Donnerstag der Zwölfte
Was spricht gegen einen abergläubischen Wissenschaftler? Richtig: Nichts. Das dachte Thomas
auch und bemüht sich mit beiden Füßen gleichzeitig aus dem Bett zu steigen. Es soll ja auch
Wissenschaftler geben - Mathematiker sogar - die im Lotto spielen.
Nun war Thomas gar kein Wissenschaftler - noch nicht -, denn er studierte - Biologie -, und jener
unvergessliche Donnerstag war der Tag vor Freitag dem Dreizehnten. Kein Grund also für die rote
Lampe.
Und so schlürfte er, seine müden Augen reibend, in die Küche und schaltet das Laptop ein, mit dem
Super-Horoskop-Programm. Das Gerät schnurrte und Thomas füllte sich derweil ein Glas mit Milch.
Dann ging er zum Fenster und blinzelte in den Tag. Die Sonne schien nicht und es regnete nicht. Ja
war denn überhaupt ein Wetter? Na egal, dachte er, heute würde es ein ruhiger Tag: Vormittags
eine Vorlesung, Nachmittags im Seminar, und Morgen, Freitag den Dreizehnten, wird es noch
ruhiger, wahrscheinlich würde er nicht einmal aus dem Haus gehen. Thomas gähnte und fand es
plötzlich überaus merkwürdig mit dieser freien Parklücke gegenüber dem Haus, in dessen dritte
Etage er wohnte. Um diese Zeit, kurz vor acht Uhr am Morgen? Schließlich besaßen die Anwohner
dieser Straße mehr Autos, weitaus mehr Autos als Parklücken vorhanden waren... Das Telefon
klingelte.
"Hallo Thomas, hier ist Jochen. Hast du heute Zeit?"
"Klar, wolltest du kommen?"
"So ist es. Im Laufe des Tages. Mit meinem neuen Auto."
"Echt!"
"Megaecht. Und rate mal was für einen."
"Kein Schimmer."
"So einen wie du ihn hast! Einen Opel. Genau die gleiche Farbe: so ein wunderbar hässliches
Grün; die gleiche Innenausstattung. Gleich alt. Zum verwechseln. Hab' ihn seit drei Tagen."
"Was du nicht sagst."
"Bis später."
Thomas legte den Hörer auf und schlurfte in die Küche zurück. Das Laptop verlangte die Eingabe
seiner persönlichen Daten. Er aber ging noch einmal zum Fenster und schaute hinaus. Die
Parklücke! Schlagartig erkannte er ihre Bedeutung. Sein Auto war verschwunden. Futsch. Oder
doch nicht? Er riss das Fenster auf, schaute die Straße rechts runter, links rauf, aber das Auto war
nicht zu sehen.
Thomas jagte ins Treppenhaus, die Stufen hinab, raus auf die Straße, mangelte fast den alten
Kohlmeyer um und schon stand er auf dem freien Platz, mitten drauf, drehte sich um die eigene
Achse und stierte einmal in die Runde um letztendlich die Parklücke mit seiner ganzen baffen
Ratlosigkeit auszufüllen.
"Suchen Sie was?" fragte der alte Kohlmeyer, der ob der Eile des jungen Mannes hinter her
getippelt kam.
"Mein Auto!"
"Ist es weg?"
"Ja. Hier hatte ich es geparkt. Gestern. Genau hier!"
Thomas wies auf die Lücke, dann schaute er zum Kohlmeyer, als könne der Alte ihm helfen, als
wüsste der Rat. Und der wusste auch was:
"Wenn der Wagen weg ist, nun, dann wird er geklaut sein. Ist ja so üblich, - heutzutage."
"Geklaut?"
"Ja. Müssen Sie anzeigen. Bei der Polizei."
Der Polizeibeamte war routiniert aber freundlich.
"Wir melden uns, falls wir den Wagen finden", hatte er zum Abschied gesagt, dabei das Wörtchen
"falls" betont.
Zur Vorlesung kam Thomas zu spät. An der Uni erntete er süffisante Sprüche.
"Was für ein Pech. Nun bist du über Nacht Umweltschützer geworden."
