehüllt am Beckenrand. Unweit von ihr schwänzelten die beiden Typen herum, die schon seit Tagen - bislang vergeblich - versuchten sich an die Schöne ran zu machen. Sie setzten sich, jeder an einen Tisch für sich, und beobachteten ihre Traumfrau. Es waren knallharte Konkurrenten die nicht gut aufeinander zu sprechen waren; soviel war bekannt und auch, das Tanja das Spiel mit den Jungen genoss, die dabei sehr von sich eingenommen waren. Sie flirtete mit anderen Männern nur um die beiden zu provozieren und die Vermutung ging umher, dass einem von Beiden bald der Kragen platzen würde und es zu weniger schönen Szenen kommen würde. Nun ließ sie das Tuch von ihrem Körper sinken. Sie hatte nur einen winzigen Slip an, der kaum mehr als ein Akzent an ihrem wohl geformten Körper war. Mit einem gekonnten Sprung tauchte sie kopfüber ins Wasser ein. Ich verließ die Terrassen und ging hinunter an den Strand. Mich trieb das Bedürfnis nach Ruhe, zudem war ich müde. Es war inzwischen windstill und über den Bergen flirte ein dunkelblauer Lichtschimmer, den ich in dieser Klarheit so noch nie gesehen hatte und den ich eine Weile fasziniert beobachtete. Von Pedro war weit und breit nichts zu sehen. Nur ein älteres Ehepaar legte sich gerade unter einen Sonnenschirm, den sie in den Sand gestopft hatten. Sonst befand sich niemand mehr am Strand, an dem das Meer mit kleinen Wellen plätscherte, als wäre es kein Meer sondern nur ein kleiner See im Stadtpark. Die Vögel in den Tamarisken zwitscherten verhalten. Das fiel mir nach einer Weile auf, während der ich auf dem heißen Sand hockte und dösend ins Wasser stierte. Ihnen wird es zu heiß sein um großartig Lärm zu machen, erklärte ich mir, als plötzlich in die Stille des brütenden Vormittages das langsam anschwellende Dröhnen eines Außenbordmotors drang. Auf dem Meer wuchs ein Punkt zu einem kleinen Fischerboot, in dem ich bald den lustigen Mann mit der Hakennase erkannte. Es war der schmächtige Fischer, der häufig auf den Strand landete und sich zu den Touristen gesellte, um mit seinem radebrechenden Englisch ein kleinen Schwatz zu halten. In meinen Augen war er ein Mensch, dem alle Zeit der Welt gehörte, denn noch nie hatte ich ihn in Eile gesehen. Landete er nicht auf dem Strand sondern fuhr nur vorbei, so dauerte es ewig bis er hinter der Landzunge am Ende der Bucht verschwunden war, wo er seine Anlegestelle hatte. Der Bug seines Bootes ragte an diesem Morgen aber in die Höhe, als wollte er in den Himmel abheben, während das Heck tief im Wasser lag; dabei zog er eine fette Abgasfahne hinter sich her. Zielstrebig fuhr er weit draußen am Strand vorbei ohne auch nur für einen Augenblick sein Gesicht vom anvisierten Ziel abzuwenden. Eine Eile, die mich sehr verwunderte und ich schaute ihm nach, bis mir die Landzunge den Blick nahm. Erst jetzt bemerkte ich den Mond am Himmel und er jagte mir einen heftigen Schrecken ein. Doch sofort musste ich über mich und meine seltsame Nervosität lachen. Es war wirklich nichts außergewöhnliches um diese Jahres- wie Tageszeit die schmale Sichel des abnehmenden Mondes zu sehen. Es war mir zu heiß geworden um weiter direkt in der Sonne zu hocken. Als ich aufstand um in den Schatten zu gehen, wurde mir plötzlich für einen winzigen Augenblick schwarz vor Augen. Was war das, fragte ich mich. Setzte mein Kreislauf aus? Dabei fühlte ich mich keineswegs schwach oder Übel. Der Schweiß stand mir zwar auf der Stirn, aber sie war warm. Müde, übernächtigt, ja, das war ich, mehr aber auch nicht. Ich hatte den Eindruck