Sein Vater erklärte die versicherungsrelevanten Aspekte, seine Mutter fragte, ob ihm auch nichts
passiert sei. In der Unibibliothek bemerkte eine Studienkollegin, das doch noch gar nicht Freitag der
Dreizehnte sei. Und plötzlich, ja, genau dort unten, neben der abgetakelten Staatskarosse, stand
ein giftgrüner Opel. Einzigartig diese Farbe!
Thomas klappte das Buch zu, rannte durch den Lesesaal, die Stufen hinab, hinüber zum Parkplatz.
Wirklich - nicht eingebildet - nicht geträumt - absolut unbegreiflich: da stand sein Gefährt.
Auf der Fahrerseite war die Scheibe etwas runter gedrückt. Sonst aber war kein Schaden zu
entdecken. Den Wagenschlüssel hatte Thomas noch in seine Tasche. Er öffnete die Tür, zündete
und schon war er auf dem Weg zum Polizeirevier.
"Sind sie sicher, dass Sie den Wagen nicht selbst dort geparkt haben?" Der Polizeibeamte schob
seine Brille auf die Nase und stützte sich auf den Tresen, um im Gesicht von Thomas die Wahrheit
zu suchen.
"Aber ganz sicher!" empörte sich Thomas.
"War auch nur so eine Frage." Der Beamte richtete sich auf. "Dennoch haben Sie einen Fehler
gemacht. Sie hätten uns sofort benachrichtigen sollen. Vielleicht wären die Diebe zurückgekommen
und wir hätten sie fassen können. So aber haben Sie ihnen den Wagen geklaut ohne das wir nun
etwas ausrichten können."
Er hatte sein Auto wieder, das war das Wichtigste. Was interessierten ihn die Diebe?
Thomas verließ das Polizeirevier, ging über die Straße, daran denkend, das sein Freund gesagt
hatte, er habe den gleichen Wagen und das er schon daran gedacht hatte -, aber da fiel ihm das
Laptop ein, denn er hatte es vergessen auszuschalten, dass es also noch immer mit dem Super-
Horoskop-Programm auf seine persönlichen Daten wartete, das dieser Tag doch nicht so ruhig
verlief, wie er es sich gedacht hatte, dass die Frau mit ihrer Einkaufstasche dort am Straßenrand
einen recht verdatterten Gesichtsausdruck hatte, das er verdammt noch eins, seinen Wagen nicht
fand, "ich hatte ihn doch hier geparkt, neben diesem roten Transporter, genau dort hatte er
gestanden, wo jetzt wieder nichts ist als eine leere Parkbucht, genau dort, verdammt noch eins, mir
haben sie schon wieder mein Auto geklaut. Das kann doch nicht wahr sein. Nein!"
"Haben Sie das gesehen, junger Mann?"
Thomas schaute der irgendwie verwirrten Frau ins Gesicht, er schüttelte seinen Kopf und wies
fragend auf den leeren Parkplatz.
"Mein Auto! Haben Sie mein Auto gesehen? Einen grünen Opel, hell grün?"
"Das war Ihr Auto? " - Thomas nickte. - "Ja, das habe ich wohl gesehen: Es hätte mich fast um
gefahren! So eine Unverschämtheit, dort" - sie zeigte auf den Autobahnzubringer - "ist es davon
gejagt. Und dort" - sie zeigte auf den Zebrastreifen vor dem Polizeirevier - "hätte es mich fast
erwischt. Ich zitter noch am ganzen Leib."
Thomas bat die Frau mit auf das Revier zu kommen, vor den Tresen des ihm nun schon bekannten
Polizeibeamten, der auch sofort seine Brille auf die Nase rutschen ließ. Und weil die Frau die
Angaben von Thomas bestätigte, nahm der Beamte die Anzeige entgegen.
"Dann haben Sie ja wirklich Pech, junger Mann", sagte der Beamte. "Heute ist ja noch nicht einmal
der 13."
Der Tag zumindest war gelaufen. Jochen ließ sich auch nicht blicken und nachdem Thomas das
Seminar überstanden hatte, versenkte er sich in die Zeitschriften eins Cafés, gleich in der Nähe der
Uni. Abends wechselte er von dort direkt in die Studentenkneipe. Hier sprach er reichlicher als
sonst dem Bier zu.
Nach einigen Stunden, er hatte den Verlust schon leidlich überwunden, trat er auf die Straße um
frische Luft zu atmen und glaubte seinen Augen nicht.