als wäre die Schwärze etwas Äußeres gewesen, so als hätte jemand das Licht für einen Augenblick ausgeschaltet. Ich schaute mich um, aber was hätte ich schon entdecken können? Um mich herum war es einfach nur grell und heiß. Das Ehepaar lag ruhig unter ihrem Sonnenschirm auf dem Bauch und sie schliefen oder dösten. Vielleicht war die letzte Nacht doch etwas arg gewesen, dachte ich. Hexe lag hinter einer dicken Wurzel im Schatten und winselte. Sie hatte sich dicht an eine Wurzel gepresst und ganz flach gemacht, als wollte sie sich verstecken; dabei zitterte sie am ganzen Körper. Ich hockte mich nieder und streichelte sie. Die Hündin schaute mich mit treuen Augen ängstlich an und beruhigte sich nur langsam. Nein, mit Alkohol hatte man sie nicht vergiftet. Das waren keine Symptome dafür. Auch Verletzungen oder Schmerzen waren nicht feststellbar, so das sich mein Eindruck verstärkte, sie habe vor irgend etwas Angst - ganz fürchterliche Angst. Und plötzlich hatte ich wieder dieses unangenehme Gefühl, dieses Lampenfieber. Ein kaputter Tag, dachte ich und legte mich einfach neben die Hündin in den Sand. Ich streichelte sie noch eine ganze Weile, aber irgendwann übermannte mich die Müdigkeit und ich schlief ein. Als ich wach wurde fühlte ich mich sehr gut. Ich musste wohl tief geschlafen haben und es dauerte einige Zeit, in der meine Gedanken ihre eigenen unbelasteten Wege gingen, bis ich plötzlich wahrnahm, dass mich jemand rief und mir klar wurde, wo ich mich überhaupt befand. Hexe lag nicht mehr neben mir, sie war verschwunden. Das Meer war nach wie vor glatt und ruhig und der Strand lag im Fieber der Mittagshitze. Das alte Ehepaar und ihr Sonnenschirm war verschwunden. Überall an meiner Haut und meiner Kleidung klebte der Sand, ich war völlig durch geschwitzt. Nun entdeckte ich Vito, wie er schnaufend den Strand entlang stampfte. Er sah mich und rief mir von weitem zu, das ich auf die Terrasse kommen solle, es sei wichtig. Darauf drehte er um und eilte davon. Auf einer Wurzel sitzend streifte ich mir langsam den Sand ab. So ein Blödsinn, dachte ich, was sollte es an diesem Ort schon Wichtiges geben? Andererseits hatte ich Durst und Hunger, also ging ich. Doch als ich ein paar Schritte gelaufen war setzte wieder dieses unangenehme Gefühl ein, schlagartig und heftig, so als erinnerte ich mich an etwas sehr schlimmes. Ich blieb stehen und schaute zu dem Platz meiner friedlichen Ruhe zurück. Ach was, ich reise ja nicht ab, sagte ich mir und ging wieder ein paar Schritte, blieb stehen, schaute mich um, schaute auf das Meer und in diesen klaren, blauen Himmel unter dem ich schon so viele Stunden dösend und tagträumend verbracht hatte. Die Musik auf der Terrasse war recht leise. Das fiel mir sofort auf und auch, das nahezu alle versammelt waren. Warum man mich geholt hatte, war aber eigentlich schon kein Thema mehr. Viele hatten sich etwas zu essen bestellt, andere spielten Schach oder Karten oder saßen einfach bei einem Glas Bier zusammen und unterhielten sich. Im Schwimmbecken drehten das alte Ehepaar gemächlich ihre Runden. Vito rief mich an seine Tisch an dem noch Arthur, Rico, Jessika und Sabine saßen. Sie wollten von mir wissen, ob ich auch diese "Aussetzer" verspürt hätte. "Aussetzer?" fragte ich. "Ja, so ein Blitzen", erklärte Rico. "Ein Dunkel-Blitzen", warf Arthur ein und grinste dabei, als rechne er damit, dass ich ihn für verrückt erklären würde. "Lichtweg. Einfach Lichtweg, verstehst du, für den Bruchteil einer Sekunde", sagte Rico. Mir war, als rase mein Verstand auf der Suche nach einer Erklärung im Leerlauf. Hexe, Pedro, der Fischer - die Vögel in den Tamarisken - alles bekam plötzlich einen absurden Sinn. "Wir denken, es liegt am Stoff", sagte Vito. "Du hast doch gestern auch geraucht." Ich nickte. "Und?" "Ich hatte auch so ein Dunkel-blitzen. Heute Vormittag am Strand." "Seht ihr, alle die geraucht haben", rief Arthur. "Das Zeug taugt nichts. Macht uns nur irre." "Ich denke nicht, dass es am Stoff liegt", sagte ich und schaute zum Schwimmbecken. Die beiden Alten stiegen gerade aus dem Wasser. Inzwischen stand die Sonne so, dass sie zur Terrasse hin nicht mehr Beckens glitzern konnte. Das Wasser sah ganz normal aus, wie jeden Tag. Sonja saß am Nebentisch und hatte ein Buch vor sich liegen. Sie las aber offensichtlich nicht, sondern lauschte unserem Gespräch. Als ich sie anschaute versenkte sie ihren Blick in das Buch. "Worauf führst du denn die Aussetzer zurück", fragte mich Arthur. "Da hat ein Astronaut in seiner Raumstation den Schalter für die Sonne entdeckt und knipst hin und wieder das Licht aus um Touristen zu erschrecken", warf Rico ein. "Quatsch!" rief Sabine, "seit doch mal ernst! Bedenkt doch, dass die Kölner und auch andere, die nicht geraucht haben, die gleichen Erfahrungen gemacht haben wie wir. Also kann es schon eine andere Ursachen habe?" "Das Essen, die Gewürze, das Bier oder chemische Stoffe im Meerwasser", sagte Arthur und lachte. Sabine seufzte. "Mir ist das gleich. Ich werde jedenfalls nichts mehr rauchen", stellte Jessika fest. "Mir ist das zu unheimlich. Da können einem ja wer weiß was für Gedanken kommen." Manni brachte die Pizzas, die von den fünf bestellt worden waren. Ich wünschte guten Appetit und holte mir ein Bier, mit dem ich mich nahe des Schwimmbeckens setzte. Hier glitzerte die Sonne wie gewohnt im Wasser. Sonja beobachtete mich. Als ich zu ihr hinschaute, wich sie für ein paar Sekunden meinem Blick nicht aus. Zunächst wollte ich lächeln, spürte aber, das ihr Gesicht hart war und ihre Augen fragend. Tanja zog sich eine Liege an den Beckenrand um sich zu sonnen. Kaum lag sie, näherte sich ihr einer von den Beiden Verehrern - der mit den lockigen Haaren - mit einem Cocktail. Er reichte ihr das Glas aber sie wehrte ab. Mehrmals bot er ihr den Cocktail an und suchte sie zu überreden, aber Tanja wollte nichts trinken. Plötzlich tauchte der dunkelhaarige Verehrer auf und herrschte den Lockigen an. Ein heftiger Wortwechsel platzte über die Terrasse, der zunehmend Aufmerksamkeit verursachte. Nur Tanja lag auf ihrer Liege und tat so, als ginge ihr das alles nichts an. Der Lockige schmiss das Glas dem Nebenbuhler vor die Füße. Auf der Terrasse verstummten schlagartig alle Gespräche. Der Dunkelhaarige schaute von dem zerschlagenen Glas vor seinen Füßen zum Lockigen ganz langsam auf und plötzlich stupste er ihn mit der flachen Hand vor die Brust. Schneller als man schauen konnte, waren die Beiden aneinander geraten, Schläge klatschten, Tische wurden umgestoßen und als Manni auftauchte und den Beiden zu rief, sie sollten sofort aufhören, stürzte der Lockige in das Schwimmbecken. Gelächter schallte über die Terrasse. Der Dunkelhaarige stampfte davon. Die Beiden hatte die Aufmerksamkeit aller Leute so in Anspruch genommen, das niemand bemerkte wie es dunkler geworden war. Ich ging zum Rand der Terrasse und schaute zum Himmel hinauf. Er war klar und keine Wolken waren zu sehen, auch vom Meer war kein Nebel aufgestiegen. Die Sonne blendete nach wie vor, dennoch war im allgemeinen deutlich weniger