"Mein doppelt geklauter giftgrüner Opel, unverwechselbar", murmelte er.
Auf dem Absatz kehrt machend jagte er in die Kneipe, drängte sich zum Tresen, ließ sich das
Telefon reichen und rief die Polizeiwache an. Darauf drängte er zurück, stürmte auf die Straße und
versteckte sich hinter einer Litfaßsäule.
Es dauerte auch nicht lange und ein Streifenwagen hielt in einer Seitenstraße. Ein Polizist stieg
aus. Thomas ging hin und gab sich zu erkennen. Der junge Beamte forderte ihn auf, in die Kneipe
zurück zu gehen oder nach Hause. Die Beamten wollten über Nacht ein Auge auf den Wagen
werfen, denn jugendliche Banden hatten nun auch in dieser Stadt ihren Spaß gefunden, mit
geklauten Autos durch die Gegend zu rasen. Schon schickte sich Thomas der Weisung, da trat
plötzlich ein Mann auf die Straße, ging zu dem Wagen und machte sich an der Tür zu schaffen.
Flugs war der Mann von den Beamten umstellt.
Er schien verwundert als er seine Papiere vorweisen musste. Thomas näherte sich neugierig dem
Ereignis, denn plötzlich hatte er so ein Gefühl. Einer der beiden Polizisten sprach in sein Funkgerät,
der andere blätterte in den Papieren, und schaute immer wieder auf den Wagen. Der Mann schien
nun ungehalten, Thomas kam noch ein paar Schritte näher.
"Jochen!"
Der Mann drehte sich um. "Thomas!"
"Oh, die Herrn kennen sich?" Die Polizist schauten zwischen beiden hin und her.
"Was machst du denn mit meinem Auto?" fragte Thomas etwas bemüht, weil ihm die Worte dank
der vielen Biere quer über die Lippen flossen.
"Dein Auto. Spinnst du? Ist doch mein Neuer!"
Die Radioantenne auf der rechten Seite, das unbeschädigte Fenster, das ganz andere
Nummernschild, - Peinlich!
"Das nächste mal schauen Sie sich den Wagen genau an, bevor Sie uns rufen", gifteten die
Polizeibeamten zum Abschied.
Die nassen Straßen schimmerten im Licht der Laternen, als Jochen mit Thomas nach Hause fuhr.
"Ein Pechtag. Wirklich: sich zweimal das Auto klauen zulassen. Du bist zu bedauern."
Thomas brütete wortlos vor sich hin, als sie in die Schellingstraße ein bogen und bis zur Kreuzung
am Bürgerpark fuhren, dort an der Ampel warteten. Es war Mitternacht. Die Straßen waren leer und
der Nachrichtensprecher verkündete die Katastrophen der Welt. Da kam von rechts ein Wagen, bog
mit surrenden Reifen in die Schellingstraße ein, hatte eine Radioantenne auf der linken Seite, hatte
eine nicht ganz verschlossene Scheibe auf der Fahrerseite, war hässlich grün und hatte ein Kfz-
Kennzeichen, das Thomas sehr gut kannte.
"Mein Auto!"
"Dein Auto?"
"Ja!"
Geistesgegenwärtig schlug Jochen das Lenkrad ein, gab Gas, die Reifen quietschten, Thomas
schlug mit dem Kopf an die Scheibe und schon jagte Jochens hässlich grüner Opel hinter Thomas
hässlich grünem Opel her.
"Halt!" rief Thomas.
"Dein Auto, da fährt der Dieb!"
"Halt!" schrie Thomas und Jochen trat auf die Bremse, von dem heftigen Einwand seines Freundes
überzeugt. Er ließ den Wagen ausrollen, während vor ihnen der Zwilling mit hohem Tempo in eine
Nebenstraße verschwand.
Thomas tippte auf die Uhr.
"Na und? Was soll das. Da fuhr jemand mit deinem Auto."
"Mitternacht."
"Versteh ich nicht?"
"Mann! heute ist Freitag der Dreizehnte!"
"Ne?"
"Ja, bloß keine Action! Viel zu gefährlich."
Der Nachrichtensprecher wünschte eine gute Nacht.
(c) Klaus Dieter Schley