Licht, so als hätte man eine Sonnenbrille auf, die das Licht dämpfte. Nach und nach kamen immer mehr und schauten sich ungläubig wie verwundert um und alle rätselten was denn "nun los sei". "Eine Mondfinsternis", meinte Vito, aber das wurde für ausgeschlossen gehalten. Dennoch ließ die Intensität des Lichtes einfach nach und die Himmelbläue änderte sich. Inzwischen waren alle ins Frei gelaufen und schauten zum Himmel hinauf. Alle redeten sie durcheinander und Worte wie "phantastisch, ist ja unglaublich!" machten die Runde. Die ersten hatten ihre Videokamera geholt und einige standen mit dem Fotoapparat da und knipsten drauf los. Zweifelsfrei bot sich uns ein außergewöhnliches Panorama, ein Spiel des Lichtes wie es nie jemand gesehen hatte. Die Sonne stand genau dort, wo sie um diese Zeit zu stehen hatte. Aber sie verlor von Minute zu Minute ihr Licht. Es war aber keine Abenddämmerung, kein rötlicher Schimmer, der die Berge hinauf kroch. Und es war auch nicht das Licht eines von Wolken getrübten Tages. Es war nach wie vor das gleißende Licht einer ungetrübten Sonne, nur daß es erkennbar an Kraft verlor. Es wurde sanfter und sanfter. Plötzlich schrie Sonja auf. Sie wies mit zitternder Hand auf das Meer hinaus. Die Leute verstummten. Niemand wollte und niemand konnte glauben was zu sehen war. Zwischen dem Meer und dem Himmel wuchs ein schwarzer Streifen wie ein breites klaffendes Maul. Und in diesem Maul funkelte kleine Punkte. Es waren Sterne. Plötzlich wurde es windig. Die noch immer heiße Luft bewegte sich und es war als wußte sie nicht wohin. Keiner sagte etwas und niemand fotografierte mehr. Das Meer tat so als geschehe nichts, die Vögel waren verstummt, die Sonne leuchtete nur noch wie ein besonders heller Mond mit einem immer kleiner werdenden Hof aus blauem Himmel. Wir sahen die Sonne und die Sterne zur gleichen Zeit. Inzwischen ist es wieder Nacht - von der Uhrzeit her. Das Meer brandet heftig an den Strand, wie im Herbst oder im Winter. Wir sitzen mit Pullovern und Jacken auf der Terrasse, weil es deutlich kühler geworden ist. Wir haben entschlossen keinen Alkohol mehr auszugeben und wir versuchen Stunde um Stunde mit unseren Angehörigen oder mit dem Festland Verbindung aufzunehmen. Aber das Telefon funktioniert genauso wenig wie das Radio oder das Satellitenfernsehen. Die Fähren sind ausgeblieben. Wir konnten gerade noch erfahren, dass es weltweit zu unvorstellbaren Reaktionen gekommen war. Bald wird es wieder Tag, der Uhrzeit nach. Die Sonne zieht ihre Bahn und man kann sie dabei beobachten. Denn dort wo sie steht sind keine Sterne zu sehen und ein schwarzer Fleck zieht über dem Himmel, aus dem hin und wieder ein dunkelroter Schimmer bleckte. Es wird dann sogar etwas wärmer. (c) Klaus Dieter Schley
Sie hielt den Hörer noch in der Hand obwohl er längst aufgelegt hatte. Ein Kilo Butter sollte sie mitbringen, Deutsche Markenbutter, das hatte der Mann betont, und zwei Stück Seife. Welche sei ihm gleichgültig, nur duften sollte sie nicht zu stark. "Ein Kilo Butter und zwei Stück Seife?" Die Kollegin von Marianne schaute skeptisch, als sie von dem Telephonat hörte.  "Und die Martinistraße ist auch nicht die erste Adresse."  "Aber was soll ich machen? Ich brauche eine Wohnung."  "Andererseits sind Butter und Seife auch nicht zuviel verlangt. Da gibt es ganz andere Forderungen."  "Eben."  "Wann sollst du kommen?"  "Um halb sechs."  "Ich wünsche dir jedenfalls viel Glück."   Mit dem Bus fuhr Marianne bis fast vor die Haustür.  "Nummer 114", hatte der Mann gesagt. "Gleich neben dem Waffengeschäft, falls Sie die Hausnummer nicht erkennen können. Sie ist etwas verwittert."  Aber nicht nur die Hausnummer war verwittert. Von der gesamten Fassade des drei stöckigen Gebäudes war die Farbe abgeblättert und an einigen Stellen bröckelte schon der Putz.   Eine Weile stand Marianne vor der dunkelbraunen Tür und studierte die verblaßten Namen auf den Schildchen, - sofern welche eingetragen waren.  Der Mann hatte seinen Namen nicht erwähnt und sie hatte vergessen danach zu fragen. Überhaupt hatte er kaum etwas über die Wohnung erzählt, nur das es eine Dachwohnung sei.  "Und wenn Sie meinen, Sie müßten die Bude unbedingt anschauen, gut, ich dränge keinen. Nur denken Sie bitte an die Butter und die Seife. Und seien Sie pünktlich! Es kommen ja noch andere Interessenten", hatte er ihr kurz und knapp erklärt.  Mariane drückte gegen die Tür. Sie war nicht verschlossen. Schwer aber fast lautlos ließ sie sich öffnen. Der strenge Geruch eines Treppenhauses, in dem sich die Düfte aus allen Küchen vereinten, empfing sie. Eine Zeitung rutschte aus dem Postkasten und fiel auf die grauen Fliesen.  "Sind Sie Frau Friedrichs?"  Erschrocken schaute Marianne hoch. Auf dem Treppenabsatz stand ein alter zitternder Mann, bekleidet mit einem zerschlissenen Morgenmantel und gestützt auf einem knorrigen Spazierstock.  Marianne nickte.  "Sie kommen wegen der Wohnung. Gut. Ich aber glaube kaum, das sie Ihnen zusagen wird. Das sage ich Ihnen gleich. Aber meinetwegen. Schauen Sie sich die Wohnung an. Es ist eine Dachwohnung über der dritten Etage. Sie haben die Butter mitgebracht, und die Seife?"   Marianne zog eine Tüte aus ihre Tasche.  "Sehr gut. Geben Sie mir."  Sie stieg zum ersten Treppenabsatz und reichte die Tüte dem Mann. Der Alte stank. Nach Schweiß, nach Bier, nach Urin. Marianne wich sofort zurück, als sie ihm die Tüte gereicht hatte. Umständlich legte er sie neben sich auf den Boden. Dann wühlte er in seiner Manteltasche. Der Alte hatte Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten. Seine Hausschuhe waren breitgetreten, so das die nackten grauen Füße halb neben den Schuhen standen."  "Wieviel schulde ich Ihnen?" fragte er.  "Sie wollen bezahlen?"  "Ja selbstverständlich. Oder was dachten Sie?"  "Ich..."  "Das kann ich noch. Keine Sorge. Wenn ich auch sonst nichts mehr kann. Bezahlen aber kann ich noch."  Der Mann reichte ihr einen zehn Mark Schein. Er hatte lange, verknorpelte Finger und dreckige Fingernägel, die gelblich waren, mit schwarzen Flecken. Sie gab ihm schnell das Wechselgeld.  "Gehen Sie nun. Gehen Sie rauf und schauen Sie sich die Wohnung an. Die Tür ist offen."   Der Alte blieb mitten auf dem Absatz stehen. Er rührte sich nicht, keinen Zentimeter. Marianne schob sich schnell mit angehaltenem Atem an ihm vorbei. "Sie leben allein?" rief er, als sie schon ein paar Stufen gestiegen war.  Sie nickte. Der Alte schaute noch immer hinunter zur Tür.  "Ja oder Nein?"  "Ja, ich lebe allein."  "Gut. Ist mir recht. Aber ich glaube kaum, daß Ihnen die Wohnung zusagt."  "Was soll sie kosten?"  "Kosten? Ach was. Gehen Sie erst rauf. Schauen Sie sich die Wohnung an. Alles weitere danach." Der alte Mann drehte ihr seinen Kopf etwas zu und schielte.  "Falls Sie ein danach wünschen. Aber nun gehen Sie schon!"   Das Treppenhaus war dunkel und schmutzig. Aus der rechten Wohnung in der zweiten Etage drang der Geruch verbrannter Milch. Orientalische Musik dudelte hinter der Tür. In der dritten Etage war es totenstill. Das Treppenhaus war hier zu Ende. Nur noch eine schmale Holzstiege führte ein Stück weiter hinauf auf einen dunklen Absatz. Rechts war eine grobe Holztür, die mit einem Vorhängeschloß gesichert war. Links befand sich eine weiß gestrichene Wohnungstür. Sie war nicht verschlossen.    Marianne betrat einen kleinen dunklen Flur. Die Tapeten hingen von den Wänden, von der Decke rieselte Putz und an einigen Stellen war das Stroh sichtbar. Eine Schabe huschte über den zerschlissenen roten Linoleumfußboden und verkroch sich hinter einer abstehenden Fußleiste. Direkt der Wohnungstür gegenüber befand sich die Toilette. Die Tür war geöffnet. In die hinterste Ecke des Raumes, der kaum breiter war als die Tür, stand das Klosettbecken. Nasses Zeitungspapier und Tapentenfetzen quollen aus der Schüssel. Die Klosettbürste lag neben dem Eingang.   Es roch nach Staub und Kalk. Vor Mariannes Füßen lag eine alte Boulevardzeitung. Neben einem am Strand kauernden nackten Mädchen prangte die Schlagzeile "Junge Frau zerstückelt. Eingefroren".   Vorsichtig ging Marianne durch die engen Räume. In fast allen Ecken hingen dicke Spinnweben, in denen sich grauer Staub und Mörtelbrocken verfangen hatten. In jedem Raum waren in der Dachschräge kleine Fenster eingebaut. Mit Mühe konnte sie eines der klemmenden Holzfenster öffnen.   Der Blick ging über graue Hinterhöfe, über kleine, verbaute Balkons, rötlichschwarze Dächer zu einem alten, still gelegten Fabrikgebäude. Überraschend ruhig war es ja hier oben, dachte sie. Vom Straßenlärm war kaum etwas zu hören. Aber bin ich Innenarchitektin?   Sie drückte das Fenster wieder zu. Als sie sich umdrehte, huschte an der gegenüberliegenden Wand ein Schatten vorüber und im gleichen Augenblick knallte eine Tür. Sie riß ihre Hand hoch, legte sie an ihren Mantelkragen. Mit angehaltenem Atem lauschte sie.   "Ist da jemand!" rief sie. Niemand antwortete.   Plötzlich baumelte eine fette Spinne vor ihren Augen. Entsetzt sprang sie zur Seite. Die Spinne hangelte sich an ihrem Faden hoch und verschwand in einem Loch der Dachschräge.  Marianne eilte zum Ausgang. Die Wohnungstür war zu gefallen. Ihr fehlte die Türklinke. "Hallo!" rief sie und klopfte gegen die Tür. Doch im ganzen Haus schien es kein Leben zu geben. Nur aus weiter Ferne erscholl ein Martinshorn. Da entdeckte Marianne auf dem Fußboden die Türklinke. Sie hob die Klinke auf, stopfte sie in das Loch und öffnete die Tür.  In der zweiten Etage war es jetzt auch still und der Geruch von verbrannter Milch hatte sich mit den anderen Gerüchen vermischt.   Der alte Mann war nicht mehr da. Marianne wollte ihn schon rufen, aber sie wußte ja nicht einmal seinen Namen. Und wozu auch? Sie lief die restlichen Stufen hinab, zog die schwere Haustür auf und stand auf dem Bürgersteig.   Der lebhafte Straßenverkehr tat ihr gut. Sie atmete kräftig durch, nahm den Zehner aus ihre Manteltasche, den ihr der Alte für die Butter und die Seife gegeben hatte, und steckte ihn in ihr Portemonnaie. Dann ging sie die Straße hinunter zur Bushaltestelle. Noch immer spürte sie den Geruch des Hausflures und des Alten in ihre Nase.  Als sie an der Haltestelle wartete, kam ein junges Paar vorbei. Er trug einen Waschmittelkarton, sie einen Packen Toilettenpapier.  "Hat er nicht gesagt warum wir das mitbringen sollen?" fragte der Junge.  Das Mädchen schüttelte den Kopf.  Marianne schaute den Beiden nach, wie sie bis zu Nummer 114 gingen, auf die Klingelknöpfe schauten und dann durch die dunkle Haustür verschwanden.     (c) Klaus Dieter Schley
Klaus Dieter Schley, 2015